(B) Rebellische Kieze als Ausgangspunkt für eine aufständische Perspektive

Rebellischer Kiez

Die Geschehnisse rund um die Rigaer Straße der letzten Monate und im Speziellen der letzten Wochen seit der Räumung der Kadterschmiede haben unserer Ansicht nach eine genauere Betrachtung verdient. Gerade aus einer sozialrevolutionären Perspektive halten wir die Zuspitzung und Eskalation dieses Konfliktes für interessant, um weitere Schritte und Optionen für stadtpolitische Kämpfe zu diskutieren und Pläne zu schmieden

 

Wir würden fast behaupten, dass solch eine Entwicklung notwendig war, um die Auseinandersetzungen um die kapitalistische Stadt wieder in die Öffentlichkeit zu drängen und weit über die üblichen Kreise hinaus zum Gesprächsthema werden zu lassen. Nicht dass es zu diesem Thema total ruhig geworden wäre, aber viele Initiativen und Kampagnen der letzten Zeit haben im ruhigen, kleinen, wenig Aufsehen erregenden Rahmen stattgefunden oder waren innerhalb einer „Bewegung“ zu isoliert, um eine größere, vielfältige Mobilisierung zu erreichen. Dies sagt zwar nichts über die Qualität der einzelnen Initiativen aus, die wir zum Teil sehr spannend finden, zeigt aber auch die Grenzen der Möglichkeiten, wenn es wenig Bezug zueinander gibt oder Dinge im scheinbar luftleeren Raum stattfinden. Ähnlich sehen wir dies bei nächtlichen Angriffe auf die Symbole von Staat und Kapital.

 

Die Mischung macht‘s

 

Zurückblickend können wir sehen, dass es immer notwendig war, Kristallisationspunkte zu haben.

Solche, die verschiedene Spektren und Einzelpersonen zusammenbrachten und geeignet erschienen, eine kämpferische Dynamik los zu treten, in welcher sich Prozesse verselbstständigen und gegenseitig verstärken konnten.

Als Beispiele sehen wir hier die Räumung der Liebig14 im Jahr 2011 oder die Zwangsräumung der Familie Gülbol in der Lausitzer Straße 2013. Dass sich noch viele Leute gut und gerne an diese Ereignisse erinnern, zeigt, was für eine Kraft entstehen kann, wenn verschiedene Menschen zusammen kommen und die Kreativität und Unterschiedlichkeiten, von der brennenden Barrikade bis hin zur Sitzblockade, vom Flyer bis zum Transparent, in Wechselwirkung zusammen spielen. Wir sind überzeugt, dass weder das eine noch das andere allein die selbe Kraft entwickeln könnte, und das Unterschiedlichkeit eine entscheidende Voraussetzung ist, um breite Solidarität entstehen zu lassen.

 

Damit möchten wir nicht den Kämpfen, die auf den ersten Blick für die Stadt als Ganzes unbedeutend erscheinen, ihre Berechtigung absprechen. Ganz im Gegenteil: Die Nachbarschaftstreffs, die Kiezinitiativen oder die Szenekneipen könnten das Rückgrat dieser Kämpfe sein. Da wo Menschen konkret miteinander zu tun haben, sich kennen lernen, austauschen und organisieren können mit dem Ziel nachhaltige Strukturen aufzubauen. Gleichzeitig sollten wir aber immer wachsam sein und über den eigenen Tellerrand hinaus blicken und beobachten, welche Entwicklungen es woanders in dieser Stadt gibt. Nur so können wir uns aufeinander beziehen und Momente entstehen lassen, in denen wir uns alle wieder finden und verhalten.

Das Ganze darf sich natürlich auch nicht auf die Probleme der Wohnraumverknappung reduzieren. Unsere Analysen sollten immer klar genug sein, dass wir jederzeit fähig sind, Kämpfe miteinander zu verknüpfen und Zusammenhänge herzustellen. Wir sehen den Kiez als Ort, an dem wir Komplizenschaften knüpfen können, aber auch als Ausgangspunkt, RassistInnen und SexistInnen zu bekämpfen, der Ordnungsmacht entgegen zu treten und die allgegenwärtige Herrschaft des Kapitals anzugreifen.

