Antifaschist untergetaucht

Erstveröffentlicht: 
12.01.2011

Martin R. droht nach Böllerwurf eine DNA-Probe. Scharfe Kritik von SPD, Grünen und LINKE
Weil ihm eine DNA-Probe droht, ist ein dunkelhäutiger Antifaschist untergetaucht. Kritiker sagen: Die Speicheluntersuchung ist völlig unangemessen. Besteht ein Zusammenhang mit einem angeblichen Attentat auf die Göttinger Ausländerbehörde?

 

Es kommt wohl selten vor, dass das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit einem Böllerwurf angerufen wird. In Göttingen war das in diesen Tagen der Fall: Der 20-jährige Antifa-Aktivist Martin R. weigert sich, eine Speichelprobe abzugeben und so eine Untersuchung seiner DNA zu ermöglichen. Die hatte das Landgericht Göttingen angeordnet, weil R. auf einer Demonstration einen Silvester-Knaller entzündet haben soll. Doch die Karlsruher Richter nahmen den Fall nicht zur Entscheidung an. »Ohne Begründung«, ärgert sich R.s Anwalt Sven Adam.

Nun ist sein Mandant untergetaucht. »Es ist mir nicht leicht gefallen eine Entscheidung zu treffen, die mich von meinen Freunden und Familie für einen unbestimmten Zeitraum trennen und meine Ausbildung gefährden wird«, sagt Martin R. »Trotzdem habe ich keine andere Möglichkeit gesehen, auf diese Situation aufmerksam zu machen.«

Die Polizei erließ einen Haftbefehl. Martin R. ist zur Fahndung ausgeschrieben. Ungewöhnlich: Es sei das erste Mal, dass die Staatsanwaltschaft für die Abgabe einer DNA-Probe eine Fahndung eingeleitet habe, erklärt Oberstaatsanwalt Hans Hugo Heimgärtner. Ein erheblicher Knalleffekt für einen handelsüblichen Böller!

Der Haftbefehl lasse »jegliches Augenmaß vermissen«, bei Staatsanwaltschaft und Polizei gebe es Menschen, die an einer Deeskalation nicht interessiert sind, kritisiert Göttingens SPD-Chef Horst Reinert. »Es ist völlig klar, dass er sich der DNA-Probe entzieht«, solidarisiert sich auch der LINKE-Landtagabgeordnete Patrick Humke-Focks mit Martin R. »Jetzt müssen wir den Boden bereiten, dass er nicht auf Dauer in die Illegalität getrieben wird.« Nur schwere Straftaten, nicht jedoch der Missbrauch von Silvesterböllern könne DNA-Tests rechtfertigen, referiert der grüne Landtagsfraktionsvorsitzende Stefan Wenzel.

Letzteres sieht der Gesetzgeber ähnlich. Doch ein Polizist will durch den Böllerlärm ein Knalltrauma erlitten haben. Für das Landgericht ein Fall von schwerer Körperverletzung – DNA-Probe gerechtfertigt. Da in Zukunft ähnliche Straftaten zu befürchten seien, solle sein DNA-Profil vorsorglich gespeichert werden.

Der Fall hat, man ahnt es, eine lange Vorgeschichte: Am 27. Januar 2010 kam es in der Teeküche der Kreisausländerbehörde Göttingen zu einem Brand. Beim Löschen verletzte sich ein Mitarbeiter. Die Polizei sprach von einer »Sprengstoffexplosion« mit wahrscheinlich linken Urhebern. Schließlich sei »szenetypisch« Klebstoff zum Einsatz gekommen. Was für die Lokalpresse Ergebnis »frühpubertärer Bastelei« und für den LINKEN Humke-Fock eine »Verpuffung mit unklarer Ursache« ist, bewertet der niedersächsische Verfassungsschutz als »neue Qualität der linksextremistischen Gewalt«.

In der Folge wurde ein alternatives Wohnprojekt in der Roten Straße durchsucht – ein Spürhund soll die Ermittler schnüffelnd vom Kreishaus direkt zu den Linken geführt haben. Gegen die Hausdurchsuchung, die mittlerweile für rechtswidrig erklärt wurde, richtete sich die Demonstration, auf der der Böller explodierte.

Soll der nun als Vorwand dienen, um in Sachen »Brandanschlag« gegen Martin R. zu ermitteln – auch ohne saubere rechtliche Grundlage? »Der Verdacht liegt nahe«, heißt es in einem Offenen Brief, der unter anderem von SPD-, Grünen- und ver.di-Jugend unterschrieben wurde. Nach einer »skandalösen Ermittlungspleite« sei »flugs ein neuer Linker als Täter auserkoren« worden.

Pikantes Detail: Nach Informationen der Lokalpresse enthält R.s Ermittlungsakte keine einzige Zeugenaussage, »die auf einen gezielten Böllerwurf hindeutet«. Nicht einmal das.