„Kampf um Kobanê“: Fragmente zu einer fragmentierten Region

Solidarität

Während diese Zeilen entstehen, führt die türkische Regierung einen rücksichtslosen Krieg gegen die mehrheitlich kurdische Zivilbevölkerung im Osten der Türkei. Bevor die neoliberal-islamistische Regierung der Türkei den Bürgerkrieg im Osten des Landes neu entfachte, versuchte sie den gesellschaftlichen Aufbau von Kurd_innen und anderen Minderheiten jenseits ihrer Grenze zu vernichten. Durch teils unverhohlene, teils versteckte oder indirekte Unterstützung der Terrororganisation „Islamischer Staat“ trug die Regierung Erdoğan ihren Teil dazu bei, dass die nordsyrische Stadt Kobanê zeitweise kurz vor der Auslöschung durch eben jene Terrororganisation stand. Das Buch, um das es in diesem Text geht, dreht sich sowohl um den Bürgerkrieg im türkischen Nachbarland Syrien als auch um die politische Situation in der Türkei. „Kampf um Kobanê“, herausgegeben vom Politikwissenschaftler und Journalisten Ismail Küpeli, ist ein Sammelband, der Schlaglichter auf verschiedene Dimensionen der kurdischen Frage, des syrischen Bürgerkriegs und der Konflikte in der Türkei wirft. 

 

Im Zentrum steht zunächst die kurdische Frage – auch in den syrischen Nachbarländern. Darüber schreibt Sebahattin Topcuoglu. Die Geschichte der PKK wird von Lokman Turgut erläutert. Weiter hinten erklärt Hannah Wettig die verschiedenen Akteur_innen der Opposition gegen das nationalistische und reaktionäre syrische Ba’ath-Regime. Das Buch schließt mit zwei Artikeln zur Ideologie und Geschichte des so genannten „Islamischen Staates“. Überdies findet sich in Küpelis Sammelband eine Auseinandersetzung mit der Frauenrevolution in Rojava von Dilar Dirik, eine kritische Analyse zur PKK-Solidarität in der deutschen Linken von Christian Jakob, eine Analyse zur AKP-Regierung in der Türkei von Guney Işıkara, Alp Kayserilioğlu und Max Zirngast und ein Bericht über die außerparlamentarische, linke Opposition in der Türkei von Fatma Umul.

Die ersten drei Aufsätze des Buches behandeln die gesellschaftliche Situation in den kurdischen Gebieten. Mit durchaus unterschiedlichen Schlüssen wird auch die politische Perspektive der Selbstverwaltung im Sinne der vor allem aus dem PKK-Spektrum geforderten und ansatzweise bereits umgesetzten Demokratischen Autonomie diskutiert. Der Sozialökonom Sebahattin Topcuoglu schreibt dazu im Fazit seines Aufsatzes „Kurd_innen ohne Staat“:

Das System der KCK, deren Grundzüge oben dargelegt wurden, will den Kapitalismus und Nationalstaat herausfordern. Ob dieses System als ein Gesellschaftmodell im Nahen Osten tatsächlich umgesetzt werden kann, ist mehr als fraglich. Der Staat als solcher wird auch in naher Zukunft weiterexistieren. Die Frage ist, wie er in einer der von zahlreichen Konflikten geprägten Region des Nahen Ostens demokratisiert werden kann. Dafür wäre ein erster wichtiger Schritt die de jure Dezentralisierung der nationalstaatlichen Strukturen, die die Macht des Zentralstaates schwächen und Regionen stärken würde. die Selbstorganisation der kurdischen Gesellschaft auf der Grundlage der Demokratischen Autonomie kann diesen Prozess vorantreiben und für eine Demokratisierung von unten sorgen.