 

Mit gutem Beispiel voran?!

 

Vieles von diesen Dingen können wir zur Zeit im Nordkiez von Friedrichshain erkennen.

Dass die Räumung der Kadterschmiede für so viel Wirbel sorgt und gerade auch die Nachbarschaft mobilisiert, ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Einer der Hauptgründe ist wohl die Errichtung eines Gefahrengebietes als Reaktion des Staates auf das regelmäßige Bewerfen von Polizeistreifen, womit der ganze Kiez in Sippenhaft genommen wurde. Erfahrungen, die Menschen mit der Polizei machen, prägen. Wenn sich die Bullen wie BesatzerInnen aufführen und so massiv in den Alltag einer ganzen Gegend eingreifen, dann empfinden das viele Leute als das was es ist: ein Polizeistaat. Bestimmt haben diese Erfahrungen auch dazu beigetragen, eine Basis zu schaffen, auf der die Solidarität wachsen konnte. Die, auf manche von uns etwas strategielos wirkenden Angriffe auf die Bullen, die uns trotzdem immer ein Lächeln ins Gesicht zauberten, wurden ergänzt durch Kiezversammlungen und Stadtteilspaziergänge wie gegen das Bauprojekt der CG-Gruppe. Wir freuen uns über die Entwicklung und halten sie für sehr inspirierend.

Auch wenn diese Prozesse nicht von ständigen Medienberichten begleitet wurden, sind wir ganz sicher, dass diese Phase des Kampfes die Möglichkeit für eine solidarische Nachbarschaft im Falle einer Räumung entscheidend gestärkt hat.

Vergessen dürfen wir dabei aber auch nicht die Geschichte dieser doch etwas speziellen Straße und welche Besonderheiten diese mit sich bringt. Denn selbst wenn ein Großteil der Bevölkerung in den letzten Jahren aufgrund von Aufwertung und Vertreibung ausgetauscht wurde, gibt es eine historische Kontinuität von Widerstand, die sich in den übriggebliebenen Häusern aus Besetzerzeiten manifestiert und nach wie vor eine Ausstrahlung auf das ganze Viertel hat. Und vielleicht ist es manchmal eben auch diese Geschichte, die es zu verteidigen gilt.

 

Wege, die wir gehen könnten

 

Wir sind überzeugt, wir brauchen mehr Momente wie diese. Momente, wo wir zusammenkommen und laut werden, wo wir sichtbar werden, wo die Straßen brennen und die Scheiben klirren. Momente, in denen wir uns Raum verschaffen, um gehört zu werden und Momente, wo wir Erfahrungen sammeln und weitergeben können. Ist es nicht genau das, was uns in Berlin schon wieder viel zu lange gefehlt hat?

Verloren in all den wichtigen Bemühungen der letzten Zeit, sich mit klugen Ideen in die Kämpfe von Geflüchteten zu begeben, ohne sich am Ende in karitativer Arbeit wiederzufinden, welche den Verantwortlichen für die ganze Misere am Schluss noch zugute kommt. Wir wollten keine Sozialarbeit machen, haben aber auch keine politische Antwort gefunden, die in der Lage gewesen wäre, eine andere Dynamik zu entfachen.

Gleichzeitig sehen wir in der Umwälzung des städtischen Raumes das Potenzial, verschiedene soziale Konflikte zusammenzuführen, da sie hier oft sehr deutlich zum Ausdruck kommen und Probleme sich verdichten.

Deswegen halten wir Stadtteilkämpfe für geeignet, um Grundlagen zu schaffen für ein aufständisches Projekt. Hier wo die Macht des Kapitals in sehr deutlicher und direkter Form auftritt, wo jeder Meter hart umkämpft wird, um daraus Kapital zu schlagen.

