Wie und warum österreichische Polizisten bei den G20-Protesten in Hamburg eingesetzt wurden

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Erstveröffentlicht: 
12.07.2017

Insgesamt 215 österreichische Polizisten waren während des G20-Gipfels in Hamburg im Einsatz. Darunter auch Beamte der Sondereinheiten WEGA und COBRA.

"Und immer wieder die Österreicher. Eine ganze Kolonne österreichischer Polizeifahrzeuge gurkt schon den halben Tag ziellos durch die Stadt (subjektve taz-Beobachtung). Momentan gurken sie vor der Redaktion rum", schrieb die taz am Donnerstagabend – dem Tag, an dem die Ausschreitungen begannen.

 

Sehr viel war zu diesem Zeitpunkt für die 215 österreichischen Polizisten in Hamburg noch nicht zu tun. Die Auflösung der "Welcome to Hell"-Demo, der die ersten Krawalle folgten, lief ohne österreichische Beteiligung über die Bühne.

 

Ein großer Teil der österreichischen Polizeikräfte war ohnehin für Einreisekontrollen am Flughafen und Verkehrslotsungen vorgesehen, wie der Sprecher des österreichischen Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, gegenüber VICE erklärt. Die Spezialeinheiten WEGA und COBRA standen allerdings bereit, um eventuelle Gefahrenlagen zu entschärfen und bei Ausschreitungen einzuschreiten. Aber auch, um friedliche Demos zu verhindern, wie zum Beispiel ein Einsatz von Freitagfrüh zeigt.

 

"In den frühen Morgenstunden wurde der sogenannte 'blaue Finger' der Aktion 'Colour the red zone' ohne Ankündigung von Beamten der österreichischen WEGA unter Einsatz von Körpergewalt, Schlagstöcken und Pfefferspray gestoppt", sagt Rechtsanwalt Peer Stolle, der die Demo begleitet hat, im Gespräch mit VICE. Von der Demo sei zuvor keine Gewalt ausgegangen, versichert der Jurist.

 

Auch Peter, der an der Demo teilnahm, erzählt eine ähnliche Version: "Als einer der Polizisten im breitesten österreichischen Akzent irgendetwas wie 'Stopp, stehen bleiben' brüllte, ging von der Demo keine Gefahr aus. Es war niemand vermummt, alle waren friedlich." Die Demoteilnehmer gehorchten nicht sofort. Viele bewegten sich weiter in Richtung Polizei. Zum Schutz vor Knüppelschlägen hatten manche aufblasbare Gummitiere und Luftmatratzen dabei.

 

Die WEGA reagierte mit Faustschlägen, Schlagstöcken und Pfefferspray. Mehrere Demonstranten wurden verletzt. Darunter auch Peter: "Ich hab sofort einen Faustschalg auf das linke Auge bekommen", erzählt er. Danach traf es ihn noch in die Bauchgegend. Am Auge trug Peter eine Platzwunde davon.

 

"Die Berliner Polizei ist schlimmer."

 

Andere erwischte es schlimmer. Eine Freundin von Peter musste nach einem Knüppelschlag auf die Schulter im Krankenhaus behandelt werden. Mindestens vier Personen wurden nach dem WEGA-Einsatz laut Peter mit der Rettung in Krankenhaus gebracht. Geknüppelt hätten die Beamten von der Seite, von oben und auch mit der Spitze der Schlagstöcke sollen sie gestoßen haben. Dennoch beschreibt Peter den Einsatz als "nicht sehr freundlich, aber auch nicht über die Maßen brutal". "Die Berliner Polizei ist schlimmer", sagt er.

 

Rechtsanwalt Peer Stolle kritisiert den Einsatz trotzdem: "Von dieser unangemeldeten Versammlung ging keinerlei Gewalt aus", so der Anwalt. "Dennoch wurde mit dem Schlagstock auch auf den Kopf geschlagen, es gab Kopfverletzungen. Und durch das Pfefferspray, das nach Aussagen von Betroffenen extremer wirkte als das der deutschen Polizei, kam es bei einer Person zum Erbrechen, eine Person erlitt einen Schock."

 

Dass österreichische Polizisten überhaupt in Hamburg im Einsatz waren, liegt am 2003 abgeschlossenen "Deutsch-österreichischen Polizei- und Justizvertrag" und dem "Prümer Vertrag" aus dem Jahr 2005. Laut Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck haben die deutschen Behörden auf Basis dieser beiden Verträge um Unterstützung durch österreichische Polizisten gebeten.