Sebahattin Topcuoglu: Kurd_innen ohne Staat, S. 24, in: Ismail Küpeli (Hg.): Kampf um Kobanê. Kampf um die Zukunft des Nahen Ostens, Münster 2015, S. 10-26


Hervorzuheben ist hierbei, dass Topcuoglu hier betont, dass das Konzept der Demokratischen Autonomie Kapitalismus und Nationalstaat herausfordern will. Einer breiteren Öffentlichkeit ist diese Tatsache sicherlich nicht geläufig, schreibt man der PKK-nahen kurdische Bewegung doch oft genug das Ziel eines unabhängigen kurdischen Nationalstaats zu. Ebenfalls richtig liegt Topcuoglu mit der These, dass weder eine Überwindung des Kapitalismus noch des Nationalstaats in den kurdischen Gebieten in Sicht ist. Sein Schluss, dass die Errichtung von dezentralisierten und demokratisierten Nationalstaaten im Nahen Osten stattdessen das wäre, was auf der Tagesordnung stünde, ist jedoch idealistisch. Es gibt tatsächlich keinerlei Anhaltspunkte für Demokratisierung oder Dezentralisierung in den Nationalstaaten der Region. Faktisch befinden sich alle Staaten, die in Topcuoglus Artikel besprochen werden (Türkei, Iran, Irak, Syrien) in schwerwiegenden inneren Krisen. Drei der vier genannten Staaten befinden sich derzeit im Bürgerkrieg und stehen vor der Zerreißprobe. Dabei ist das Problem nicht einzig die kolonialistische Grenzziehung und die Diskriminierung von ethnisierten Minderheiten durch die Zentralstaaten. Mit dem Ende des fordistischen Arbeitsplatz- und Industriekapitalismus ist der Nationalstaat als solcher kategorial in der Krise. Plünderungsökonomien und postmoderne Wahnideologien wie der Islamismus treten an Stelle der gescheiterten Modernisierungsprojekte im Nahen Osten. Weder der Kommunismus (=die Praxis der Überwindung von Nationalstaat und Kapitalismus), noch der demokratische, föderale Nationalstaat erscheinen derzeit als wahrscheinliche Zukunftsvisionen für den Nahen Osten. Vielmehr spielen sich barbarische Kriege zwischen zerfallenden Terrorregimen und nicht weniger terroristischen Banden und Milizen, teils mit „Staats“-Anspruch, ab. Der linke Aktivist Ulf Petersen hebt in seinem Beitrag diese prekäre Situation ebenfalls hervor und betont vor diesem Hintergrund die besonderen Errungenschaften der Rojava-Revolution, die in Zeiten des Bürgerkriegs eine halbwegs menschenrechtskonforme Zivilverwaltung hervorgebracht hat und in deren Rahmen Feminismus und Kooperation aller Bevölkerungsgruppen eine wichtige Rolle spielen. Die Frage nach der Perspektive jenseits des Kapitalismus behandelt Petersen allerdings als eine wirtschaftspolitische Frage:

Die Wirtschaftspolitik in Rojava ist heute geprägt von Notstandsverwaltung unter Kriegsbedingungen. […] Rojava ist eine winzige Enklave in der kapitalistischen Weltordnung und kann vorerst eher nur ein ideeller Bezugspunkt für die internationalen antikapitalistischen Bewegungen sein. Wie der Kapitalismus überwunden werden kann, diese Frage kann also in Rojava gestellt, aber nicht beantwortet werden. Angesichts der weltweiten Defensive, in der sich antikapitalistische Ideen und Bemühungen befinden, ist das praktische Stellen der Frage nach einer Systemalternative ein wichtiger Schritt.

