Neuer Gesetzentwurf: Handys von Flüchtlingen im Visier

Erstveröffentlicht: 
19.02.2017

Im großen Stil sollen deutsche Behörden künftig Handys von Asylbewerbern auslesen dürfen, um deren Identität festzustellen. Das geht aus einem Gesetzesentwurf "zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" hervor, der WDR, NDR und "SZ" vorliegt.

 

Von Lena Kampf, WDR

 

Zukünftig soll das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ermächtigt werden, Mobiltelefone von Asylbewerbern bei ihrer Registrierung auslesen zu dürfen. Bisher ist die Behörde auf die Einwilligung der Antragsteller angewiesen. Der neue Gesetzesentwurf, der WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" vorliegt, soll nun die rechtliche Grundlage schaffen, diese Einwilligung zu umgehen. 

 

Das Auslesen von Datenträgern ist ein Eingriff, der in Deutschland normalerweise eines richterlichen Beschlusses bedarf und nur möglich ist, wenn der Verdacht einer Straftat vorliegt. 

 

Bis zu 2400 Datenträger täglich


Aus den Unterlagen ergibt sich, in welchem Ausmaß die Untersuchung von Mobiltelefonen und anderen "Datenträgern" zur Identitätsfeststellung künftig zum Einsatz kommen soll. Rückblickend schätzt das Innenministerium, dass man 2016 bei 50 bis 60 Prozent der Asylsuchenden das Auslesen eines "Datenträgers" in Betracht gezogen hätte. Damit hätte man elektronische Geräte von etwa 150.000 Menschen durchsuchen können. Um diese Zahlen bewältigen zu können, sollen die Außenstellen des BAMF mit forensischer Hard- und Software aufgerüstet werden, die zusammengenommen etwa 2400 Datenträger pro Tag auslesen können. Im Nachgang müssen die Inhalte voraussichtlich übersetzt werden.

 

Um die Herkunft eines Menschen festzustellen, hat das Bundesamt bisher mit Sprachgutachten und dem gezielten Nachfragen, zum Beispiel nach Staatsoberhäuptern des behaupteten Herkunftslandes oder touristischen Attraktionen in der behaupteten Geburtsstadt.

 

Der Zugriff auf Mobiltelefone oder andere Datenträger ist Ausländerbehörden bei der Abschiebung  seit der Novelle des Aufenthaltsgesetzes von 2015 erlaubt, wurde aber nur selten angewendet. Der Bundesrat hatte damals bei der Novelle angemerkt, dass das Auslesen von Handys oder Laptops für  Abschiebungen schwierig sei, weil sie den "unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung" verletzen könnten und kritisierte, dass die Grenze zwischen Daten, die für die Identitätsfeststellung geeignet seien und Daten, die unter dem Schutz der Privatsphäre stünden "fließend und nicht rechtssicher abgrenzbar" sei.

 

In einem ersten Gesetzentwurf aus dem Herbst wurde noch zwischen abgelehnten Asylbewerben unterschieden, die ohne eigenes Verschulden nicht ausreisen können, beispielsweise wegen Krankheit oder aus familiären Gründen - und solchen, die durch Täuschung über ihre Identität ein Abschiebehindernis erzwingen. Von dieser Eingrenzung ist in dem neuen Referentenentwurf keine Rede mehr.

 

Eine "vollständige Sicherung von Datenträgern von bereits länger in Deutschland aufhältigen Asylsuchenden" werde zwar nicht angestrebt, doch der Gesetzentwurf senkt auch die Hürden bei der Weitergabe von besonders geschützten Daten aus medizinischen Attesten.  

 

Amri hatte zahlreiche Identitäten


Der Fall des tunesischen Attentäters Anis Amri illustriert, wieso man dem BAMF zukünftig weitreichendere Befugnisse geben will: Amri hatte sich hinter 14 Identitäten versteckt. Bei der Anhörung seines Asylantrages in Dortmund 2016 war er, das kann man einem Protokoll  entnehmen, umfangreich zu seinen vielen Alias-Namen befragt worden. Er erklärte, er sei mal falsch verstanden worden, oder der Dolmetscher habe falsch übersetzt, oder er könne sich nicht mehr erinnern. 

 

Sein Freund Bilel A., mit dem er am Tag vor dem Anschlag in Berlin zu Abend gegessen hatte und der nach dem Anschlag als "Gefährder" eingestuft wurde, hatte mindestens 18 Alias-Identitäten angegeben. Bei einer Anhörung im Sommer 2016 hatte er sich angeblich nicht mal mehr an Namen und Anschrift der Eltern erinnern mögen. Es war lange Zeit unklar, ob er Tunesier,  Ägypter oder Libyer war. Tatsächlich war er Tunesier wie Amri und wurde schließlich Ende Januar abgeschoben. 

 

Geodaten sollen helfen


Es kommt vor, dass  Flüchtlinge Alias-Personalien angeben - aus Angst vor drohender Abschiebung. Zuletzt sind auch Fälle von Sozialleistungsbetrug mit diversen Alias-Personalien bekanntgeworden. Nun sollen Geodaten der Mobiltelefone und gespeicherte Kontakte darüber  Aufschluss geben, woher jemand stammt oder wo er oder sie sich zuletzt aufgehalten hat.

 

Der Referentenentwurf wurde am Mittwoch vom Bundesinnenministerium vorgelegt und befindet sich noch in der Ressortabstimmung. Der Entwurf ist das Ergebnis eines Treffens von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder am 9. Februar, bei dem sie sich auf mehrere Eckpunkte zur Rückkehrpolitik geeinigt hatten. "Über die Regelungen im Einzelnen" könnten derzeit noch "keine näheren Informationen übermittelt werden", teilte das Innenministerium auf Anfrage mit.