[B] „Tanz' den Adolf Hitler“ - Mit Nazi-DJs für „Demokratie, Vielfalt und Toleranz“ in Marzahn-Hellersdorf

Bild 1 Programm Spaceparade

Am 15.07.2017 fand in Berlin-Marzahn die “Spaceparade 2.0” statt. Unter dem Motto “Mehr Liebe wagen” sollte der Technoumzug im Stil der “Loveparade” bzw. dem “Zug der Liebe” laut Pressemitteilung ein wichtiges Zeichen im Bezirk setzen: “Mit wummernden Bässen, bunten Ravern und Freude am Tanzen soll Einsamkeit und Alltagsrassismus Lust auf Menschlichkeit und Demokratie entgegen gesetzt werden.” Doch selbst dieses schwammige Ziel wurde mehr oder weniger verfehlt. Statt dem angestrebten „Freiraum“ für „Demokratie, Vielfalt und Toleranz“ war die Parade eher ein umherziehendes Dorffest für besoffene Deutsche. Toleranz gab es von Seiten der Verantwortlichen des „Bündnisses für Demokratie und Toleranz“ vor allem für rechte Bekleidungsmarken und anwesende Neonazis.[1] Die als Toleranz getarnte Ignoranz ging sogar so weit, dass auf dem zentralen „Demokratie“-Wagen bekennende Neonazis und ihre Sympathisanten als DJs auflegen konnten - zusammen mit dem ehemaligen Koordinator der bezirklichen Netzwerkstelle für Demokratieentwicklung Raiko Hannemann.

 

Robin Preibisch – Möchtegern-Hooligan und Freizeit-DJ

 

Das Programm vom sogenannten „Demokratie“-Wagen wies neben Hannemann noch zwei weitere DJs aus: „Enrique Contare“ und „Robin Preibisch“ [Bild 1]. Letzterer treibt sich schon seit einigen Jahren in der Berliner DJ-Szene herum. Zusammen mit André Wiese, der ebenfalls bei der „Spaceparade 2.0“ auftrat (aber auf einem anderen Wagen), legte Preibisch er als Duo „Wiese und Preibisch“ auch in populäreren Berliner Locations auf. So waren beide mehrmals im „SODA“-Club in der Kulturbrauerei zu Gast [Bild 2] - u.a. im Rahmen der „Lovebase“-Party am 27.06.2015, die als offizielle Party vom CSD und dem „Pridefest“ 2015 beworben wurde.[2] Seit 2015 fiel Preibisch jedoch weniger als DJ und vielmehr als regelmäßiger Teilnehmer rechter Demonstrationen auf - vor allem bei den wöchentlichen Aufmärschen der Berliner PEGIDA-Abspaltung BÄRGIDA. Als den Eigentümer*innen des „SODA“ diese Info von aufmerksamen Besuchenden zugetragen wurde, war die Karriere von Preibisch beendet und sein ehemaliger Partner André Wiese machte (bis jetzt) ohne ihn weiter.


Auf diese Weise hatte Preibisch noch mehr Zeit für seine politischen Aktivitäten als Mitglied des sogenannten „Bündnis Deutscher Hools“ (kurz: B.D.H.). Obwohl der Zusammenschluss von Berliner Möchtegern-Hooligans, innerhalb der Neonaziszene als „Kinder-HoGeSa“ verlacht wurde, entwickelte es zeitweise eine relativ große Anziehungskraft auf junge und unorganisierte Rechte. Auch Preibisch war 2015 an nahezu allen Aktivitäten vom B.D.H. beteiligt. So nahm er nicht nur an den BÄRGIDA-Aufmärschen teil, sondern übernahm dort auch offizielle Ordner-Aufgaben (u.a. am 03.10.2015). Darüber hinaus protestierte er mit seinen Hooligan-Kameraden und der NPD gegen die Eröffnung von Containerlagern für Geflüchtete in Marzahn und Falkenberg [Bild 3], nahm an der bundesweiten AfD-Demonstration am 07.11.2015 in Berlin teil [Bild 4] und fuhr mit dem B.D.H. auch mal auswärts. Insgesamt wurde das Hooligan-Bündnis für ihn zum primären sozialen Umfeld, wobei er zunehmend mit dem Merchandise der Gruppe auftrat, auf den zahlreichen Gruppenfotos vertreten war [Bild 5] und teilweise privat mit den anderen Kameraden feiern ging. Doch auch ohne das B.D.H. nahm Preibisch an rechten und neonazistischen Demonstrationen teil, z.B. am 12.03.2016 bei der „Merkel muss weg!“-Demonstration von „Wir für Berlin und wir für Deutschland“ in Berlin-Mitte oder am 02.04.2016 bei einem Aufmarsch von Autonomen Nationalisten in Marzahn-Hellersdorf [Bild 6].