Ulf Petersen: Die Rojava-Revolution zwischen kurdischer Selbstbestimmung und sozialer Utopie, S. 34, in: Ismail Küpeli (Hg.): Kampf um Kobanê. Kampf um die Zukunft des Nahen Ostens, Münster 2015, S. 27-37


In der Tat ist das in Frage Stellen des Kapitalismus bereits ein wichtiger Schritt. Bei Petersen sieht es allerdings so aus, als hätten die Revolutionär_innen aus Rojava die „Systemalternative“ schon als Konzept in der Tasche und als würde lediglich der Bürgerkrieg zwischen Konzept und Umsetzung stehen. Dabei wird die Vergesellschaftungsweise des Kapitalismus, die auf eine von den kapitalistischen Subjekten ausgehende aber ihrem Zugriff entzogene Praxis zurückgeht, auf das Paradigma eines „Systems“ verkürzt. In dieser Lesart stellt sich der Kapitalismus als eine Ansammlung an Spielregeln nach denen gewirtschaftet wird dar, die durch eine Umwälzung der Machtverhältnisse geändert werden kann. Während Petersen versucht zu erklären, warum in Rojava noch nicht alle Großgrundbesitzer_innen enteignet wurden, übersieht er, dass noch aus dem Spektrum von PYD, PKK und KCK bislang weder theoretische noch praktische Impulse zu Überwindung der warenproduzierenden Vergesellschaftung zu sehen waren. Die Frage  nach der Überwindung von Wert, Kapital, bürgerlicher Rechtsform und Konkurrenzsubjekt ist eine Angelegenheit, die sowohl in der deutschen als auch in der kurdischen Linken gerne aus den Debatten ausgeklammert wird.

 

Weiter als Petersen geht die Soziologin Dilar Dirik in ihrer Bewertung der Rojava-Revolution. Während für Petersen die Überwindung des Kapitalismus in Rojava lediglich durch Großgrundbesitzer und die Kriegssituation verstellt scheint, liest sich Diriks Text als würde die Überwindung von Nation und Kapitalismus sich dort gerade in der Umsetzung befinden:

Den monopolistischen Bestrebungen ihrer Feinde entgegen, bauen die Menschen in Rojava eine diverse, bunte Gesellschaft der Vielfalt auf. Anstatt die Person an der Führung zu ersetzen, lehnen die Frauen in Rojava die Parameter des globalen Systems gänzlich ab und konstruieren ihre eigenen Standards.

Dilar Dirik: Die Frauenrevolution in Rojava, S. 48, in: Ismail Küpeli (Hg.): Kampf um Kobanê. Kampf um die Zukunft des Nahen Ostens, Münster 2015, S. 38-50


Bei allem Respekt vor Diriks Analyse und vor allem vor der feministischen Organisierung in den kurdischen Gebieten, deren Antinationalismus und Antikapitalismus hier nicht in Frage gestellt werden sollen: die zitierte These ist dazu geeignet, die Situation in Rojava gänzlich zu verklären. Sehen wir einmal davon ab, dass „die Frauen in Rojava“, wie Dirik schreibt, mit Sicherheit nicht alle die gleichen politischen Ansichten haben werden. Die „gänzliche Ablehnung“ der „Parameter des globalen Systems“ ist fragwürdig genug. Der globale Kapitalismus mit seinen Basiskategorien ist nichts, was man unmittelbar vollumfänglich ablehnen kann. Dazu ist die Frage, wie der kapitalistische Vergesellschaftungsmodus strukturiert ist, eben doch zu komplex. Sicher: die Überwindung von Nationalstaat, Kapitalismus und Patriarchat ist als Ziel formulierbar und sollte auch formuliert werden. Das ändert jedoch nichts an der tiefen Verstrickung aller modernen Subjekte in die Funktionslogiken der zu überwindenden Kategorien. Noch problematischer ist jedoch der Gedanke, „die Frauen in Rojava“ würden „ihre eigenen Standards“ kreieren. Auch hier: die Frauenräte und feministische Mobilisierung in Rojava sollen keinesfalls gering geschätzt werden. Aber die Überwindung der „Parameter des globalen Systems“ ist keine Frage von Standards, sondern eine Frage einer kollektiven, reflektierten und kreativen Praxis – und zwar global. Diriks Text läuft damit Gefahr, der kurdischen Freiheitsbewegung einen Bärendienst zu erweisen, setzt sie die Messlatte doch unrealistisch hoch an:

Wärend sie gegen die faschistische Weltanschauung des IS kämpfen, hinterfragen die Akteure der Rojava Revolution ebenfalls das System, das zur Entstehung dieser mörderischen Gruppe beigetragen hat, und bauen zugleich die Grundlagen einer alternativen, freien Gesellschaft auf.

