Gentrifizierung: Angst vor Verdrängung: Leipzig sieht Erhalt kreativer Freiräume als Herausforderung

Erstveröffentlicht: 
15.02.2017

Kreative Freiräume waren in den Vergangenheit ein wichtiger Wachstumsmotor in Leipzig. Inzwischen gibt es immer weniger Brachen, wächst die Angst vor Verdrängung. Die Stadt Leipzig betont die Bedeutung der Kreativwirtschaft und sucht nach Lösungen.

 

Leipzig.  Das Angebot an erschwinglichen Freiflächen für Kreative in Leipzig war jahrzehntelang ein wichtiger Motor für die Stadtentwicklung. Inzwischen gibt es in den meisten Stadtteilen aber kaum noch Brachen, steigen vielerorts die Mieten, schießen Neubauten auch an bisher verwaisten Orten aus dem Boden. Das schürt in der Kreativszene Ängste vor Verdrängung – zuletzt demonstrierten hunderte Menschen in Plagwitz gegen Veränderungen im Westwerk. Die Ratsfraktion der Grünen hat den Diskurs zum Anlass genommen und die Stadtverwaltung um eine Positionierung gebeten. Wie kann es angesichts der Verknappung von Freiflächen mit der Kreativszene in Leipzig weitergehen? Antworten kamen nun aus dem Dezernat von Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht (CDU) – zuständig unter anderem auch für Kreativwirtschaft.

 

Laut des Wirtschaftsförderers im Neuen Rathaus gehören Medienmacher und Kreative zu den fünf Kernbereichen der hiesigen Stadtökonomie, neben Automobilbranche, Logistik, Energie- und Umweltwirtschaft sowie Biotechnik. „Der Cluster verfügt gegenüber anderen Branchen über eine besondere Wirtschaftskraft und Zukunftsfähigkeit“, heißt es in der Stellungnahme. Seit 2010 habe sich die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im Metier um etwa ein Fünftel auf mehr als 30.000 erhöht. Insgesamt gebe es aktuell etwa 4.500 Unternehmen in Leipzig, die zur Medien- und Kreativwirtschaft gezählt werden. Mit Blick auf zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft und notwendige Modernisierung der Industrie – die Bundesregierung nennt das „Industrie 4.0“ – habe die Branche wichtige Funktionen und werde deshalb dringend gebraucht.

 

Brachflächen im Fokus der Immobilienwirtschaft


Doch wo sollen Innovationsmotoren ihren Platz finden, die nur selten Kapital für eigene Ansiedlungen haben? Die Kommune listet diesbezüglich einerseits private Investoren auf, die in den vergangenen Jahren Flächen für Medienschaffende und andere Kreative zur Verfügung gestellt hätten. Dazu gehören die Areale in Baumwollspinnerei, Tapetenwerk und Raumstation in Lindenau, im Westwerk in Plagwitz, auf dem Medienhof in Stötteritz, im Monopol in Eutritzsch sowie in der Media City und im Basislager Coworking in der Südvorstadt. In der Vergangenheit konnten hier für vergleichsweise preiswerte Mieten bereits Lösungen für viele Kreative gefunden werden, heißt es.

 

Richtig sei aber auch, so das Wirtschaftsdezernat, dass die Potenziale auf privaten Flächen perspektivisch eher schrumpfen, die alternativen Möglichkeiten somit in Leipzig immer geringer werden: „In der wachsenden Stadt rücken zunehmend Flächen in den Fokus der Immobilienwirtschaft, welche bislang aufgrund ihrer Lage, der fehlenden Nachfrage und angesichts des bis dato bestehenden Überangebotes an besser geeigneten und vermarktungsfähigen Flächen für Wohnnutzungen nicht attraktiv waren“, so die kommunalen Wirtschaftsförderer. Als Konsequenz daraus sei „der Erhalt von Freiräumen und die Weiterentwicklung der Diversität von kulturellen Angeboten eine künftige Herausforderung“, die unter anderem mit zeitlich befristeter Hilfe für Kreative gelöst werden könne. 

