[S] Die Sitzblockade hat ein juristisches Nachspiel

Erstveröffentlicht: 
31.03.2011

Pazifisten. Vor Gericht wird gegen Störer des Bundeswehrgelöbnisses verhandelt. Weitere Verfahren sollen folgen. Von Frederike Poggel

 

Die Rechnung bekam Christian J. Ende Januar präsentiert, als der Bußgeldbescheid in seinen Briefkasten flatterte. 100 Euro plus Gebühren, in Summe 123 Euro, sollte er wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zahlen, weil er am 30. Juli 2010 an einer Sitzblockade vor der Domkirche Sankt Eberhard teilgenommen hat. Als einer von knapp 70 Kriegsgegnern wollte er damit den reibungslosen Ablauf des Bundeswehrgelöbnisses samt anschließendem Gottesdienst stören: 650 Rekruten waren auf den Schlossplatz gekommen, um den Treueeid auf die Bundesrepublik zu leisten.

„Wir wollten ein entschlossenes Zeichen setzen gegen dieses Spektakel”, sagte Christian J. gestern vor dem Amtsgericht Stuttgart. Er sieht sich im Recht - nicht nur, was seine pazifistische Einstellung angeht, sondern auch in der Sache selbst: „Durch die Sitzblockade haben wir die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht unmittelbar gefährdet”, sagt er. Deswegen hat Christian J. wie die meisten der insgesamt 66 Personen, die mit ihm von der Polizei weggetragen worden sind und bis zum Ende des Gelöbnisses auf der Wache bleiben mussten, Widerspruch gegen den „willkürlichen Bußgeldbescheid” eingelegt. Sein Fall wurde gestern, als erster in diesem Zusammenhang, vor Gericht verhandelt - und eine Viertelstunde nach Beginn gleich wieder vertagt.

„Ich sehe überhaupt keine Grundlage Sie freizusprechen”, enttäuschte der Einzelrichter die Erwartungen des Betroffenen und seiner rund 25 Unterstützer, die sich ebenfalls im Saal drei des Amtsgerichts eingefunden und dessen vorgelesener Stellungsnahme lautstark applaudiert hatten. „Sie haben von mir im Urteil auch kein Statement zum Krieg zu erwarten. Hier geht es rein um die Versammlungsfreiheit”, stellte der Richter klar.

Er will Zeugen hören, die Größe der Sperrzone um das Gelöbnis herum nachermitteln sowie überprüfen lassen, ob die Lautsprecheranlage der Polizei funktionierte. Denn nach Angaben von Christian J. war die Aufforderung der Beamten, den Platz auf der Königstraße zu räumen und sich einer angemeldeten Demonstration einen Straßenzug weiter anzuschließen, akustisch nicht verständlich.

„Das Verfahren wird aufgeblasen und die Summierung der Kosten als Druckmittel gegen mich eingesetzt”, entgegnete der Betroffene, was der Richter als Unterstellung zurückwies: „Die Kosten sind hier sicher nicht der Punkt.” Falls das Verfahren den 23-jährigen Auszubildenden doch teuer zu stehen käme, vertraut er auf die Solidarität Gleichgesinnter „Es haben mehrere angedeutet, mich zu unterstützen.” Schließlich sei sein Fall ein Exempel für die Kriminalisierung von Kriegsgegnern.

Verfahren gegen weitere Mitstreiter sind anhängig. Nach Widerspruch seien zehn der 66 Bußgeldverfahren eingestellt worden, teilt das „Offene Treffen gegen Krieg und Militarisierung” mit. Von den anderen gebe es bisher keine Rückmeldung. In Kürze beginne aber ein Prozess wegen der Besetzung von Sankt Eberhard: Fünf Tage vor dem Gelöbnis hatten sich Kriegsgegner in der Domkirche versammelt mit dem Vorhaben, sie bis zum Tag des Bundeswehrspektakels nicht mehr zu verlassen. Die Polizei räumte das Gotteshaus allerdings schon nach zwei Stunden und strengte Verfahren gegen zehn Personen an. Eines davon endet laut dem „Treffen gegen Krieg und Militarisierung” vor Gericht.