[HM] - An rassistischen Anschlag in Kirchohsen erinnert

Erinnerung an rassistischen Anschlag in Kirchohsen

Am Freitag, den 17. Februar 2017, hat eine Gruppe von etwa 20 Antifaschist*innen an den rassistisch motivierten Anschlag auf eine geplante Unterkunft für Geflüchtete erinnert, der sich im Emmerthaler Ortsteil, Kirchohsen, vor einem Jahr in der Nacht vom 16. zum 17. Februar 2016 ereignet hat. Die Antifaschist*innen zeigten dabei Transparente und verlasen einen Redebeitrag, der das Ereignis und die weiteren Entwicklungen vor Ort und überregional seitdem thematisiert. Bisher sind der oder die Täter*innen nicht ermittelt, der aktuelle Stand der Aufklärung der Tat ist nicht bekannt.  

 

Aktion | 17.02.2017 | nachts | Hauptstraße | Kirchohsen

 
Der Redebeitrag ist nachfolgend dokumentiert:

 

Ein Jahr nach dem rassistischen Anschlag in Kirchohsen

Ein Redebeitrag der Antifaschistischen Aktion Hameln-Pyrmont [AAHM]

Warum stehen wir heute hier?

Vor einem Jahr ereignete sich in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 2016 ein rassistisch motivierter Anschlag auf eine geplante Unterkunft für Geflüchtete im Emmerthaler Ortsteil Kirchohsen.Ein gerade erst saniertesMehrfamilienhaus wurde kurz vor dem geplanten Einzug von etwa 20 Geflüchteten von bis heute unbekannten Rassist*innen geflutet und damit unbewohnbar gemacht.Eine bereits in einem Teil des Gebäudes lebende, dreiköpfige Familie aus dem Irak musste in Folge des Anschlags umziehen, da die Heizung auch in diesem Gebäudeteil nicht mehr funktionierte. Diese Tat fügt sich somit in eine Reihe von ähnlichen Vorfällen in dieser Region ein. Erinnert sei hier nur an die Brandanschläge in Salzhemmendorf, Eisbergen und Bad Münder, wobei auch beim letztgenannten Anschlag bisheutenoch keine Ermittlungserfolge vorzuweisen sind.

 

Lokale Antifaschist*innen reagierten direkt am Abend nach dem Anschlag in Kirchohsen mit einer kraftvollen, nächtlichen Spontandemonstrationund brachten dabei Ihre Wut über diese beschissenen Verhältnisseauf den Straßen von Emmerthal zum Ausdruck. Es folgten ein entsprechender Pressebericht und die warmen Worte der lokalen, politischen Vertreter*innen, denen sich – wie nicht anders zu erwarten – lediglich die geistigen Brandstifter*innen der AfD als einzige nicht anzuschließen vermochten.

 

Nach dem anfänglichen medialen Aufschrei ebbte das öffentliche Interesse recht schnell wieder ab. So fanden sich in der lokalen Deister-Weser-Zeitung (DEWEZET) unmittelbar nach dem Anschlag mehrere Artikel zu den Geschehnissen in Kirchohsen, die über den jeweils aktuellen Stand der Ermittlungen informierten. Zeug*innen wurden gebeten, ihre Beobachtungen zu melden, was diese zu Beginn auch taten. Zuletzt erschien am 1. März 2016 ein Bericht, der mit dem Foto eines im betroffenen Gebäude sichergestellten roten Metall-Hammers versehen war. Dieser Gegenstand sollte bei der Suche nach den Täter*innen helfen…

 

Seither herrscht jedoch beredtes Schweigen über die Sache – bis heute, wo wir dieses Schweigen durchbrechen, um mit Nachdruck endlich Aufklärung zu fordern!Denn daseit dem3. März 2016 keine Neuigkeiten zu den Ermittlungen bekannt geworden sind, ist davon auszugehen, dass der oder die Täter*innen bisher ungestraft davongekommen sind. Jeder nicht aufgeklärte Anschlag bestärkt dabei die Rassist*innen und motiviert sie zu neuen Angriffen gegen Geflüchtete und deren Unterstützer*innen.

 

Wie viele der ortsbekannten Bushaltestellen-Suff-Nazis und Rassist*innen im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen Besuch von der Staatsmacht erhalten haben, ist uns nicht bekannt.Ob vielleicht sogar einige der sich bürgerlich gebenden, völkischen Nationalist*innen der AfD in das Visier der Ermittlungen gerückt sein mögen, halten wir ohnehin für sehr unwahrscheinlich.Was jedoch bekannt ist, ist die weitere gesellschaftliche Entwicklung in Emmerthal seit dem Anschlag.

Was ist seither außerdem in Emmerthal passiert?

