"Bonzen raus": Der Kampf um Wohnraum in Gostenhof

Erstveröffentlicht: 
07.07.2016

NN-Lokal-Forum: Ärmere werden allmählich verdrängt - Soziale Kluft wächst - vor 11 Stunden

NÜRNBERG - Wie ist es um den Wohnraum für ärmere Menschen bestellt? Im Stadtteil Gostenhof tobt seit einiger Zeit ein Konflikt um günstige Bleiben. Beim NN-Lokal-Forum kamen Experten und Betroffene zu Wort.


Im Stadtteil Gostenhof tobt seit einiger Zeit ein Konflikt um günstige Bleiben. © Michael Matejka

 

Es wird eng. Immer mehr Menschen wollen in Großstädte, die Zahl der Einwohner wächst. Auch in Nürnberg ist sie in nur wenigen Jahren um 30.000 auf bald 530.000 gestiegen. Zugleich wachsen aber auch die Mieten, für immer mehr Menschen sind diese kaum noch zu bezahlen. Die Folge: Menschen müssen aus den Wohnungen raus und sich neue, günstigere Bleiben suchen. Eine Form der Verdrängung, die unter dem Begriff "Gentrifizierung" seit einiger Zeit schon durch die Medien geistert.

 

In jüngerer Vergangenheit geriet deswegen Nürnbergs Stadtteil Gostenhof wiederholt in die Schlagzeilen. Vor diesem Hintergrund luden die Nürnberger Nachrichten zum NN-Forum ins Gemeindehaus der Dreieinigkeitskirche ein. Auf dem Podium mit dabei: der städtische Baureferent Daniel Ulrich, Susanne Steiner-Püschel vom katholischen Kindergarten St. Anton, Titus Schüller, Stadtrat der Linken Liste, und Reimar Zeh, der im Stadtteil seit 1988 wohnt und seit 2012 Eigentümer eines Reihenhauses am Jamnitzerplatz ist. Ganz wohl fühlt er sich seitdem im Viertel nicht mehr: "Menschen, die noch gar nicht geboren waren, als ich hier schon wohnte, sagen mir, dass ich verschwinden soll."

Linken-Stadtrat Titus Schüller (re.) warnt beim NN-Forum vor einer weiteren Verdrängung ärmerer Menschen aus Gostenhof. Die Veranstaltung wurde von Ute Möller (3. v. re.) und Andreas Franke (3. v. li.), NN-Redakteure, moderiert.F.: Matejka

 

Warum? Zeh sitzt stellvertretend für alle auf dem Podium, die sich kürzlich eine Immobilie in Gostenhof kauften. In ihnen sehen Kritiker die personifizierte Gentrifizierung: wohlhabende Bürger, die ärmere verdrängen. "Bonzen raus" oder "Yuppies, vepisst euch" schmierten Leute an die Wand seines Hauses — und nicht nur an sein Anwesen. Was Zeh nicht versteht: "Ich habe niemanden verdrängt. Das Grundstück, auf dem mein Haus steht, war eine Industriebrache. Da waren keine Wohnhäuser."

 

Muss man sich beim Wort "Bonzen" überhaupt angesprochen fühlen? Linken-Stadtrat Schüller findet das nicht: "Wenn ich kein Bonze bin, kann ich das auch ignorieren." Doch eine Verdrängung sieht der Politiker dennoch: "Hier findet halt keine direkte Strukturveränderung statt, sondern eine indirekte." Stadtteile werden teurer, weil sie für Gutbetuchte attraktiver sind. Häuser werden saniert, die Mieten steigen.

 

"Falsche Behauptung"

 

Dass sich der Stadtteil in diese Richtung entwickelt, hat auch der Baureferent erkannt. Nur laufe der Prozess nicht in dieser Geschwindigkeit, wie es dargestellt werde. Daniel Ulrich nutzt auf dem Podium auch die Gelegenheit, mit einer immer wiederkehrenden "falschen" Behauptung aufzuräumen: "Es gibt keinen Binnenzuzug nach Gostenhof. Eher umgekehrt. Menschen ziehen aus dem Stadtteil raus." Leugnen will er aber nicht, dass die soziale Kluft immer größer wird. "Das haben wir aber nicht nur in Gostenhof, sondern in vielen anderen Stadtteilen auch." Für Familien mit vielen Kindern sei es so schwer wie nie, eine angemessene Wohnung zu finden, sagt er.

 

Ein Punkt, an den Susanne Steiner-Püschel vom Kindergarten St. Anton anknüpft. Gostenhof sei ein Schmelztiegel, Menschen vieler Nationen haben hier ihre Heimat gefunden. "Es waren die Gastarbeiter aus Italien, Griechenland und der Türkei, die den Stadtteil prägten." Doch Häuser mit großen Wohnungen, die gebraucht werden, weil einige Familien hier viele Kinder haben, werden vernachlässigt. "Es gibt auch immer noch Häuser mit einem Klo für vier Wohnungen."

 

Stadtrat Titus Schüller beklagt, dass immer mehr geförderte Wohnungen aus ihrer sozialen Bindung fallen. Sprich: Die Pflicht, den Wohnraum durch die Förderung preiswert anzubieten, entfällt. Das sei noch immer ein Garant gewesen, Bürgern mit schmalem Einkommen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Hier sieht er das kommunale Wohnungsbau-Unternehmen wbg in der Pflicht. "Die wbg kann, anders als private Vermieter, den Wohnraum trotzdem günstig anbieten, auch wenn er aus der sozialen Bindung herausfällt."

 

Kritik übt er auch daran, dass die Stadt ihr "Tafelsilber" verscherbelt, städtische Grundstücke verkauft, um Geld in die Kasse zu spülen. Baureferent Ulrich gibt ihm teilweise recht. "Wir haben in der Vergangenheit Flächen leichtsinnig verkauft", sagt er. Doch das habe sich geändert. "Wir verkaufen nur noch an Bestandshalter wie Siedlungswerke, die wbg oder an das kirchliche Wohnungsunternehmen Joseph-Stiftung. Sie schaffen garantiert Wohnraum." 

 

ALEXANDER BROCK

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Dann leben wir halt in der ddr, das muss der arbeiterführer schüller

Dann auch klipp und klar sagen