Dilar Dirik: Die Frauenrevolution in Rojava, S. 49, in: Ismail Küpeli (Hg.): Kampf um Kobanê. Kampf um die Zukunft des Nahen Ostens, Münster 2015, S. 38-50


Sowohl Dirik und Petersen, als auch Topcuoglu unterliegen in ihren Aufsätzen einer falschen Unmittelbarkeit. Während Topcuoglu das Fehlen einer unmittelbaren Perspektive über Nationalstaat und Kapitalismus hinaus dahingehend fehldeutet, dass er die Demokratisierung des Nationalstaats durch die Rojava-Revolution prophezeit, glauben Dirik und Petersen, die PKK-nahe Bewegung habe den Ansatz die Emanzipation bereits gefunden. Beides ist problematisch und verkennt in gewisser Weise den Ernst der Lage: stabile demokratische Staaten stehen genau so wenig in Aussicht wie der Kommunismus und genau das sollte emanzipatorischen Kräften aktuell zu denken geben. Folgen sollte daraus ein Weiterdenken über die bisherige Praxis hinaus, ein radikales Streben nach Kreativität und Emanzipation. Die Varianten der genannten Autor_innen laufen jedoch auf ein zufrieden Sein mit dem status quo der Praxis hinaus. Und dafür gibt es keinerlei Anlass.

Weiter als Petersen geht die Soziologin Dilar Dirik in ihrer Bewertung der Rojava-Revolution. Während für Petersen die Überwindung des Kapitalismus in Rojava lediglich durch Großgrundbesitzer und die Kriegssituation verstellt scheint, liest sich Diriks Text als würde die Überwindung von Nation und Kapitalismus sich dort gerade in der Umsetzung befinden:

Den monopolistischen Bestrebungen ihrer Feinde entgegen, bauen die Menschen in Rojava eine diverse, bunte Gesellschaft der Vielfalt auf. Anstatt die Person an der Führung zu ersetzen, lehnen die Frauen in Rojava die Parameter des globalen Systems gänzlich ab und konstruieren ihre eigenen Standards.

Dilar Dirik: Die Frauenrevolution in Rojava, S. 48, in: Ismail Küpeli (Hg.): Kampf um Kobanê. Kampf um die Zukunft des Nahen Ostens, Münster 2015, S. 38-50


Bei allem Respekt vor Diriks Analyse und vor allem vor der feministischen Organisierung in den kurdischen Gebieten, deren Antinationalismus und Antikapitalismus hier nicht in Frage gestellt werden sollen: die zitierte These ist dazu geeignet, die Situation in Rojava gänzlich zu verklären. Sehen wir einmal davon ab, dass „die Frauen in Rojava“, wie Dirik schreibt, mit Sicherheit nicht alle die gleichen politischen Ansichten haben werden. Die „gänzliche Ablehnung“ der „Parameter des globalen Systems“ ist fragwürdig genug. Der globale Kapitalismus mit seinen Basiskategorien ist nichts, was man unmittelbar vollumfänglich ablehnen kann. Dazu ist die Frage, wie der kapitalistische Vergesellschaftungsmodus strukturiert ist, eben doch zu komplex. Sicher: die Überwindung von Nationalstaat, Kapitalismus und Patriarchat ist als Ziel formulierbar und sollte auch formuliert werden. Das ändert jedoch nichts an der tiefen Verstrickung aller modernen Subjekte in die Funktionslogiken der zu überwindenden Kategorien. Noch problematischer ist jedoch der Gedanke, „die Frauen in Rojava“ würden „ihre eigenen Standards“ kreieren. Auch hier: die Frauenräte und feministische Mobilisierung in Rojava sollen keinesfalls gering geschätzt werden. Aber die Überwindung der „Parameter des globalen Systems“ ist keine Frage von Standards, sondern eine Frage einer kollektiven, reflektierten und kreativen Praxis – und zwar global. Diriks Text läuft damit Gefahr, der kurdischen Freiheitsbewegung einen Bärendienst zu erweisen, setzt sie die Messlatte doch unrealistisch hoch an:

