Rätsel um den wahren Eigentümer der Rigaer 94

Erstveröffentlicht: 
21.07.2016

Offiziell gehört das teilbesetzte Haus in Berlin-Friedrichshain der Firma Lafone. Wer steckt hinter dem dubiosen Unternehmen? Die "Welt" hat sich auf die Spur des geheimnisvollen Besitzers gemacht.

 

Riesenpolizeieinsatz! Riesenkrawalle! Brennende Autos überall in Berlin! Viel Lärm und Rauch um Berlins berühmtestes besetztes Haus – die Rigaer Straße 94 im Szenebezirk Friedrichshain gilt als Deutschlands umkämpfteste Immobilie.

 

Das teilbesetzte Haus ist so etwas wie das letzte gallische Dorf des linksradikalen Widerstands im Land. Seit der Eigentümer das Erdgeschoss und den Dachstuhl des Mietshauses im Juni räumen ließ, tobt in Berlin ein Streit über die Zukunft des Gebäudes. Nachts brennen Autos, tagsüber streiten sich die Politiker.

 

Nur, wer ist eigentlich der Eigentümer? Wem gehört die Rigaer Straße 94 wirklich? Es ist nicht der geringste Teil des Tumultes, dass keiner der öffentlichen Akteure diese Frage beantworten kann – oder will: Der Anwalt des anonymen Eigentümers findet, dies sei eindeutig die falsche Frage.

 

"Sie müssen sich fragen, wieso der Eigentümer seine Identität nicht preisgibt", schimpft der Mann am Telefon. Weil nämlich der Vorbesitzer jahrelang gewalttätig bedroht worden sei. "Das ist doch der wahre Skandal", sagt der Anwalt des aktuellen Besitzers.

Dann weist er darauf hin, dass man auch seinen Namen keinesfalls in der Zeitung schreiben solle. Sein Vorgänger hatte vor einer Woche sein Mandat niedergelegt, nachdem ein Auto vor seinem Wohnhaus ausbrannte. Der neue Anwalt möchte brennende Autos in seiner Wohngegend vermeiden. Das ist verständlich, trägt aber nicht zum besseren Verständnis der undurchschaubaren Eigentumsfrage bei.

 

Strohmann für eine andere Firma?


Derweil wachsen sich die Scharmützel um die Rigaer Straße zum Politikum aus. Gut möglich, dass der Gewinner des Kampfs um die Rigaer 94 die Berliner Kommunalwahl im September für sich entscheiden wird. Besonders Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) hat es sich zur wichtigsten Aufgabe seines Wahlkampfs gemacht, die Rigaer Straße zu befrieden.

Kritiker fragen sich, ob sich Henkel dabei nicht vor den Karren dubioser Geschäftsleute spannen lässt. Denn natürlich ist das Haus aus der Gründerzeit mit einem Schlag ein Vielfaches wert, sobald es die linksradikalen Bewohner verlassen müssen.

Dementsprechend pikant ist also die Frage, wem das Mietshaus mit seinen 30 Wohnungen denn gehört. Offizieller Eigentümer soll die Lafone Investment Limited sein. Doch das ist lediglich eine Briefkastenfirma, die ihren Sitz in Großbritannien und auf den Britischen Jungferninseln hat. Es gibt Hinweise, dass Lafone nur als Strohmann für eine andere Firma tätig sein könnte.

 

Die Hintermänner blieben schon beim Kauf im Dunkeln


Als erstes Medium konnte die "Welt" jetzt Einblick in das Grundbuch und in den darin enthaltenen Kaufvertrag nehmen. Auf den ersten Blick ist das Ergebnis unspektakulär: In den Akten ist tatsächlich die Lafone Investment Limited als Eigentümerin vermerkt.

Interessant ist jedoch das Datum des Kaufvertrags: der 15. August 2014. Denn laut britischem Handelsregister wurde Lafone am 13. August 2014 gegründet, nur zwei Tage zuvor. Das nährt den Verdacht, dass Lafone einzig und allein ins Leben gerufen wurde, um den Kauf der Rigaer Straße 94 abzuwickeln und deren wahren Käufer zu verschleiern.

 

So war es dann auch folgerichtig, dass der Käufer zur Unterzeichnung bei einem Wilmersdorfer Notar nicht selbst erschien, sondern sich durch eine 26 Jahre alte Rechtsanwalts-Fachangestellte vertreten ließ, die die gleiche Geschäftsanschrift hat wie der Notar. Die Hintermänner blieben auf diese Weise schon damals im Dunkeln.

 

Das Grundbuch verrät noch etwas: Der Verkäufer Suitbert Beulker hatte es offenbar eilig, das Mietshaus endlich loszuwerden. Denn aus einem Eintrag geht hervor, dass das Amtsgericht im Juli 2014 angeordnet hatte, dessen Immobilie zwangszuversteigern. Beulker hatte die Grundsteuer für das Haus nicht mehr gezahlt.

