Polizei spricht von Millionenschaden

Erstveröffentlicht: 
03.02.2011

In „blinder Zerstörungswut“ seien die Randalierer am Mittwochabend durch die Straßen gezogen, bilanzierte Berlins Polizeipräsident Glietsch am Donnerstag. Insgesamt wurden mehr als 100 Polizisten verletzt.  Von Jörn Hasselmann

 

Die Extremisten haben ihre Drohung offenbar wahrgemacht: „Bei Räumung eine Million Schaden“, hatten Autonome bereits Tage vor dem Einsatz im Internet angekündigt. Einen Tag nach der Räumung des linken Hausprojekts „Liebig 14“ zog Polizeipräsident Dieter Glietsch am Mittwoch eine erste Bilanz. Es werde noch Wochen dauern, sagte Glietsch, bis der genaue Schaden feststeht, den die Linksextremisten in den vergangenen Tagen angerichtet haben. Derzeit könne man nicht ausschließen, dass die Millionen-Euro-Grenze erreicht oder sogar überschritten worden ist.

 

Allein in der Nacht zu Donnerstag hinterließen die Autonomen in Friedrichshain eine Schneise der Zerstörung.

 

Glietsch sprach von „politisch motiviertem Vandalismus“. Nach der Demonstration waren Gruppen von Gewalttätern in unterschiedlicher Stärke, zwischen 20 bis 200 Personen, „in blinder Zerstörungswut“ durch die Straßen gezogen. Die Liste der mit Pflastersteinen attackierten Gebäude, die Glietsch gestern vorlas, ist lang: „eine Polizeiwache, mehrere Bankfilialen, Supermärkte, die O2World, der Liegenschaftsfonds, der Ostbahnhof, ein Autohaus, zwei Kaufhäuser, Modegeschäfte, Bürogebäude, Straßenlaternen, die BSR, ein BVG-Bus, Autos, eine Telefonzelle und ein Stromverteilerkasten“.

 

Glietsch lobte, dass es dank der hohen Zahl von 2500 eingesetzten Beamten, gelungen sei, eine Ausweitung der Krawalle auf Kreuzberg zu verhindern. Dafür hatte die Polizei die Oberbaumbrücke abgeriegelt. Doch das Präsidium übte auch Kritik an der Einsatzleitung: Vor der O2-Arena und am Ufer der Spree habe uniformiertes Personal gefehlt. Es sei schließlich vorherzusehen gewesen, dass die Randalierer in Richtung O2-Arena und Ostbahnhof ausweichen, wenn die Oberbaumbrücke abgesperrt wird. Doch vor der neuen Halle seien gar keine Beamten postiert gewesen, am Ostbahnhof nur wenige Bundespolizisten der dortigen Bahnpolizeiwache.

 

Insgesamt wurden am Mittwoch 82 Verdächtige festgenommen, 65 Männer und 17 Frauen. 68 der Tatverdächtigen sind deutscher Herkunft. 54 leben in Berlin, 15 Personen stammen aus dem übrigen Bundesgebiet. Von den Festgenommenen sollen 22 dem Haftrichter vorgeführt werden. 35 der Festgenommenen sind der Polizei bekannt, davon 16 einschlägig. Gegen sie wurde bereits wegen politisch motivierten Straftaten ermittelt.

 

Bei der Räumung und den anschließenden Krawallen wurden 61 Beamte verletzt, die meisten im Stein- und Flaschenhagel oder bei Festnahmeversuchen. Schwer verletzt wurde niemand. Auch die Krawalle vom vergangenen Sonnabend gehören in die Liebig-Bilanz: Am Sonnabend waren bereits 40 Beamte einer Demonstration verletzt worden. Insgesamt hat der Streit um das Haus also mehr als 100 verletzte Polizisten gefordert. Keine Erkenntnisse gibt es über die Zahl der verletzten Demonstranten und Randalierer. Ungeklärt ist bislang, wie lange die neun Besetzer, die sich am Mittwoch in der Liebigstraße 14 verschanzt hatten, dort schon wohnten. Beamte hatten drei Italiener, einen Spanier, eine Französin und vier Deutsche festgenommen, darunter zwei Frauen. Drei der vier Deutschen und ein Italiener sind bereits einschlägig polizeilich bekannt.

 

Unklar ist, ob auch die am Mittwochabend in einer S-Bahn gefundene Bombenattrappe einen Zusammenhang mit der Liebig 14 hat. Reisende hatten den Koffer gefunden, darin befand sich der Nachbau eines Sprengsatzes. Einige Nächte zuvor hatten Unbekannte mehrere Ampeln an großen Kreuzungen sabotiert. Wie berichtet, hatte es vor der Räumung Aufrufe gegeben, auch den Nahverkehr zu stören.