Wärend sie gegen die faschistische Weltanschauung des IS kämpfen, hinterfragen die Akteure der Rojava Revolution ebenfalls das System, das zur Entstehung dieser mörderischen Gruppe beigetragen hat, und bauen zugleich die Grundlagen einer alternativen, freien Gesellschaft auf.

Dilar Dirik: Die Frauenrevolution in Rojava, S. 49, in: Ismail Küpeli (Hg.): Kampf um Kobanê. Kampf um die Zukunft des Nahen Ostens, Münster 2015, S. 38-50


Sowohl Dirik und Petersen, als auch Topcuoglu unterliegen in ihren Aufsätzen einer falschen Unmittelbarkeit. Während Topcuoglu das Fehlen einer unmittelbaren Perspektive über Nationalstaat und Kapitalismus hinaus dahingehend fehldeutet, dass er die Demokratisierung des Nationalstaats durch die Rojava-Revolution prophezeit, glauben Dirik und Petersen, die PKK-nahe Bewegung habe den Ansatz die Emanzipation bereits gefunden. Beides ist problematisch und verkennt in gewisser Weise den Ernst der Lage: stabile demokratische Staaten stehen genau so wenig in Aussicht wie der Kommunismus und genau das sollte emanzipatorischen Kräften aktuell zu denken geben. Folgen sollte daraus ein Weiterdenken über die bisherige Praxis hinaus, ein radikales Streben nach Kreativität und Emanzipation. Die Varianten der genannten Autor_innen laufen jedoch auf ein zufrieden Sein mit dem status quo der Praxis hinaus. Und dafür gibt es keinerlei Anlass.

Ein sehr positiver Aspekt an Ismail Küpelis Sammelband ist, dass einzelne Themenkomplexe multiperspektivisch behandelt werden. Nach den drei verschiedenen Perspektiven auf die politische Perspektive der kurdischen Selbstveraltung folgen zwei Beiträge zur Partîya Karkerên Kurdistan (PKK), der Kurdischen Arbeiter_innenpartei. Der erste Beitrag kommt vom Journalisten Lokman Turgut und erläutert die Geschichte der PKK in der Türkei. Er spannt den Bogen von der Zeit der Entstehung in linken studentischen Kreisen in der Türkei, über die Aufnahme des bewaffneten Kampfes bis hin zum strategischen Wandel weg vom Ziel des unabhängigen Nationalstaats, hin zum Demokratischen Konföderalismus. Turgut gelingt es mit guten Argumenten zu erläutern, warum der Vorwurf des Stalinismus gegen die PKK ins Leere läuft. Allerdings bleibt die Benennung der PKK als „revolutionär“ und ihres Zieles als „radikale Demokratie“ relativ unausgefüllt. Insbesondere legt Turgut keinen kritischen Begriff der bestehenden Vergesellschaftungsweise zu Grunde und so bleibt die Frage nach dem Kapitalismus in seinem Beitrag offen. Ergänzend zu Turguts historischem Abriss aus türkisch-kurdischer Sicht folgt ein Beitrag des Journalisten Christian Jakob, der sich kritisch mit der PKK als „Objekt der Solidarität“ in der deutschen Linken auseinandersetzt. Jakobs Beitrag ist ziemlich differenziert und um eine kritische Auseinandersetzung in alle Richtungen bemüht:

Die PKK ist bis heute eine zentralistische Kaderpartei mit stalinistischen Wurzeln, die nicht nur eigene Mitglieder, sondern auch Zivilisten ermordet hat. Man muss das nicht sympathisch finden. Doch wird der PKK nicht gerecht, wer sie an ihren Taten von vor zwanzig Jahren misst. Die Welt ist heute eine andere und bis zum Beweis des Gegenteils darf dies auch die PKK für sich reklamieren. Es war der bewaffnete Arm der PKK, der sich dem IS engegengestellt und die bedrängten Jesiden im August aus dem Sindschar-Gebirge gerettet hat. Und es war die YPG, die Kobane von den mörderischen Dschihadisten befreit hat.

Christian Jakob: PKK: Das neue Objekt der Solidarität, S. 75f, in: Ismail Küpeli (Hg.): Kampf um Kobanê. Kampf um die Zukunft des Nahen Ostens, Münster 2015, S. 67-76


Guney Işıkara, Alp Kayserilioğlu und Max Zirngast gelingt es in ihrem Beitrag „Die AKP als neuer Prinz: die Hegemonie des Finanzkapitals und ihre Widersprüche“ sehr präzise die historische Genese der AKP-Herrschaft in der Türkei zu erläutern. Sie analysieren die AKP-Herrschaft als Konsequenz aus Klassenkampf und Krise der Republik. Die AKP, so die These der Autoren, habe durch eine Synthese von Neoliberalismus, Nationalismus und religiöser Ideologie eine Hegemonie in der Türkei erringen können.

Was die AKP herstellen sollte und auch geschafft hat, war kurzum: Eine Hegemonie der Führung der dominanten Fraktionen des Finanzkapitals in enger Verflechtung mit dem Imperialismus. Unter dieser Führung wird ebenfalls sekundär das aufstrebende „grün-islamische Kapital“ Mittelanatoliens, das zumeist in Textil- und Bausektor angelegt ist, sich zunehmend aber mit dem „westlichen Finanzkapital“ verflicht resp. selbst FinanzkapitaL wird, in den herrschenden Block integriert. Zusätzlich ergriff die AKP die Initiative in der Artikulation und Durchsetzung subimperialistische Interessen, die das türkische Finanzkapital unter Bedingungen der postsowjetischen Weltordnung entwickelte.

Guney Işıkara u.a.: Die AKP als neuer Prinz: die Hegemonie des Finanzkapitals und ihre Widersprüche, S. 82, in: Ismail Küpeli (Hg.): Kampf um Kobanê. Kampf um die Zukunft des Nahen Ostens, Münster 2015, S. 77-97


Auch die weiteren fünf Kapitel aus „Kampf um Kobanê“ gestalten sich äußerst lesenswert. Der multiperspektivische Ansatz des Sammelbands führt dazu, dass Blindstellen einzelner Perspektiven auf die Konflikte in den kurdischen Gebieten sehr gut ausgeglichen werden können. „Kampf um Kobanê“ wird der politischen und sozialen Fragmentiertheit der Region gerecht, indem es verschiedene fragmentarische Einblicke zu ihrem Verständnis liefert. Das Buch eignet sich als Einführung für alle, die sich für die politische Entwicklung in der Türkei, Syrien und in den kurdischen Gebieten interessieren aber auch als weiterführende Lektüre für diejenigen, die ihre bisherigen Perspektiven erweitern wollen. Hervorzuheben ist auch, dass bei aller Diversität der Perspektiven die Aufsätze immer wieder auf die Frage nach Überwindung von Patriarchat, Kapitalismus und Nationalstaat zurückkommen, auch wenn einige der gegebenen Antworten wenig zufriedenstellend sind. Das jedoch mag zum Teil auch der objektiven Situation im Nahen Osten und auf der ganzen Welt geschuldet sein.

 

Der vorliegende Text wurde auch auf dem rethnologie blog veröffentlicht.