 

Potenziale in Anger-Crottendorf


Konkrete Angaben zu einer solchen kommunalen Hilfe auf Zeit wurden nicht gemacht. Zumindest verweist die Stadtverwaltung auf Erfolgsgeschichten aus der Vergangenheit. So hatte das Kulturamt bis Mitte der 2000er Jahre Räume in der Werkzeugfabrik Pittler-Tornos in Möckern und in der ehemaligen Mineralwasserfabrik in Kitzen angemietet. Ein Großteil der Mieter sei sich auch nach Ende der Subventionen mit dem Vermieter einig geworden und konnte verbleiben. Zudem erinnerte das Wirtschaftsdezernat auch an eigene Flächen im Leipziger Gewerbehof in Heiterblick oder im Gewerbezentrum Naumburger Straße, die für kleine und mittlere Unternehmen – besonders in der StartUp-Phase – zur Verfügung stehen.

 

Mindestens ähnlich umfangreiche Optionen wie die Pittler-Werke einst, wenn nicht sogar noch mehr Platz, hat die Alte Feuerwache in Anger-Crottendorf – so sieht es zumindest das Dezernat für Stadtentwicklung und Bau von Bürgermeisterin Dorothee Dubrau (parteilos). In der Alten Feuerwache hat sich eine Interessengemeinschaft gegründet, welche die kommunale Immobile zum Kulturzentrum mit Gewerbe- und Sozialflächen ausbauen möchte. „Vor dem Hintergrund des sich weiter verschärfenden Mangels an preisgünstigen Flächen für kleinteiliges Gewerbe, Gemeinbedarfsflächen sowie integrativen Arbeits- und Begegnungsräumen am Immobilienmarkt zeigt sich die Bedeutung, die Liegenschaft Feuerwache als Impulsmaßnahme für den Leipziger Osten zu entwickeln“, so die Stadtverwaltung. 

 

Vorbild West für Leipzig Ost


Als Vorbild für die Entwicklung von Freiräumen im Osten der Messestadt soll die Entwicklung im Leipziger Westen genommen werden. Die Kommune benennt hier unter anderem die Baumwollspinnerei in Lindenau und den „Grünen Bahnhof Plagwitz“ als sinnstiftend – wo auch Wohnen und Arbeiten in direkter Nachbarschaft in Einklang gebracht wurde. Bei der langfristigen Sicherung für alternative Konzepte spiele unter anderen die Aufstellung von Bebauungsplänen eine Rolle, in der „Mischgebiet“ und „Gewerbegebiete“ festgelegt und somit auch eine Steigerung des Bodenwertes gebremst werde. Aktuelle Beispiele für das kommunale Entgegenwirken auf explodierende Grundstückspreise seien die Gewerbegebiete in der Fabrikstraße/Südstraße, in der Markranstädter Straße und in der Hornstraße.

 

Nicht zuletzt sieht sich die Kommune auch durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Kulturinitiativen zumindest gut aufgestellt. Im Auftrag des Kulturamtes stehe beispielsweise der Bund Bildender Künstler Leipzig (BBKL) in vorderster Künstler-Front als Ansprechpartner zur Verfügung, die Bandcommunity Leipzig kümmert sich speziell um junge Musiker, betreut inzwischen zwei Bandhäuser in der Saarländer Straße in Lindenau mit insgesamt 38 Proberäumen. Im Amt für Wirtschaftsförderung ist nicht zuletzt die Kontaktstelle Kreativwirtschaft mit der verantwortlichen Elisabeth Hauck angedockt, die zwar konkret keine Freiflächen an Kreative vergeben könne, aber als Mittler zwischen Fachämtern und privaten Eigentümern auftrete.

 

Von Matthias Puppe