 

Die Berliner Grünen dankten gestern der Polizei für den Einsatz, die „in einer schwierigen Lage gut und besonnen agiert“ habe. Die CDU forderte Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) zum Rücktritt auf. Dieser „sympathisiere mit gewalttätigen Chaoten und Rechtsbrechern“, heißt es in einer Mitteilung.

 

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Am Rostocker Stadthafen ist nach Presseschmierern und Polizeilügnern damals auch ein angeblicher Schaden in mehrfacher Millionenhöhe entstanden.

Im Nachhinein wurde der Schaden auf 50.000€ beziffert.

Die Berliner Polizei schreibt:

 

Polizeipräsident Dieter Glietsch in der Pressekonferenz zu den Einsatzmaßnahmen der Berliner Polizei im Zusammenhang mit der Räumung des Hauses Liebigstraße 14 am 02. Februar 2011:

 

„Der Berliner Polizei hat sich gestern eine außerordentlich komplexe und schwierige Aufgabe gestellt.

Sie war rechtlich verpflichtet, Amtshilfe für den Gerichtsvollzieher bei der Räumung des Hauses Liebigstraße 14 zu leisten, eines „alternativen Wohnprojekts“ mit hohem Symbolwert in der linksextremen Szene. Der Anlass war geeignet, das gewaltbereite Potential dieser Szene zu mobilisieren, was bereits vor dem Einsatz durch eine Vielzahl von Straftaten sowie die öffentliche Androhung massiven Widerstands und gewalttätiger Protestaktionen deutlich wurde. Sie sollten dezentral, vielfältig, phantasievoll durchgeführt werden, wie es in diversen Verlautbarungen hieß.

Dass die Drohungen ernst gemeint waren, hat sich nicht erst am Samstag, den 29. Januar gezeigt, als die Auseinandersetzung mit der Polizei offenkundig gesucht und Polizeikräfte gezielt und massiv angegriffen wurden. Die Folge waren 40 verletzte Polizeibeamtinnen und -beamte.

Wir wussten also, dass wir es am Räumungstag mit einer sich möglicherweise weiter verstärkenden gewaltbereiten Protestszene im Rahmen angemeldeter oder nicht angemeldeter Aktionen zu tun haben würden.

Obwohl dies alles bekannt war, sind wir gestern immer wieder gefragt worden, warum man denn für die Räumung eines einzigen Hauses 2.500 Einsatzkräfte brauche und ob das denn noch verhältnismäßig sei.

 

 

Deshalb will ich hier noch einmal betonen:

Es ging nicht nur um die Räumung eines Hauses, sondern wir hatten uns vorzubereiten auf all das, was ich gerade beschrieben habe, also auf Maßnahmen gegen Gewalt, verteilt über die ganze Stadt und über Tag und Nacht, mehr als 24 Stunden.

Das haben wir sehr gründlich getan. Dazu braucht man ein ausgereiftes Konzept, erfahrene Führungskräfte und professionelle Einsatzkräfte in angemessener Stärke. Dies zusammengenommen ist die Voraussetzung für die Gewährleistung von Verhältnismäßigkeit. Sie misst sich nicht an der Zahl der eingesetzten Kräfte, sondern an der Art und Weise des polizeilichen Vorgehens, an der Schwere des Eingriffs.

Verhältnismäßiges und differenziertes Vorgehen bei komplexen Problemlagen, wie wir sie gestern hatten, ist nur möglich mit starken Kräften. Die Gefahr, dass zu hart, zu undifferenziert und mit den falschen Mitteln eingeschritten wird, steigt bei unzureichender Kräfteausstattung. Genau das galt es zu vermeiden, und das ist uns gestern bei der Bewältigung unserer Aufgaben gelungen. Dafür bedanke ich mich bei Herrn Brenner, dem Polizeiführer des Einsatzes, und bei allen eingesetzten Kräften meiner Behörde und der uns unterstützenden 13 Einheiten anderer Bundesländer und der Bundespolizei. Sie haben alle gemeinsam eine hervorragende Arbeit geleistet.

 

Für zwei Dinge möchte ich Sie ausdrücklich um Verständnis bitten, bevor ich auf Einzelheiten eingehe.

Erstens: Wir konnten gestern Vormittag in der Liebigstraße die Medienvertreter nicht so dicht an den Ort des Geschehens führen, wie sie es gerne gehabt hätten. Wir mussten nicht nur vermeiden, dass die polizeilichen Maßnahmen gestört wurden, sondern wir mussten auch dafür sorgen, dass niemand durch Aktivitäten aus dem besetzten Haus oder anderen Gebäuden gefährdet werden konnte. Wenn Sie sich dadurch stärker behindert fühlten, als dies aus Ihrer Sicht nötig war, bedauere ich dies ausdrücklich. Es war nicht unsere Absicht.