Seit einiger Zeit ist Preibisch seltener auf Demonstrationen anzutreffen. Dennoch war er jahrelang in rechte bis neonazistische Strukturen in Berlin eingebunden und übernahm dort teilweise organisatorische Aufgaben. Bis heute pflegt er zu einzelnen Akteuren ein sehr gutes persönliches Verhältnis, wie ein Party-Foto vom 06.08.2017 beweist. Darauf ist er mit Enrico Schottstädt, dem Gründer vom B.D.H., freundschaftlich feiernd zu sehen [Bild 7]. Schottstädt ein Beispiel für die Gefahr, die vom B.D.H. und seinen Mitgliedern ausgeht, da er u.a. 2015 für einen Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete in Marzahn verantwortlich gemacht wurde.[3] Obwohl Preibisch gerade kaum politisch in Erscheinung tritt, ist dies kein Zeichen einer Abkehr von der rechten Szene. Eher scheint er momentan etwas Gras über seine Aktivitäten wachsen lassen zu wollen, um sich erneut der DJ-Karriere zuwenden zu können. So ist er seit wenigen Wochen als „Robyn de Clair“ im Programm der Agentur „No Limits“ von seinem alten Partner André Wiese gelistet [Bild 8]. Auch wenn Wiese selbst kein Neonazi zu sein scheint, ist sein Engagement für Preibisch einigermaßen verwunderlich. Unter diesen Umständen wirkt der Auftritt diverser „No Limits“-Künstler*innen auf der „Spaceparade 2.0“ ebenfalls stark fragwürdig. Darüber hinaus hat Preibisch mit „Durch & Durch“ ein neues (momentan noch rein virtuelles) DJ-Projekt zusammen mit „Enrique Contare“, mit dem er zusammen auf dem „Demokratie“-Wagen auflegte [Bild 9].

„Enrique Contare“ – Ein typischer rechter Wutbürger?     

 
Im Gegensatz zu Preibisch ist sein neuer Partner „Enrique Contare“ (DJ- und Facebookname), dessen bürgerlicher Name nicht bekannt ist, bisher kaum durch sein politisches Engagement aufgefallen. Dennoch nahmen beide gemeinsam an einigen rechten Demonstrationen teil – u.a. am 12.03.2016 bei „Merkel muss weg!“ [Bild 10]. Dabei scheint auch „Contare“ keine Berührungsängste mit offen neonazistischen Kreisen zu haben, da er zusammen mit Preibisch den Aufmarsch Autonomer Nationalisten am 02.04.2016 in Marzahn-Hellersdorf besuchte [Bild 11]. Darüber hinaus drückt er auf seiner Facebook-Seite offen Sympathie für die AfD aus [Bild 12], lässt sich in bester PEGIDA-Manier über die „drecks politiker“ aus und unterstützt Mordfantasien gegenüber Geflüchteten. In diesem Sinne ist „Contare“ ein gutes Beispiel für das wachsende Selbstvertrauen rechter Wutbürger in der BRD, denen selbst noch auf einem Festumzug für „Demokratie, Vielfalt und Toleranz“ eine Bühne gegeben wird.

