Eine Zensur findet nicht statt, aber sie funktioniert

Zensur per Strafbefehl

Die Website der Autonomen Antifa Freiburg wird seit dem 22.03.2010 in Island gehostet. Der Grund ist die wiederholte Zensur der Seite durch die politische Polizei. Wir möchten uns bei unserem bisherigen Provider JPBerlin für die jahrelange, vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken, aber leider stehen die Server in Deutschland. Wir haben in 1984 Hosting einen neuen Provider gefunden, der sich wie JPBerlin für freie Software und gegen Überwachung einsetzt. Wir haben Island als Ort gewählt, weil dort das freiheitlichste Pressegesetz der Welt vorbereitet wird.

 

Auslöser für unsere Entscheidung www.autonome-antifa.org nach Island zu migrieren, war die temporäre Abschaltung der Website am 13.10.2009 auf Druck der Polizei. Die Berliner Polizei drohte im Zuge der Amtshilfe für ihre Freiburger KollegInnen unserem Provider mit strafrechtlichen Konsequenzen. JPBerlin wurde gezwungen unsere Website abzuschalten, weil wir zur vermummten Teilnahme an einer unangemeldeten Demonstration aufgerufen hatten und sich der Freiburger Polizeipräsident Heiner Amann zudem beleidigt fühlte, da wir seine Absetzung forderten. Wir mussten die beanstandeten Sätze entfernen, damit die Website wieder online gehen konnte. Die Polizei erzwang die Abschaltung der Website ohne richterlichen Beschluss und ohne Wissen der Staatsanwaltschaft. Sie agierte damit als politische Akteurin. Wir gehen davon aus, dass der tatsächliche Grund für die Repression unsere antifaschistischen Recherchen und Veröffentlichungen sind.

 

Kurz darauf wurde am 23.10.2009 auch die Website des Autonomen Zentrums KTS Freiburg zensiert. Die Polizei drohte dem Provider von www.kts-freiburg.org mit Strafverfolgung, sollte ein Demonstrationsaufruf nicht geändert werden. Am 25.10.2009 wurde im gleichen Fall auch www.autonome-antifa.org erneut zensiert. Am 14.01.2010 musste auf unserer Seite eine Meldung geändert werden, durch welche sich die Freiburger Polizei wieder einmal beleidigt fühlte. Regelmäßig wurde uns durch anwaltliche und polizeiliche Schreiben mit Strafverfolgung gedroht, sollten wir nicht persönliche Daten und Fotos von Nazis offline nehmen. Die zensierten Inhalte gingen jedoch nicht verloren, da Kopien der Texte auf Indymedia linksunten veröffentlicht wurden. Diese Website wird in den USA gehostet und ist damit außerhalb der Reichweite deutscher Behörden.

 

Die Repression gegen linke Websites beschränkt sich nicht auf Freiburg. So wurde am 23.01.2010 die antifaschistische Bündnisseite www.dresden-nazifrei.de zensiert. Die Dresdner Staatsanwaltschaft legte den Aufruf zur Blockade von Europas größtem Naziaufmarsch seit Ende des 2. Weltkrieges als Aufruf zu Gewalt aus. Wie in Freiburg wurde mit dem juristischen Konstrukt der „Mitstörerhaftung“ gedroht, um die Provider zu einer Abschaltung der Website zu zwingen, falls keine Selbstzensur erfolgen sollte. Das Bündnis wich daraufhin auf die in den USA gehostete Website www.dresden-nazifrei.com aus.

 

Aber längst nicht alle Fälle von Zensur werden öffentlich. Der Sänger der Naziband „Faustrecht“, Norbert „Nogge“ Lecheler, versucht beispielsweise antifaschistische Websites über den Rechtsweg zu zensieren. Lecheler informiert in einer Mail vom 14.03.2010 mit dem Betreff „Verstoß gegen informelle (sic!) Selbstbestimmung“ Thorsten Glass über seine Anzeigen. Glass ist der Organisator eines für den 22.05.2010 geplanten Nazikonzerts mit der „Blood&Honour“-Band „Faustrecht“ in der Nähe von Stuttgart. Durch unser Communiqué vom 13.03.2010 ( de | it | en | fr ) wurde das Konzert aufgedeckt. Ein antifaschistischer Blog bei blogsport.de wurde von Lecheler gezwungen, eine Kopie unseres Communiqués zu löschen.

 

In der Europäischen Union gibt es verstärkt Debatten um eine weitere Einschränkung der Freiheit im Internet. In Deutschland ist am 23.02.2010 ein Gesetz zur Sperrung von Websites in Kraft getreten. Zwar wurde am 02.03.2010 das Gesetz zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung, also zur Generalüberwachung aller Telekommunikationsdaten ohne bestimmtes Ziel oder Verdacht, vom Bundesverfassungsgericht für illegal erklärt. Gleichzeitig wurde damit jedoch zum ersten Mal höchstrichterlich die Speicherung von Daten auf Vorrat grundsätzlich für zulässig erklärt und somit das Volkszählungsurteil zur informationellen Selbstbestimmung von 1983 aufgeweicht.