Zweitens: Wir haben uns im Vorfeld des Einsatzes sehr mit Informationen über unsere Lagebewertung und unsere Vorbereitung zurückgehalten. Meine Mitarbeiter und ich sind davon überzeugt, dass es die polizeiliche Aufgabenerfüllung erschweren würde, wenn wir durch detaillierte Angaben über unsere Erkenntnisse, unsere Lagebeurteilung, unsere Erwartungen oder Befürchtungen und unsere Einsatzplanungen nicht nur die Öffentlichkeit, sondern damit auch die gewaltbereite linksextremistische Szene informieren würden.

 

Über den Verlauf der Räumung des Hauses Liebigstraße 14 sind Sie gestern umfassend informiert worden. Sie wissen, dass das Haus massiv verbarrikadiert war und sich die Einsatzkräfte über vier Stunden bis zu der Wohnung vorarbeiten mussten, in der dann insgesamt neun Personen angetroffen und wegen Hausfriedensbruchs, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung festgenommen wurden. Bei ihnen handelt es sich um drei Italiener, einen Spanier, eine Französin und vier Deutsche (darunter zwei Frauen). Drei der vier Deutschen und ein Italiener sind bereits einschlägig polizeilich bekannt.

 

Während der Räumungsmaßnahmen versuchten Gruppen von bis zu 500 zum Teil vermummten Personen, im Rahmen von Störaktionen und Aufzügen im Bereich Frankfurter Allee die Polizei durch das Verbringen von Gegenständen auf die Fahrbahn und durch Steinwürfe in Auseinandersetzungen zu verwickeln. In diesem Zusammenhang wurden 30 Personen festgenommen und neun Polizeibeamte verletzt.

 

Zwei angemeldete Aufzüge in Prenzlauer Berg und Neukölln verliefen mit 50 bzw. 500 Teilnehmern störungsfrei.

 

Am Abend versammelten sich dann ca. 1.200 Personen am Boxhagener Platz in Friedrichshain, um an einem nicht angemeldeten, aber öffentlich angekündigten Aufzug teilzunehmen. Nachdem sich vor Ort jemand als Versammlungsleiter gemeldet und angekündigt hatte, man wolle in Richtung Rigaer Straße/Liebigstraße ziehen, wurde ein Aufzug über Grünberger Straße, Simon-Dach-Straße und Revaler Straße zur Warschauer Straße gestattet, der um 19 Uhr 45 begann und bereits um 20 Uhr 15 vorzeitig vom Versammlungsleiter in Höhe der Kopernikusstraße für beendet erklärt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Aufzug ca. 1.500 Teilnehmer.

 

Was sich danach aus dieser Menge heraus entwickelte, kann man als politisch motivierten Vandalismus bezeichnen. Gruppen von Gewalttätern in unterschiedlicher Stärke – zwischen 20 und 200 – zogen in blinder Zerstörungswut durch Friedrichshain, während eine Gruppe von ca. 600 Personen durch die Polizei daran gehindert wurde, sich Richtung Kreuzberg zu bewegen.

 

In den folgenden Stunden wurden teils wahllos, teils gezielt Sachbeschädigungen an Objekten unterschiedlichster Art begangen, darunter ein Polizeidienstgebäude, Bankfilialen, Supermärkte, die O2World, der Liegenschaftsfond, der Ostbahnhof, ein Autohaus, zwei Kaufhäuser, Modegeschäfte, Bürogebäude, Straßenlaternen, die BSR, ein BVG-Bus, Autos, eine Telefonzelle und ein Stromverteilerkasten. Die Tatorte liegen ganz überwiegend in Friedrichshain. Dank des verfügbaren großen Kräfteaufgebots ist es gelungen, durch Sperrmaßnahmen eine Ausweitung der Gewalttaten auf andere Stadtteile weitgehend zu verhindern und zahlreiche Straftäter festzunehmen.

 

Die Zahl der Festnahmen des gestrigen Tages und der Nacht beläuft sich auf insgesamt 82 Personen. Die Bearbeitung ist noch nicht abgeschlossen, deshalb sind unsere Erkenntnisse dazu noch nicht vollständig. Zurzeit stellen sie sich wie folgt dar:

Unter den Festgenommenen befinden sich 65 Männer und 17 Frauen. 68 der Tatverdächtigen sind deutscher Herkunft. 54 leben in Berlin, 15 Personen stammen aus dem übrigen Bundesgebiet. Derzeit wird beabsichtigt, 22 Personen zwecks Herbeiführung eines Haftbefehls vorzuführen.

Insgesamt verfügen 35 der Festgenommenen über kriminalpolizeiliche Vorerkenntnisse; darunter 16 Personen aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität.

 

Im Verlauf der polizeilichen Einsätze wurden insgesamt 61 Polizeibeamte verletzt, überwiegend durch Wurfgeschosse und bei Widerstandshandlungen. Schwerwiegende Verletzungen sind nach dem bisherigen Erkenntnisstand glücklicherweise nicht darunter.“