G-20-Gipfel: Warum 32 Journalisten in Hamburg ihre Akkreditierung verloren

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Erstveröffentlicht: 
13.07.2017
  • Auf dem G-20-Gipfel wurde 32 Journalisten ihre Presseakkreditierung entzogen - ohne Angabe von Gründen.
  • Recherchen zeigen jetzt: Die betreffenden Reporter waren nur unter Auflagen zu bestimmten Terminen zugelassen worden.
  • Eine Panne führte offenbar dazu, dass sie den Zutritt zum G-20-Gipfel gänzlich verloren.

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo und Ronen Steinke

Bundesjustizminister Heiko Maas verlangt "gründliche Aufklärung", Bundesinnenminister Thomas de Maizière will am liebsten gar nichts sagen. Nur soviel: Es habe Gründe "nicht unerheblicher Art" gegeben, warum 32 Journalisten ihre Akkreditierung zum G-20-Gipfel entzogen wurde. Und Regierungssprecher Steffen Seibert wurde am Mittwoch fast eine Stunde von der Hauptstadtpresse zu der in Deutschland recht ungewöhnlichen Maßnahme befragt. Recherchen zeigen jetzt, dass eine Panne das alles auslöste und dass unter den 32 Journalisten aus Sicht der Sicherheitsbehörden auch einige zweifelhafte Gestalten gewesen sind. Andere Betroffene hingegen scheinen überhaupt nicht zweifelhaft.

 

32 Reporter waren nur mit Auflagen zu bestimmten Terminen zugelassen

Mehr als 4800 Journalisten waren für den G-20 Gipfel in Hamburg akkreditiert. Bei der Sichtung der Anfragen hatte es nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR eine zwischen dem Bundespresseamt und dem Bundeskriminalamt (BKA) vereinbarte Linie gegeben: Alle Journalisten sollten Zutritt in das Internationale Medienzentrum und zur Abschlusspressekonferenz erhalten. Bei so genannten "Poolterminen", bei denen Staatsoberhäupter in der Nähe waren, sollten allerdings Journalisten, die aus Sicht der Sicherheitsbehörden in der Vergangenheit auffällig geworden waren, ausgeschlossen bleiben.

 

32 Namen standen auf der entsprechenden Liste. Das Problem wollte das Bundespresseamt über die Ausgabe von sogenannten Pool-Karten regeln. Es gab also 4768 Akkreditierungen ohne und 32 Akkreditierungen mit Auflagen. Für die Abschlusspressekonferenz gab es dann noch eine Besonderheit. Das BKA wollte insbesondere die Medienvertreter im Blick behalten, zu denen angebliche Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden vorlagen. Dadurch sollte, wie es in Sicherheitskreisen heißt, ein "störungsfreier Ablauf der medienwirksamen Veranstaltungen" gewährleistet werden.

Doch dann gab es eine Panne, ein Missverständnis oder mehr. Am Donnerstagabend kam das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit neuen Erkenntnissen zu vier der 32 Journalisten rüber. Diese sollen gravierend gewesen sein. Die Bundesregierung jedenfalls war besorgt. Seibert telefonierte noch in der Nacht über die späten Erkenntnisse des BfV mit der Innen-Staatssekretärin Emily Haber. Dann kam der Freitag, der als "Action Day" von den Gegnern des Gipfels angekündigt worden war. Und es gab reichlich Action, Gipfelgegner wollten unbedingt die Veranstaltung stören. Nervös registrierte die Sicherheitsgruppe des BKA die einlaufenden Meldungen: Ein Konvoi der Saudis wurde gestoppt, ein Reifen eines Autos der kanadischen Delegation zerstochen, eine Scheibe eines amerikanischen Begleitfahrzeugs zertrümmert. Und Melania Trump konnte eine Weile nicht aus ihrem Gästehaus heraus. Die Polizei gab die Fahrstrecke nicht frei, die Präsidenten-Gattin verpasste die Hafenrundfahrt.

 

Behörden hatten offenbar Angst vor provokativen Auftritten der Journalisten

Und dann wurde bekannt, dass das Bundespresseamt irrtümlich doch Poolkarten verteilt hatte, ohne diese mit der Liste des BKA abzugleichen. Einige der 32 Journalisten waren aus Sicherheitssicht auffällig: Anzeigen oder auch Verurteilung wegen Nötigung, Hausfriedensbruch oder gefährlicher Körperverletzung fanden sich in Akten und einer von ihnen ist angeblich "Führungsperson des linksextremistischen Spektrums". Blockade von Bahngleisen, Graffiti-Schmierereien, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz fanden sich in Unterlagen.

Bei anderen Journalisten war nur die dürre Bemerkung "BfV-Erkenntnisse" oder "Mitglied eines Gewaltbefürwortenden Beobachtungsobjekts" enthalten. Auch ein mutmaßlicher Reichsbürger war dabei, angeblich ist er Mitglied der "Exil-Regierung deutsches Reich". Wie belastbar und belastend diese Informationen wirklich sind, werden BKA und Bundespresseamt nun erklären müssen.

 

Es gab also 32 angeblich Verdächtige und das Problem mit den Poolkarten - angeblich 32 Sicherheitsrisiken. Die Einteilung in Journalisten mit oder ohne Auflagen war obsolet geworden. Alle hätten Zugang zu allem gehabt, so war offenbar die Sicht der Sicherheitsleute in Hamburg. Es schien ihnen nicht mehr nachvollziehbar, wer in den höchsten Sicherheitsbereich, den Sicherheitsbereich 1, noch Zugang hatte. Würde dann einer einen Schuh werfen, wie es George W. Bush 2008 im Irak erlebt hatte? Würde jemand Recep Tayyip Erdoğan niederbrüllen oder würde jemand vor den Augen der Welt Randale machen, bei Pressekonferenzen losschimpfen oder Plakate entrollen? Man weiss es nicht.

 

Immer wieder eine Verzögerung an der Schranke zum Sicherheitsbereich

Von den 32 Medienvertretern, denen die Akkreditierung entzogen wurde, hatten nur neun ihre Ausweise abgeholt oder waren nach Abholung der Ausweise nicht mehr im Pressezentrum erschienen. Vier der betroffenen Journalisten haben bislang gegen den Ausschluss Rechtsmittel eingelegt. Einer der Reporter, die beim G-20-Gipfel am Freitagmittag überraschend ausgeschlossen wurden, erzählt der SZ, wie er schon in den zwei Tagen zuvor bei der Einlasskontrolle aufgehalten wurde. Immer gab es eine Verzögerung von ein, zwei Minuten, wenn er an der Schranke zum Sicherheitsbereich auftauchte und seinen Ausweis in den Scanner hielt. Immer musste ein BKA-Mann kommen. Warum, wurde dem Reporter nicht gesagt. Erst jetzt, im Rückblick, sei dem für eine Tageszeitung tätigen Journalisten aufgegangen, was gemeint war, als die zwei Polizistinnen zueinander gesagt hätten: "Der wird begleitet."