Mehrfach kam es seitdem in Emmerthal zu extrem rechten Propaganda-Aktionen:So tauchten im April sowie im Mai 2016 im gesamten Ort extrem rechte Aufkleber mit rassistischen, muslimophoben und anderen menschen-feindlichen Motiven auf, die bereits nach kurzer Zeit von engagierten Antifaschist*innen wieder entfernt wurden.Nazi-Graffitisblieben im Jahr 2016 bisweilen aus, nachdem diese im Jahr 2015 mehrfach in Emmerthal aufgetaucht sind – übrigens auch im direkten Umfeld des späteren Tatorts des Anschlags.

 

Auch im Internet waren rechte Gestalten aus Emmerthal sehr fleißig: So taten sich einige stadtbekannte Nazis (die teilweise in unmittelbarer Nähe des Tatorts wohnen) durch weitgehend ungestörte Hetze auf Facebook hervor, die zum Teil auf genau jene Quellen Bezug nahm, die zuvor auch in Form von Aufklebern beworben wurden.

 

Last but not least zeigte sich die Verrohrung auch auf parlamentarischer Ebene: So ist bei den niedersächsischen Kommunalwahlen am 11. September 2016mit Delia Klages auch eine Vertreterin des extrem rechten AfD Kreisverband Weserbergland in den Gemeinderat von Emmerthal eingezogen. Delia Klages hat mir ihrer Teilnahme am 2. Kyffhäusertreffen des faschistischen „Flügels“ der AfDgezeigt, wo sie politisch steht. Denn dieses „Flügel“-Treffen geht unter anderem auf den blau-braunen Stichwortgeber, Björn Höcke, zurück, mit dem sie sichzu allem Überfluss auch noch auf einem fröhlichen Erinnerungsfoto dokumentieren ließ.

 

Diese lokalen Schlaglichter reihen sich damit nahtlos in eine gesamtgesellschaftliche Entwicklungein, auf die im Folgenden noch kurz eingegangen werden soll.

Was ist seitdem überregional passiert?

Nachdem im Jahr 2015 bereits über 1000 Angriffe auf die Unterkünfte von Geflüchtetenvon der Amadeu Antonio Stiftung gezählt wurden, stieg dieseZahl im Jahr 2016 nochmals auf nunmehr über 1500 Angriffe an.

 

Neben der Abstumpfung bzw. Gewöhnung bezüglich all dieser rassistischen Gewalt, formierten sich parallel die Kräfte der autoritären und reaktionären, gesellschaftlichen Umgestaltungweiter. Und zwar derart, dass sie mittlerweile bis in die Politik der SPD, Grünen und Linken vorgedrungen ist – von der CDU-CSU ganz zu schweigen.

 

Deutschland hat sich weitgehend abgeschottet und erklärt mittlerweile sogar (Bürger-)Kriegsgebiete wie Afghanistan zu sicheren Herkunftsländern – angeblich, um den Durst der Schlechtmenschen nach einfachen Lösungen zu löschen oder, wie es allenthalben heißt: „berechtigte Sorgen und Nöte“ ernst zu nehmen.

 

Und trotz der fortschreitenden Verwirklichung nahezu sämtlicher Forderungen dervölkisch-nationalistischenAfD-PEGIDA-Wutkartoffeln durch die bürgerlichen Parteien CDU-CSU, SPD, Grüne und LINKE, gewinnt die AfD weiter an Stimmen und Mitgliedern. Dabei können ihr noch so viele Skandalewegen NS-Relativierungen, Holocaust-Leugnungen und Enthüllungen zu Überschneidungen mit waschechten Nazis scheinbar nichts anhaben.

 

Zudem gewinnen in Wechselwirkung mit der AfDauch andere außerparlamentarische Reaktionäre, wie die Identitären, sogenannte „Lebensschützer“, aber auch Reichsbürger*innen und die bereits genannten, klassischen Nazis an Stärke. Neben der bewussten Verschiebung gesellschaftlicher Diskurse spielen hierbei der finanzielle Rückhalt der AfD und zahlreiche personelle Überschneidungen eine wichtige Rolle.

Was tun?

Angesichts dieser Entwicklungen scheint das Ziel einer Gesellschaft in weite Ferne gerückt, in der alle Verhältnisse umgeworfen sind, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Dennoch wollen wir weiter die dafür notwendige Maulwurfsarbeit leisten, weil wir weder Lust auf völkische noch auf religiöse Kollektive und ihre Wahnvorstellungen haben. Wir werden uns weiter engagieren für eine solidarische Gesellschaft, in der jede*r ohne Angst verschieden sein kann und unser Denken und Handeln daran ausrichten, dass Auschwitz nicht noch einmal sei. Hierfür gilt es, sich mit emanzipatorischer Theorie zu befassen, sich mit anderen Gleichgesinnten zu organisieren und schließlich eine radikale Praxis folgen zu lassen.

 

Wir werden auch weiterhin die Dorfidylle stören und den Feind*innen des guten Lebens für alle den Kampf ansagen, denn:

 

Nationalismus ist keine Alternative!
Die befreite Gesellschaft schon!