Polizei provoziert Krawall

Schlagen ohne Erbarmen zu – Polizeieinsatz am 30. September in Stuttgart
Erstveröffentlicht: 
19.10.2010

Während der Focus in seiner aktuellen Ausgabe unter Verweis auf das Bundes­kriminalamt (BKA) vor militanten Atomkraftgegnern bei den Protesten gegen den nächsten Castortransport warnt, packen im Hamburger Abendblatt (Montagausgabe) Polizisten über Gewalttäter und Krawallmacher aus, etwa bei den Auseinandersetzungen um das Bahnhofsprojekt »Stuttgart 21«: Beamte in Uniform und »agent provocateurs« in Zivil. Ein 48jähriger Polizist, der Ende September, Anfang Oktober mit seiner Hundertschaft im Stuttgarter Schloßgarten mitten im »Kampfgetümmel« war, berichtet in der Zeitung, der Einsatz von Wasserwerfer, Schlagstock und Pfefferspray gegen »friedlich demonstrierende Bürger, Kinder, Rentner und brave Schwaben« sei ein Schock für ihn gewesen. 400 Demonstranten wurden dabei verletzt. Das Hamburger Abendblatt zitiert den Polizei-Insider mit den Worten: »Wenn man scharfe Kampfhunde, ich meine die Polizei-Spezialeinheiten, mit zu einer Demonstration nimmt und sie dann auch noch ohne ersichtlichen Grund von der Leine und räumen läßt, dann beißen sie ohne Erbarmen zu. Dafür wurden sie gedrillt und ausgebildet. Das wußten die, die für den Einsatz verantwortlich waren, ganz genau. Sie mußten das Okay von oben haben. Von ganz oben. Mindestens vom Innenministerium.«

 

Mit »scharfen Kampfhunden« sind die schwarz und dunkelgrau gekleideten, meist sehr jungen Kollegen von den sogenannten Beweis- und Festnahmeeinheiten (BFE) gemeint, die beim Prügeleinsatz in Stuttgart am 30. September größtenteils von der Bundespolizei und aus Bayern kamen.

Ein anderer Polizist berichtet im Abendblatt: »Ich weiß, daß wir bei brisanten Großdemos verdeckt agierende Beamte, die als taktische Provokateure, als vermummte Steinewerfer fungieren, unter die Demonstranten schleusen. Sie werfen auf Befehl Steine oder Flaschen in Richtung der Polizei, damit die dann mit der Räumung beginnen kann.« Ähnliches hatte der Stuttgarter Krimiautor Wolfgang Schorlau unmittelbar nach dem polizeilichen Gewaltausbruch Ende September im Gespräch mit junge Welt geäußert (jW vom 2./3. Oktober 2010). Die Gruppe »Jugendoffensive gegen ›Stuttgart 21‹« berichtete, daß auf einem Video zu sehen ist, wie ein als »Demonstrant« agierender »agent provocateur« im Schloßgarten Polizisten mit Pfefferspray attackierte – und danach hinter den Reihen seiner Kollegen verschwand. Der Film war kurzzeitig im Internetportal Youtube zu sehen, dann aber gelöscht worden.

Jochen Stay, Sprecher der Antiatom­organisation »ausgestrahlt«, nannte die Enthüllungen am Montag »ungeheuerlich« Es sei »ein bodenloser Skandal, wenn BKA und Innenminister fast täglich vor Krawallen rund um Gorleben warnen und gleichzeitig innerhalb der Polizei genau diese Ausschreitungen vorbereitet werden«. Angesichts des bevorstehenden Castortransports nach Gorleben müßten die Innenminister von Bund und Ländern »definitiv« sicherstellen, »daß im Wendland weder auf Kampf gedrillte Spezialeinheiten noch Provokateure eingesetzt werden.«

In Gorleben würden Tausende Bürger aus Sorge um die Zukunft gewaltfreien Widerstand leisten. Sie gingen auf die Straße, so Stay, weil sie es nicht hinnehmen wollen, daß die Ener­giepolitik in diesem Land von vier Atomkonzernen bestimmt wird. »Die Regierung muß endlich begreifen, daß diese Probleme nicht mit Polizeigewalt zu lösen sind. Und sie muss aufhören, Tausende Polizeibeamte für die Durchsetzung einer verfehlten Politik zu mißbrauchen.«