Hintergründe zur Antifaschistischen Demonstration am 5. März in Chemnitz

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Am nächsten Samstag, dem 5. März wird unter dem Motto „Damit’s mal richtig sitzt“ in Chemnitz eine antifaschistische Demonstration stattfinden. Beginnen wird die Demonstration um 11 Uhr beim Alternativen Jugendzentrum Chemnitz und wird in die Innenstadt laufen. Die Demonstration ist ein Protest gegen den geplanten Aufmarsch von Neonazis in der drittgrößten sächsischen Stadt.

„Schon im Jahr 2010 wurde die Prophezeiung der Antifa wahr, dass der Trauermarsch zum 5. März der größte Naziaufmarsch seit 1945 werden würde. Diese Warnung kann wieder ausgesprochen werden“, so Ulli Katlewski vom Vorbereitungskreis der Demonstration. Das städtische Verbot der Nazidemonstration wird von ihren Anmeldern juristisch angefochten, ein gerichtlicher Erfolg der Nazis ist wahrscheinlich. Chemnitzer Besonderheit ist, dass sich das offizielle Verbot nicht zu Anwachsen des zivilgesellschaftlichen Protests transformiert, sondern als politische Willensbekundung der Verwaltung vollzogen wird. Es ist deshalb zu befürchten, dass ohne tiefgreifendere antifaschistische Interventionen ein weiterer Erfolg der Nazis bevorsteht.

Wie konnte sich das sogenannte Bombardierungsgedenken am 5. März zu einem solchen Erfolgsevent für Nazis entwickeln?

„Drei Faktoren können zur Erklärung beigezogen werden“, so Ulli Katlewski. „Erstens krankt Chemnitz samt seiner städtischen Öffentlichkeit an seiner selbstwahrgenommenen Provinzialität und Bedeutungslosigkeit.“ Der vor fünf Jahren verstorbene linke Chemnitzer Jugend- und Studentenpfarrer Hans Jochen Vogel hatte 2005 versucht, kurz nach dem Einzug der NPD in den sächsischen Landtag mit der Initiative zum „Chemnitzer Friedenstag“ Antifaschismus und Weltgewandtheit, Kritik und Toleranz mit dem Thema des 5 März zu verflechten. Dies geschah wohl auch in der Vorahnung, welche Bedeutung für Nazis dieses Datum bekommen würde. „Nach seinem Tod schlug das Projekt leider in Regression um. Herbeigezogene Friendsbilder malende Kinder und ein oberflächliches Veranstaltungsprogramm wären dem an Marx geschulten Theologen, polemisierenden Autor und DDR-Oppositionellen ein tiefes Gräuel gewesen“, meint Katlewski. „Haben Faschismus und Kalter Krieg die sprachliche Substanz so stark zersetzt, dass es kaum noch möglich ist, ein Wort zu benutzen, mit dem einmal übers Banalste, Gewöhnlichste hinaus Gefühle angesprochen und Ideen benannt worden sind? Gibt es etwa keine Sehnsucht mehr nach Anerkennung und Würde, kein Bedürfnis nach Gemeinschaft und Hingabe ohne vordergründige eigene materielle Interessen, nach Schönheit und Glück, nach Frieden und Harmonie trotz aller nötigen Auseinandersetzungen, nach Großzügigkeit, Verstehen und Verzeihen, nach menschlicher Geschwisterlichkeit als den Zielen, worum gerade jetzt gekämpft werden muss?“ Das fragte Hans Jochen Vogel 2004 in der Zeitschrift Ossietzky. Die Tiefe der angesprochenen Begriffe scheint den Organisatoren/-innen des heutigen Friedenstags wenig bewusst zu sein.

Ein weiterer Faktor sind die Verschiebungen im geschichtspolitischen Diskurs in Deutschland: Deutsche Verbrechen im Zweiten Weltkrieg werden zwar anerkannt, aber um nur letztendlich auf das Leid zu verweisen, was auch die Deutschen erlitten hätten. Somit kann der SS-Offizier auch nur zum Opfer des Bombenkrieges erklärt werden. Hier liegt einer der wesentlichen Gründe dafür, warum heute nicht mehr nur eine lächerlich Handvoll Rechter die Bombardierung eines Kindergartens in Chemnitz Bernsdorf als Aufhänger ihres Geschichtsrevisionismus bedient. Mit der Emotionalisierung des Bombenkrieges können Nazis heute wieder Entschlossenheit demonstrieren, wenn sie zu Hunderten durch Chemnitz ziehen.

Der dritte Faktor bezieht sich auf den gestärkten antifaschistischen Protest in Dresden, der Chemnitz als ruhiges Hinterland für gelungene Aufmärsche attraktiver macht. „Chemnitz ist kein zweites Dresden. Es ist eine Ausweichmöglichkeit für den Nazi-Gedenkmarsch in Dresden. Eine einfach Übertragung der Proteste dagegen nach Chemnitz ist nicht möglich, dies müssen die bürgerlichen Antifaschist_innen verstehen“, so Katlewski. „Es muss darum gehen das Chemnitzer Naziproblem als Problem der aktuellen gesellschaftlichen Zustände anzugehen, eine Kritik, wie sie auch im Sinne Hans Jochen Vogels gewesen wäre“.