 

Wer als österreichischer Polizist in Hamburg eingesetzt werden wollte, konnte sich freiwillig melden: "Die Auswahl ist auf Basis freiwilliger Meldungen erfolgt", so Grundböck. Solche gegenseitigen Unterstützungsleistungen seien außerdem seit Jahren üblich. So waren zum Beispiel zur Fußball-Europameisterschaft 2008 deutsche Kollegen in Österreich im Einsatz.

 

Die österreichischen Beamten hatten bei ihren Einsätzen im Grunde dieselben Rechte und Pflichten wie ihre deutschen Kollegen. Auch die Verantwortung für den Einsatz lag nicht etwa beim österreichischen Innenministerium, sondern bei den deutschen Behörden. Einzige Einschränkung: Die Österreicher durften in Hamburg nicht von ihrer Schusswaffe Gebrauch machen, wie Grundböck erklärt: "Das Recht, die Schusswaffe einzusetzen, beschränkt sich für ausländische Beamte auf Notwehr- oder Nothilfesituationen." Das erklärt auch, warum die österreichischen Polizisten ihre Schusswaffen dennoch mitführten.

 

"Meist waren in einer solchen Fünfergruppe zwei Beamte mit Langwaffen, einer Schrotflinte oder sowas Ähnlichem. Der Rest hatte normale Handfeuerwaffen."

 

Wie mehrere Augenzeugen gegenüber VICE berichten, sollen WEGA-Beamte auch bei den schweren Ausschreitungen im Hamburger Schanzenviertel im Einsatz gewesen sein. Auch von Langwaffen ist die Rede: "Die Österreicher waren zur Absicherung da, als das deutsche SEK die Häuser auf der Schanze gestürmt haben. Das waren auf jeden Fall österreichische Cops. Ob WEGA oder COBRA kann ich nicht genau sagen", erzählt ein Augenzeuge gegenüber VICE, der anonym bleiben möchte.

 

"Die sicherten in Fünfergruppen die Straße ab. Meist waren in einer solchen Fünfergruppe zwei Beamte mit Langwaffen, einer Schrotflinte oder sowas Ähnlichem. Der Rest hatte normale Handfeuerwaffen. Die kamen aber nicht zum Einsatz. Sie haben wie gesagt nur die Lage gesichert und die Leute bedrängt. Das Sichern der Fenster und das Stürmen der Häuser hat das SEK alleine gemacht", so der Zeuge.

 

Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck bestätigt die Beobachtungen: "Die WEGA hat dort keine Langwaffen geführt. Von den österreichischen Einsatzkräften war in diesem Raum aber auch die Sondereinheit COBRA tätig. Die COBRA hat, wie auch die deutschen SEK-Einheiten, nach Vorgaben der deutschen Einsatzleitung Langwaffen geführt – konkret die Modelle StG-77 und APC-B&T."

 

Auch ein Fotograf berichtet gegenüber VICE von einem Einsatz der WEGA im Schanzenviertel. In der Nacht von Samstag auf Sonntag seien WEGA-Einheiten im Grenzgebiet zwischen St. Pauli und Altona bei der Räumung einer Blockade beteiligt gewesen. Allerdings hätte auch hier die österreichischen Polizisten vor allem die Absicherung ihrer deutschen Kollegen übernommen, während diese die Sitzblockade von zirka 50 Aktivisten auf der Fahrbahn räumten.

 

Im Einsatz der österreichischen und deutschen Polizei sei aber kaum ein Unterschied zu sehen gewesen, so der Fotograf: "Beide hatten offenbar nicht nur dieselben Befugnisse, sondern auch ähnliche Taktiken. Und vom Schlagstock machte die WEGA natürlich auch Gebrauch."

 

Der österreichische Innenminister Wolfgang Sobotka nutzte den Einsatz der österreichischen Beamten, von denen fünf leicht verletzt wurden, sowie die Krawalle in Hamburg, um eine erneute Verschärfung des Demonstrationsrechts in Österreich zu fordern. Geht es nach dem Innenminister, sollen künftig Versammlungsleiter die rechtliche Verantwortung für zum Beispiel Krawalle während Demos tragen. Einen entsprechenden Initiativantrag zur Verschärfung des erst im Frühling erneuerten Versammlungsgesetzes will Sobotka bereits am Donnerstag im Parlament einbringen.