Mit Neonazis für mehr Demokratie   

 
Mit Blick auf die politischen Hintergründe von Preibisch und „Contare“ ist ihr Auftritt als DJs auf der „Spaceparade 2.0“ höchst unverständlich. So handelte es sich bei der Parade nicht um eine alltägliche Demonstration oder Musikveranstaltung. Schon die ursprünglich angedachte Zahl von bis zu 5.000 Teilnehmenden macht das Projekt zu einem zentralen Ereignis im Rahmen der bezirklichen Arbeit für „Demokratie und Toleranz“ in Marzahn-Hellersdorf. Genauso wurde sie auch von den beteiligten Akteuren im Vorhinein beworben und auch danach betrachtet. Im Rahmen eines solchen Großereignisses sollte davon ausgegangen werden, dass die Organisierenden bei der Auswahl der auftretenden Künstler*innen eine besondere Sorgfalt walten lassen. Das gilt umso mehr, da beide DJs nicht auf einem externen Wagen aufgelegt haben, sondern auf dem Truck des bezirklichen Bündnisses. Auch wenn den Organisierenden die politischen Aktivitäten der beiden nicht bekannt waren, hätte sowohl bei Preibisch als auch bei „Contare“ eine einfache Internetsuche ausgereicht, um auf ihre rechte politische Einstellung aufmerksam zu werden [4]. Besonders brisant ist ihr Auftritt, wenn mensch sich vor Augen führt, dass die „Spaceparade 2.0“ wohl hauptsächlich aus den Mitteln des Bundesprogrammes „Demokratie leben“ finanziert wurde, neben dessen Banner die beiden Neonazi-DJs auflegten. Sollten beide ein Honorar erhalten haben, würde dies bedeuten, dass Bundesmittel direkt zur Finanzierung von Neonazis eingesetzt wurden - und das ganz ohne Mitwirkung vom Verfassungsschutz.

Blinde Flecken bei der Netzwerkstelle

 
Eine zentrale Figur in dieser bezirklichen Posse rund um falsch verstandene Toleranz und den scheinheiligen Einsatz für „Demokratie“ ist Raiko Hannemann, der als dritter DJ auf dem „Demokratie“-Wagen auftrat. Neben seinen musikalischen Ambitionen ist Hannemann wissenschaftlicher Mitarbeiter an der „Alice-Salomon-Hochschule“. Vor dieser Anstellung war er jedoch bis zum Frühjahr 2017 Ansprechpartner für „Polis*“, die „Bezirkliche Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf“. In Rahmen dieser Aufgabe führte er nicht nur das bezirkliche Register zur Erfassung rechter Straftaten, sondern wirkte ebenso zentral im „Bündnis für Demokratie und Toleranz am Ort der Vielfalt Marzahn Hellersdorf“ und damit an der Planung der „Spaceparade 2.0“ mit. Das Engagement war dabei so stark, dass „Polis*“ noch in der Pressemitteilung zur Parade als zentraler Ansprechpartner (im Namen des Bündnisses) genannt wurde. Die Einladung von rechten DJs erfolgte dementsprechend nicht allein aufgrund der Naivität oder Trägheit bestimmter bezirklicher Strukturen, sondern unter den Augen der Netzwerkstelle in Gestalt von Raiko Hannemann. Das ganze Ausmaß der fachlichen Verfehlungen wird bei einem Blick auf die Beschreibung der Aufgaben von „Polis*“ deutlich:

„Als Schnittstelle zwischen Politik, öffentlicher Verwaltung und Zivilgesellschaft in Marzahn-Hellersdorf verschafft sich Polis* fortlaufend einen Überblick über rechtsextreme und demokratiegefährdende Erscheinungsformen im Bezirk, in Berlin und Deutschland, benennt sie gegenüber den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren im Bezirk und macht sie zum Gegenstand fachlicher und öffentlicher Debatten.“

Offensichtlich wurde bei der Organisation der „Spaceparade 2.0“ keine einzige dieser Funktionen auch nur ansatzweise übernommen. Stattdessen wurden Neonazis engagiert, die nur wenige Monate vorher noch an Aufmärschen gegen Geflüchtete teilnahmen, und nun mit Hannemann für „Demokratie“ auflegen konnten [Bild 13]. Warum es einer vermeintlichen Fachkraft, die über eine jahrelange Erfahrung in der Arbeit zur extremen Rechten im Bezirk verfügt, nicht einmal ansatzweise auffällt, wenn er über Stunden direkt mit zwei Neonazis feiert, wird wohl Hannemanns Geheimnis bleiben – von der fehlenden Informationsbeschaffung im Vorfeld ganz zu schweigen.

Selbstüberschätzung und Arroganz

 
Dennoch soll ein kurzer Versuch der Erklärung unternommen werden. Wie wichtig die „Spaceparade 2.0“ für Hannemann ist, belegen nicht zuletzt seine unsachlichen Erwiderungen auf einen kritischen Artikel der „taz“ – ganz nach dem Motto „Jedes Engagement gegen rechts ist gut, egal wie schlecht es gemacht ist und von irgendwelchen Kreuzberger Journalist*innen lass ich mir sowieso nichts sagen.“ Doch Hannemann ist nicht der einzige, der ein starkes persönliches Interesse an der Parade zu haben scheint. So erzählt Thomas Bryant, der jetzige „Integrationsbeauftragte“ des Bezirks und Vorgänger Hannemanns bei „Polis*“, in eben jenem „taz“-Artikel, dass die Organisation der Parade vor allem auf seine Ideen zurückgeht und er damit an ähnliche Projekte von Anfang der 2000er Jahre anknüpfen möchte.


