Das letzte tödliche Attentat der RAF

Erstveröffentlicht: 
01.04.2011

Am 1. April 1991 ermordeten Linksextremisten den Treuhand-Chef Detlev Rohwedder. Ein Täter ist tot, doch ermittelt wird noch immer

 

Als Schütze gilt der Terrorist Grams. Doch Speichelreste weisen auf weitere Helfer hin

 

Mord verjährt nicht. Solange auch nur die vage Möglichkeit besteht, dass nicht alle Täter eines heimtückischen Tötungsdeliktes ihrerseits tot sind, werden Ermittlungsakten nicht geschlossen. Auch zwei Jahrzehnte nach dem letzten tödlichen Attentat der Rote-Armee-Fraktion ist der Mordfall Detlev Karsten Rohwedder deshalb nicht abgelegt.

 

Am 1. April 1991 gegen 23.30 Uhr hatte eine Gewehrkugel das Doppelglas einer Villa am Düsseldorfer Rheinufer durchschlagen. Trotz einer Schussentfernung von 63 Metern traf schon dieses Geschoss vom Kaliber 7,62 Millimeter den Eigentümer des Hauses, im Hauptberuf Chef der Berliner Treuhandanstalt, tödlich in den Rücken. Zwei weitere Schüsse folgten; eine Kugel verletzte Rohwedders Frau, die andere beschädigte das Bücherregal im Arbeitszimmer. Die Alarmanlage in dem Haus schrillte, doch dem Topmanager war nicht mehr zu helfen.

 

Trotz vergleichsweise umfangreicher Spuren am Tatort, etwa eines Handtuchs mit Schweiß und eines Haars, konnten die Ermittler damals keinen unmittelbaren Tatverdacht gegen einen Terroristen begründen. Die Kriminaltechnik war 1991 noch nicht so weit, mittels ausgefallener Haare DNS-Profile zu erstellen. Erst mehr als zehn Jahre später gelang den Technikern des Bundeskriminalamts (BKA) der entscheidende Durchbruch. Am 16. Mai 2001 gaben sie bekannt, die Erbsubstanz des Haars am Handtuch habe mit neuen Methoden aufgeschlüsselt werden können: "Die Haarspur führt zweifelsfrei zu Wolfgang Grams."

 

Allerdings konnte diese Erkenntnis nicht mehr zu Prozess und Strafe führen. Denn Grams hatte 1993 beim Versuch, ihn auf dem Bahnhof von Bad Kleinen festzunehmen, Selbstmord begangen, nicht ohne vorher noch den GSG-9-Beamten Michael Newrzella zu erschießen. Auch nach dem Forschungserfolg 2001 blieben daher die wichtigsten Fragen offen: Hatte tatsächlich Grams selbst die drei Schüsse abgegeben? War er ein Einzeltäter - oder waren weitere RAF-Mitglieder am Rohwedder-Mord beteiligt?

 

Wie die "Welt" jetzt erfahren hat, war Grams mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht allein am Tatort, einem Schrebergartengelände in den Rheinauen. Neben dem Gartenstuhl, von dem aus der Täter in Manier eines Scharfschützen geschossen hatte, stellten Kriminaltechniker seinerzeit drei Zigarettenkippen sicher. An ihnen hafteten noch geringe Speichelmengen; ihre Untersuchung ergab, dass der Raucher Blutgruppe A hatte - eine andere als Grams. Auf DNA können die Speichelreste allerdings nicht mehr untersucht werden, denn sie reichten damals nur dafür aus, die Blutgruppe zu bestimmen, und wurden für die Analyse verbraucht.

 

Dennoch gibt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Hoffnung nicht auf, den Fall noch zu lösen. Immer wieder werden Akten und Asservate durchforstet, um molekulargenetische Untersuchungen nach neuestem Standard durchzuführen. So werden seit einiger Zeit auch die Bekennerschreiben der RAF auf DNA-Spuren geprüft. An der Erklärung des RAF-Kommandos "Ulrich Wessel", das sich des Mordes an Rohwedder bezichtigt hatte, geschah das bisher ohne Erfolg.