Die Versteigerung konnte er wohl mit dem Verkauf abwenden. Als Kaufpreis verlangte Beulker von Lafone äußerst bescheidene 1,2 Millionen Euro. Vergleichbare Objekte in dieser Lage werden in Berlin in aller Regel für ein Vielfaches veräußert.

 

Öffentliche Schnitzeljagd nach dem Besitzer


Eine Rechnung, um das zu verdeutlichen: In dem Mietshaus befinden sich 30 Wohnungen. Das bedeutet, der Käufer bezahlte pro Wohnung rund 40.000 Euro. In dieser Gegend werden aber selbst kleine, dunkle Erdgeschosswohnungen im unsanierten Zustand kaum unter 100.000 Euro angeboten. Offenbar gewährte Beulker der Lafone einen erheblichen Risikoabschlag – vermutlich wegen der schwierigen Mieter des Hauses.

John Dewhurst könnte Licht ins Dunkel bringen. Der 69-jährige Londoner Anwalt ist laut britischem Handelsregister der einzige Gesellschafter von Lafone. Das Stammkapital besteht aus einer Aktie mit einem Wert von einem Pfund. Dewhurst gehören rund 100 weitere, ähnliche Briefkastenfirmen wie Lafone. Es scheint sein Geschäft zu sein, für seine Mandanten als Strohmann aufzutreten.

 

Dewhurst war es, der die öffentliche Schnitzeljagd nach dem Besitzer der Rigaer Straße 94 erst angezettelt hatte. In der vergangenen Woche schrieb er mehreren deutschen Journalisten, er sei nie wirklich der Eigentümer des Berliner Mietshauses gewesen. Vielmehr sei er nur der "Treuhänder für den rechtmäßigen Besitzer".

 

Im Übrigen habe er sein Amt als Vorstandschef von Lafone niedergelegt. Ihm war der Trubel um das Gebäude in Berlin wohl zu viel geworden. Ein Blick ins britische Handelsregister belegt das: Dewhurst trat am 8. Juli 2016 von seinem Posten zurück. Ein Nachfolger ist bislang nicht in das Register eingetragen.

Dewhurst sagt weiter, den wirklichen Eingetümer dürfe er nicht nennen. Wer mehr wissen wolle, solle sich an die Centurius Immobilien Handels GmbH in Berlin-Wilmersdorf wenden. Das wiederum ist gar nicht so einfach, denn unter der Telefonnummer dieser Gesellschaft meldet sich zwar eine freundliche Sekretärin mit osteuropäischem Akzent. Sie verspricht, den Wunsch um Rückruf gern weiterzugeben. Dann passiert aber nichts mehr. Auch auf zwei E-Mail-Anfragen reagierte Centurius nicht.

 

"Eine Geschäftsbindung gilt als riskant"


Der Blick ins deutsche Handelsregister und der in die Datenbank der Wirtschaftsauskunftei Creditreform zeigen, dass Centurius ähnlich dubios anmutet wie Lafone. Das Unternehmen gehört dem Kaufmann Leonid Medved, geboren am 17. Dezember 1966, verheiratet, geschäftsansässig in der Cicerostraße 21 in Berlin.

Medved war in den vergangenen Jahrzehnten sehr umtriebig. Im Handelsregister ist er seit 1991 als Gesellschafter oder Geschäftsführer von 17 Firmen vermerkt, darunter diverse Spielhallen, aber auch Sonnenstudios. Später stieg er in die Immobilienbranche ein.

Die mit einem Stammkapital von 25.000 Euro ausgestattete Centurius Immobilien Handels GmbH gründete Medved im Jahr 2000; der Firmenzweck laut Gesellschaftsvertrag: "Kauf, Sanierung und die Verwaltung von Immobilien beziehungsweise Grundstücken".

Ein richtig gutes Händchen für den Betongoldhandel scheint Medved jedoch nicht zu haben. Eine Wirtschaftsauskunftei warnt ihre Kunden vor dem Kaufmann: "Diese Person ist bekannt, Forderungsausfälle oder deutlicher Zahlungsverzug. Von Krediten wird abgeraten. Eine Geschäftsbindung gilt als riskant. Erhebliche Zielüberschreitungen, massive Zahlungsschwierigkeiten." Mindestens drei Gläubiger erhielten von Medved ihr Geld erst "nach gerichtlichen Maßnahmen" zurück.

Nach dem Eigentümerwechsel ist der Besitz in der Rigaer Straße 94 übrigens als Kreditsicherheit eingesetzt worden. Mit notarieller Urkunde vom 14. November 2014 ließ die Briefkastenfirma Lafone eine Grundschuld in Höhe von fünf Millionen Euro zugunsten der Hamburger Privatbank Donner & Reuschel bestellen.

Die Rigaer 94 bleibt ein Haus mit Geheimnissen. Eines aber ist klar: Es geht um linksradikalen Straßenkampf, es geht um Immobiliengemurkel unbekannter wie allzu bekannter Eigentümer – um eines ging es bisher am allerwenigsten: um das Haus.