Die Entwicklungen der letzten Jahre hin zur neoliberalen Stadt sind bestimmt kein Zufall. Die Zerstörung gewachsener Strukturen im Kiez sind nach der Vereinzelung und Zerstreuung auf dem Arbeitsmarkt wohl das effektivste Mittel der Herrschenden, ein gemeinsames politisches Bewusstsein für den sozialen Krieg aufgrund gleich gelagerter Probleme zu vernichten. Doch noch sehen wir Handlungsmöglichkeiten für einen Kampf um die Kieze, noch sind nicht alle Ausgeschlossenen und Überflüssigen an den Stadtrand vertrieben.

Nur müssen wir uns finden und dazu müssen wir wieder vermehrt Orte schaffen, an denen dies möglich ist. Seit Jahren wird den BewohnerInnen dieser Stadt der öffentliche Raum durch Überwachungskameras, private Securities, Bullen und einer Architektur im Sinne der sozialen Kontrolle, streitig gemacht.

Die Wiederaneignung und Belebung solcher Orte könnte ein Teil unserer Strategie sein, um sichtbar zu werden. Wandzeitungen und Infowände erstellen, Treffen und Veranstaltungen auf der Straße machen, in den Raum eingreifen und Orte selber gestalten, Kameras zerstören und durch Graffiti ersetzen und sich Bullen und Securities in den Weg zu stellen, sind nur einige Beispiele die uns in den Sinn kommen. Dies klingt vielleicht alles nicht sehr neu, gerade wenn wir an Orte wie den Dorfplatz denken. Jedoch fänden wir es interessant zu experimentieren, welche Möglichkeiten sich in der jetzigen Zeit an unterschiedlichen Orten dieser Stadt bieten, die nicht über eine subkulturelle Zugehörigkeit definiert sind.

Anderseits würden wir solche Orte als Möglichkeit sehen, verschiedene Kämpfe bekannt zu machen und aufeinander Bezug zu nehmen.

 

Wenn zum Beispiel gleichzeitig zu einer Zuspitzung wie kürzlich in der Rigaer Straße am Kotti oder im Görli darüber diskutiert werden würde und die Problematik von Gefahrengebieten auch dort auf- und angegriffen würde, bestünde für mehr Leute die Möglichkeit, über einen eigenen Bezug und eigene Betroffenheit Solidarität herzustellen.

 

Wenn gleichzeitig zu der Räumung der Flüchtlingsunterkunft in der Jahn-Sporthalle auf dem Tempelhofer Feld, wo sich kürzlich BewohnerInnen weigerten in das Lager im Flughafengebäude zu ziehen, bei den nächsten Protesten gegen ein Neubauprojekt darüber berichtet würde, bestünde die Möglichkeit mehr Leute für diese Ebene vom Kampf um Wohnraum zu sensibilisieren und Solidarität zu zeigen.

Manchmal gelingt es bereits die Vereinzelung zu durchbrechen. So war die Demo der Geflüchteten aus der Unterkunft in Lichtenberg zur Rigaer Straße hin wohl eines der stärksten Zeichen der Solidarität in diesen drei Wochen der Belagerung.

 

Beschreiten wir das Ungewisse

 

Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir mehr solcher Bezugspunkte schaffen können. Wir müssen uns überlegen, wie wir gemeinsame Strategien entwickeln können, damit die Dynamik von Ereignissen wie einer Räumung nicht sofort danach wieder verpuffen, sondern die Funken die wir zünden sich wie ein Strohfeuer verbreitern können. Wir müssen Orte schaffen, wo wir sichtbar sind und in den tristen Alltag eingreifen können. Wir müssen mutig werden und aus der Wohlfühlzone ausbrechen.

Verlassen wir die gewohnten Pfade und begeben wir uns ins Ungewisse ...

Die Zeichen stehen nicht schlecht, denn schon bald steht die nächste drohende Räumung des M99/HG an. Wir sehen dies als Chance, die Kämpfe für rebellische Kieze und ein selbstbestimmtes, solidarisches Leben zu intensivieren. Natürlich mit dem primären Ziel die Räumung zu verhindern, aber auch um mit Wut und Kreativität den sozialen Angriff von Oben ins Gegenteil zu wenden. Für eine aufständische Perspektive.

Für mehr Dynamik. Und mehr Dynamit.