 

Doch die Technik macht rasante Fortschritte, und in einigen Jahren könnte man so weit sein, dass gerichtsverwertbare Beweise gefunden werden. Solcher neu ausgewerteter Spuren auf dem Umschlag eines Bekennerschreiben wegen wird gegenwärtig in Stuttgart der Ex-Terroristin Verena Becker der Prozess wegen des Dreifachmordes an Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seinen beiden Begleitern 1977 gemacht.

 

Vielleicht finden sich auch zum Mord an Rohwedder noch verwertbare Hinweise auf die Täter - etwa in bislang noch unentdeckten Erddepots der RAF. Ermittler haben zudem immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass ehemalige RAF-Mitglieder ihr Schweigen brechen werden. So schrieb Eva Haule, die unter anderem wegen dreifachen Mordes mehr als 21 Jahre in Haft gesessen hatte, im Jahr 2007 in einem Leserbrief an die linksextreme Tageszeitung "Junge Welt": "Hier noch mal klipp und klar: die RAF war verantwortlich u. a. für die Aktionen gegen Alfred Herrhausen, Gerold von Braunmühl und Detlev Rohwedder." Allerdings hält das Schweigegebot der ehemaligen Terroristen, sobald es um konkrete Tatbeteiligungen geht, wie die Auftritte verschiedener Ex-Mitglieder beim Becker-Prozess kürzlich gezeigt haben.

 

Gegenstandslos sind jedenfalls mit Sicherheit die Verschwörungstheorien, denen zufolge "gewisse Kreise aus Wirtschaft und Politik" die Mordanschläge der angeblich gar nicht existenten "dritten Generation der RAF" begangen hätten, um unliebsame Manager aus dem Weg zu räumen. Die Tatwaffe im Fall Rohwedder war bereits vorher bei einem hilflosen Anschlag auf die US-Botschaft in Bonn zum Einsatz gekommen. Dabei hatten bis heute unbekannte Täter am Abend des 13. Februar 1991 mehr als 250 Schuss aus drei Gewehren über den Rhein hinweg gefeuert. Lediglich 62 Geschosse trafen ihr Ziel und verursachten leichten Sachschaden. Die RAF "rechtfertigte" diesen Anschlag mit dem "Vernichtungskrieg gegen das irakische Volk". Gemeint waren die unter UN-Mandat durchgeführten Militärschläge gegen Saddam Hussein, der zuvor den Nachbarstaat Kuwait okkupiert hatte.

 

Der Mord an Rohwedder, den die RAF in ihrem ebenfalls zweifellos echten Selbstbezichtigungsschreiben als "Bonner Statthalter in Ost-Berlin" bezeichnet hatte, war möglicherweise der Versuch der Terroristen, enttäuschte ehemalige DDR-Bürger anzusprechen. Der Treuhand-Chef, der zuvor Staatssekretär im Bonner Wirtschaftsministerium war und den Stahlkonzern Hoesch saniert hatte, wollte die marode Wirtschaft in den damals neuen Bundesländern möglichst sozialverträglich privatisieren.

 

Ein Bemühen, das nicht ins ideologische Bild der RAF passte, dem zufolge der demokratisch legitimierte Prozess der Einheit Deutschlands die "Annektion" der DDR zu einer "faktischen Kolonie der Bundesrepublik" gewesen sei. Doch mit solchen Botschaften drangen die Täter nicht durch: Das Attentat auf Rohwedder fand selbst im Sympathisantenumfeld der RAF keine Zustimmung mehr. Aufgeklärt allerdings ist dieser Mord wie die meisten Anschläge des deutschen Linksterrorismus auch zwei Jahrzehnte später nicht.

 

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