Gleisbesetzung vor Gericht - Studentin zu Geldstrafe verurteilt

Erstveröffentlicht: 
15.04.2011

Will die Angeklagte eine Märtyrin sein? Eine Studentin hat das Angebot einer Verfahrenseinstellung abgelehnt - und wurde nun wegen der Gleisbesetzung während einer Bildungsdemo verurteilt.

 

FREIBURG. Provokantes Lachen, Zwischenrufe, spöttisch gemeinter Beifall – das klingt nach Landtags- oder Bundestagsdebatte, ist aber an diesem Nachmittag Geräuschkulisse im Saal III des Amtsgerichts Freiburg. Auslöser ist das erste Urteil gegen eine der Demonstranten, die am 9. Juni 2010 im Freiburger Hauptbahnhof eine gute Stunde lang ein Gleis für den Fernverkehr besetzt hielten – als Protest gegen Studiengebühren. Das Gericht verurteilt die 22 Jahre alte Studentin zu einer Geldstrafe von 320 Euro. Das Verfahren gegen zwei weitere Angeklagte wurde eingestellt: Sie hatten das Angebot des Gerichts – geringe Geldauflage plus einige Stunden Sozialarbeit – akzeptiert.

"Als sie in den Bahnhof gerannt sind, habe ich Gänsehaut gekriegt, und als ich Meldung bekam, dass sich rund 300 Personen auf Gleis 1 befinden, wurde mir ganz komisch", sagt der Zeuge, ein 51 Jahre alter Polizeioberrat. Er leitete die Hundertschaft, die am 9. Juni die Demonstration begleitete – eine Aktion im Rahmen des "Bildungsstreiks". Anfangs sei die Demo diszipliniert abgelaufen. Im Bahnhof jedoch sei die Lage außer Kontrolle geraten. Aktivisten setzten sich auf die Schienen, machten Lärm mit Trommeln und Vuvuzelas und blockierten so das Gleis für eineinhalb Stunden.

 

Zum Schutz der Gleisbesetzer mussten Züge umgeleitet und die Oberleitung der Bahn abgeschaltet werden. Die Polizisten hatten sich wütender Bahnfahrer zu erwehren. "Wenn sie das nicht schaffen, dann verhauen wir jetzt die Leute", soll einer der Fahrgäste gesagt haben.

"Sie üben die Rolle der Märtyrerin aus, und das, obwohl Sie sich sehr unwohl fühlen", sagt Richterin Maren Butscher zur Angeklagten, als sie das Urteil begründete. "So abgezockt und provokant, wie Sie tun, sind Sie nicht." Die junge Frau hatte sich während der Verhandlung demonstrativ uneinsichtig gezeigt, und sie weigerte sich, zur Urteilsverkündung aufzustehen. Die Richterin würdigte sie keines Blickes, stattdessen grinste sie in Richtung ihres Fanclubs auf den Zuhörerbänken, der sich mit der Angeklagten zeitweise lautstark solidarisierte. Das Gericht ließ deshalb sogar eine Person aus dem Saal entfernen.

"Ich stehe nach wie vor hinter den politischen Zielen des Bildungsstreiks und der gewählten Aktionsform des zivilen Ungehorsams", verkündet die 22-Jährige. Sie sieht die Gleisbesetzung als legitimes Mittel und verliest eine politische Erklärung: "Angesichts der Dringlichkeit unseres Anliegens weigere ich mich, den Sachverhalt hier nur juristisch zu diskutieren." Wie wichtig ihr die Verbreitung der Botschaft ist, zeigt sich anschließend: Sie verteilt die Erklärung schriftlich an die Prozessbeobachter; der Schriftführerin des Gerichts hatte sie das Papier zuvor noch verweigert. Draußen auf der Straße wird es noch einmal per Lautsprecher verlesen.

Richterin Maren Butscher hatte der Angeklagten angeboten, das Verfahren wie in den anderen beiden Fällen gegen eine geringe Geldauflage und Sozialstunden einzustellen. Auch Staatsanwalt Stephan Zäh versuchte, sie dazu zu bewegen: "Sie sollten vielleicht überlegen, von der Prinzipienreiterei abzuweichen. Wir streiten hier um Kaisers Bart." Doch die Studentin lehnte das Angebot ab. Nun muss sie die Geldstrafe zahlen oder Rechtsmittel einlegen. Die größte finanzielle Belastung könnte jedoch noch auf sie warten: Die Deutsche Bahn prüft zivilrechtliche Schritte für Schadenersatz. Auch das Amtsgericht hat nicht zum letzten Mal verhandelt: 60 Strafbefehle sind wegen der Gleisbesetzung ergangen.