 

In Frankreich gibt es seit dem 12.05.2009 ein „Gesetz zur Verbreitung und zum Schutz kreativer Inhalte im Internet“. Damit wurde die Rechtsgrundlage geschaffen, um UrheberrechtsverletzerInnen mit einem einjährigen Internetverbot bei gleichzeitigem Zwang zur Weiterzahlung der Providergebühren zu bestrafen. Die Sanktionen können ohne richterlichen Beschluss von einer neu geschaffenen Zensurbehörde mit dem euphemistischen Namen „Haute Autorité pour la Diffusion des Oeuvres et la Protection des Droits sur Internet“ („Oberbehörde für die Verbreitung von Werken und den Schutz von Rechten im Internet“) verhängt werden.

 

In Großbritannien hat am 15.03.2010 ein Gesetz das Oberhaus passiert, das gegen Copyright-Verletzungen Sanktionen wie die Drosselung der Zugangsgeschwindigkeit oder dem zeitweiligem Kappen der Netzverbindung vorsieht. Gleichzeitig sollen Regierungsmitglieder das Copyright auf dem Verordnungswege ändern können. Aus einem vertraulichen Arbeitspapier des EU-Ministerrats, das der Presse zugespielt wurde, geht hervor, dass in den Verhandlungen über das geplante internationale Geheimabkommen gegen Produktpiraterie (ACTA) auch Netzsperren und eine Haftungspflicht für Internetprovider diskutiert wurden.

 

Aber nicht nur in der EU gibt es restriktive Gesetze. Nach dem Outing von 241 Nazis am 28.06.2008 bei der „Schlachtfeier“ von Sempach im Schweizer Kanton Luzern prüfte der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte die rechtliche Situation bezüglich der „Internet-Veröffentlichung von Personendaten im Rahmen der Berichterstattung über öffentliche Veranstaltungen“. Zwar wurde anerkannt: „Eine anonymen Berichterstattung, wie sie bei Indymedia häufig vorgenommen wird, ermöglicht in vielen Fällen erst eine freie Meinungsäusserung. Sie stellt damit einen wichtigen Bestandteil der Pressefreiheit dar.“ Dennoch wurde das Outing als illegal gewertet, da kein „spezielles öffentliches Interesse an einer einzelnen Person“ bestünde. Allerdings könne die „Persönlichkeitsverletzung kaum geahndet und behoben werden“, falls die Website „im (nichteuropäischen) Ausland gehostet wird“.

 

In Island hat nicht nur eine Minderheit die fatalen Konsequenzen mangelnder Pressefreiheit zu spüren bekommen. Mitte 2009 wurde auf wikileaks.org ein Dokument der Kaupþing Bank veröffentlicht, das ungesicherte Kreditvergaben an GroßaktionärInnen der Bank und massive Kapitalflucht in den Tagen vor dem Zusammenbruch enthüllte. Ein Fernsehbericht über das Dokument in der Hauptnachrichtensendung des Fernsehsenders RÚV wurde durch die Bank mit einer einstweiligen Verfügung verhindert. Dies war der Anlass für Wikileaks und die überparteiliche Icelandic Modern Media Initiative zur Initiierung eines neuen isländischen Pressegesetzes. Ein Parlamentsausschuss wurde am 25.02.2010 vom Parlament einstimmig mit der Überprüfung der Gesetzesvorlage beauftragt.

 

Obwohl wir uns für mehr Datenschutz engagieren, benennen wir in unseren Communiqués die OrganisatorInnen des Faschismus, zitieren ihre Mails und veröffentlichen ihre Pläne. Wir tun dies, um die Auflösung von NPD-Ortsverbänden zu erreichen, um Nazikonzerte zu sabotieren und um Bombenanschläge zu verhindern. Für uns ist der Schutz unserer Quellen und unserer Kommunikation, wie ihn das neue isländische Pressegesetz vorsieht, kein Selbstzweck, denn Nazis sind Mörder. Auch ist für autonome Antifapolitik der Schutz der Archive gegen juristische Angriffe wichtig. Wir kämpfen gegen den Faschismus, aber wir sind auch Teil der sozialen Bewegungen für eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft. Die einzigen Archive der Bewegungen haben die Bewegungen selbst hervorgebracht und niemand wird unsere Geschichte erzählen, wenn wir es nicht selbst tun.

 

Auf nach Island!

 

Autonome Antifa Freiburg

Communiqué vom 08.04.2010

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Das BVerfG hat vor Kurzem auch ein weiteres Urteil bzgl. Meinungs-/Pressefreheit gefällt:

 

Eine Äußerung ist nicht schon deshalb unzulässig, weil das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Äußerung bzw. Berichterstattung überwiegt. Diese eingefahrene Betrachtung einiger Pressekammern in Deutschland hält das Bundesverfassungsgericht für unzulässig.

[...]

Wer sich über einen Dritten äußert, muss also nicht erst fragen, ob ein öffentliches Interesse an der Aussage besteht. Vielmehr ist es Teil seines Persönlichkeitsrechts, mit anderen über ihn interessierende Themen zu kommunizieren.

 

Das öffentliche Interesse am Thema kann, so das Bundesverfassungsgericht, das Recht auf Meinungsäußerung lediglich verstärken. Die Äußerung wahrer Tatsachen, zumal solcher aus dem Bereich der Sozialsphäre, müsse regelmäßig hingenommen werden. Daran werden einige Gerichte zu knabbern haben.

 

Quelle: lawblog.de