In diesem Sinne scheinen zentrale Vertreter der Organisation mit der Parade weniger die Bekämpfung oder Adressierung vorhandener gesellschaftlicher Probleme im Bezirk im Kopf gehabt zu haben. Stattdessen dürften persönliche Interessen eine nicht ganz unwichtige Rolle gespielt haben. Da verwundert es kaum, wenn auch Organisator*innen den vorgeblichen Anlass der Parade vergessen und einträchtig mit Neonazis zusammen auflegen. Das dahinter liegende Weltbild bringt Bryant selbst gut auf den Punkt, denn als er auf teilnehmende Neonazis angesprochen wird, sieht er darin kein Problem, solange sie „friedlich“ sind und „mittanzen“. Sowohl Bryant als auch Hannemann scheinen dementsprechend weniger die neonazistische Ideologie als Problem wahrzunehmen, sodass ihren Träger*innen freimütig Platz auf einer bezirklichen Parade eingeräumt wird, wenn sie diese nicht „stören“. Das vorgebliche Engagement für „Vielfalt“ bedeutet somit nicht die Schaffung von diskriminierungsfreien Räumen für betroffene Personen, sondern die Schaffung von Akzeptanzräumen für Täter*innen.

Was bleibt? 


Im Endeffekt ist das Engagement von Preibisch und „Contare“ im Rahmen der „Spaceparade 2.0“ in Marzahn-Hellersdorf nur der traurige Höhepunkt eines letztendlich ziemlich fragwürdigen Projektes. Was als Parade für „Demokratie, Vielfalt und Toleranz“ angedacht war, entwickelte sich zu einem Umzug, auf dem Neonazis nicht nur im Publikum geduldet, sondern aktiv als Künstler*innen unterstützt wurden. Neben Preibisch und „Contare“ gilt das ebenso für die Zusammenarbeit mit der Agentur „No Limits“ von André Wiese, die offensichtlich keine Berührungsängste mit Neonazis hat. Deutlicher konnten die selbstgesteckten Ziele der Parade kaum verfehlt werden. All das deutet auf eine mangelnde Sensibilität im Umgang mit Erscheinungsformen der extremen Rechten hin. Wer ein so wichtiges bezirkliches Ereignis plant, muss genau hinschauen, wer engagiert wird. Das gilt umso mehr, da zumindest bei Preibisch die Informationen in Bezug auf DJ-Tätigkeit und Neonazi-Aktivismus offen zugänglich waren und auch „Contare“ seine Meinung öffentlich auf Facebook postet. Wenn all das unter den Augen und mit maßgeblicher Beteiligung von den Personen im Bezirk passiert, die eigentlich gegen die extreme Rechte und für ein diskriminierungsfreies Miteinander arbeiten sollten, ist das ein peinliches Desaster. 


Auf diese Weise kann der Eindruck entstehen, dass vor allem Hannemann und Bryant als zentrale Vertreter der Organisationsgruppe die Parade weniger nach den Bedürfnissen der im Bezirk lebenden Menschen geplant haben, wofür auch die vergleichsweise geringe Zahl der Teilnehmenden spricht. Stattdessen dürften persönliche bzw. egoistische Interessen eine entscheidende Rolle gespielt haben. So erscheinen auch Hannemanns Erwiderungen auf die bisher vorgebrachte Kritik voll von verletztem Stolz und einer gehörigen Portion Selbstüberschätzung. Ganz nebenbei wurden für die Parade auch noch tausende Euro an öffentlichen Mitteln verwendet, die nun an anderer Stelle fehlen. Trotz aller berechtigter Kritik an entsprechenden Bundesprogrammen hätte das Geld sicherlich sinnvoller bzw. nachhaltiger eingesetzt werden können als damit Neonazis und ihren Sympathisant*innen die Taschen zu füllen.


QUELLEN

 
[1] http://www.taz.de/!5313130/

[2] pridefestival.de/love-base-die-offizelle-pride-festival-csd-party-in-berlin

[3] https://linksunten.indymedia.org/de/node/152941

[4] https://linksunten.indymedia.org/de/node/148105