Richter arbeiten Anzeigen des Antifa-Einsatzes ab

Erstveröffentlicht: 
08.10.2010

Richter arbeiten Anzeigen des Antifa-Einsatzes ab

 

Freiburg Mehr als 160 Verfahren gegen Demonstranten sind bereits mangels Tatverdachts eingestellt worden. Von Heinz Siebold

 

Es braucht nicht viel, um in die Mühlen der Justiz zu geraten. Julian K. (20) aus Freiburg fühlte sich geradezu verpflichtet, am 14. November letzten Jahres zu demonstrieren. Schließlich ging es gegen Neonazis, und als Vorstand eines Jugendzentrums hatte er selbst erlebt, wie unangenehm Begegnungen mit Ultrarechten sein können.

Dass die Anti-rechts-Demo nicht angemeldet war und der Veranstalter, die Autonome Antifa, dazu aufgerufen hatte, vermummt in der Freiburger Altstadt zu erscheinen, hatte Julian K. gar nicht mitbekommen. Es war diesig, kalt und nieselte zuweilen, so dass er eine Wollmütze aufsetzte. Dass er diese zeitweise tief in die Stirn und ein Halstuch über die Nase gezogen hat, ist auf Bildern der Polizei festgehalten worden. Allerdings auch, dass er kurz danach sein Gesicht wieder frei hatte.

War das nun eine "Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern"? Und demnach gemäß Paragraf 17a des Versammlungsrechtes strafbar ist? "Vielleicht", sagte Jugendrichterin Löwen, während selbst der Staatsanwalt skeptisch den Mund verzog und von "rechtlichen Problemen" murmelte. Einen Rechtsanwalt hatte Julian K. gar nicht mitgebracht. Er brauchte ihn nicht, denn es war so offensichtlich, dass der mittlerweile 21-jährige Erzieher in Ausbildung alles andere als ein aggressiver Gewalttäter ist. Er stand in der Demo, geriet in der Enge der Altstadtgasse in die Nähe des Blocks von Schwarzgekleideten, die er nicht kannte und zu denen er sich nicht zählt.

Nur, er kam, als die Demo von der Polizei eingekesselt wurde, dort nicht mehr weg, wurde erkennungsdienstlich behandelt und angezeigt. Den Strafbefehl wollte er nicht akzeptieren und ging - "weil ich meinen Standpunkt darlegen will" - unerschrocken zum Amtsgericht Freiburg. Nach knapp zwanzig Minuten war die Sache erledigt: Einstellung des Verfahrens nach Paragraf 153 der Strafprozessordnung. "Das ist offensichtlich so geringfügig, also wollen wir"s dabei bewenden lassen", lächelte die Jugendrichterin, der Staatsanwalt packte seine Akten weg.

Wieder einer abgehakt - ein Fall von vielen, die derzeit das Amtsgericht Freiburg beschäftigen. Die Arbeit hat den Richtern die Polizei eingebrockt. Eine schwarz-grüne Streitmacht von 800 Mann hatte die rund 700 Demonstranten eingekesselt und von 381 Leuten die Personalien aufgenommen. Dann wurden 261 Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft Freiburg angestrengt, vor allem wegen Verstößen gegen das Vermummungsgebot, wegen Landfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Der Polizeieinsatz wurde von Kritikern wie der Landtagsabgeordneten Edith Sitzmann als unverhältnismäßig und überzogen verurteilt. Grüne Gemeinderäte argwöhnten, die Freiburger Polizeiführung habe mal ein Exempel statuieren wollen.

Bereits am Montag dieser Woche kamen gleich vier junge Leute vor Gericht, auch ihnen wurde vorgehalten, sie hätten sich vermummt. Sie hätten Angst gehabt, sagten sie vor Gericht aus, dass als Fotografen getarnte Neonazis Aufnahmen von ihnen machten. "Ja, es gab im letzten Herbst das Gefühl einer realen Bedrohung von rechts in der linken Szene", bestätigt Rechtsanwältin Angela Furmaniak. Es hatte im Sommer 2009 am Freiburger Dreisamufer eine Messerattacke von wohl alkoholisierten Neonazis auf Linke gegeben, und im September war in Weil der Stützpunktführer der Jungen Nationaldemokraten als mutmaßlicher Bombenbastler verhaftet worden. Die rechte Szene schäumte vor Wut.

Von diesen vier Verfahren sind zwei gegen geringe Geldauflagen eingestellt worden und bei zwei Verurteilungen senkte das Gericht die Geldstrafen von 500 auf 100 Euro. Laut der Freiburger Staatsanwaltschaft sind jetzt 28 Fälle durch Strafbefehle und Urteile erledigt, neun Fälle sind in andere Orte abgegeben worden. Demnach blieben immer noch 64 Verfahren abzuarbeiten. 160 Fälle wurden bereits mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.