Myfest am 1. Mai in Berlin: Straßenkampf statt Straßenfest

Erstveröffentlicht: 
15.02.2016

Die Zukunft des Myfests ist dieses Jahr völlig offen – keiner will Verantwortung übernehmen. Linksautonome sehen darin eine Chance.

 

BERLIN taz | Wer in diesen Zeiten an der Revolution festhalten will, braucht Selbstbewusstsein. Den OrganisatorInnen der traditionellen 18-Uhr-Demonstration, die jedes Jahr am 1. Mai durch Berlin zieht, mangelt es daran offensichtlich nicht: Die Demonstration werde in diesem Jahr durch genau den Teil von Berlin-Kreuzberg führen, in dem seit 13 Jahren das Myfest stattfindet, verkündete das Demobündnis am Montag – denn dieses Straßenfest, das im letzten Jahr rund 45.000 BesucherInnen angezogen hatte, werde es dieses Jahr nicht geben.

 

Ein bisschen weit aus dem Fenster gelehnt, die Revoluzzer? Nicht unbedingt. Denn tatsächlich ist völlig unklar, ob das Myfest in diesem Jahr stattfinden wird – obwohl es nicht nur ein Publikumsmagnet ist, sondern auch als überaus erfolgreiche Befriedungsstrategie gilt. „Alle sagen, wir brauchen das Myfest unbedingt, aber niemand will die Verantwortung übernehmen“, klagt Soner Ipekcioglu vom Netzwerk Myfest, der Initiative hinter dem Fest.

 

Hintergrund ist ein Streit zwischen dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und der Polizei mit einer absurd anmutenden Vorgeschichte: Ein Anwohner hatte im letzten Jahr Klage gegen das Myfest eingelegt, Begründung: Das Fest sei schon lange keine durch das Versammlungsrecht gedeckte politische Veranstaltung mehr. Daraufhin gab die Polizei bekannt, beim Myfest handele es sich in der Tat schon seit zehn Jahren nicht mehr um eine Versammlung, sondern um ein Straßenfest – sehr zur Überraschung des Bezirks, der nach eigener Aussage jahrelang davon ausgegangen war, das Myfest falle unter das Versammlungsrecht.

 

Der Unterschied ist wichtig: Handelt es sich nicht um eine politische Versammlung, ist nicht die Polizei, sondern der Veranstalter für die Sicherheit verantwortlich – eine heikle Aufgabe. Immer wieder müssen in den letzten Jahren die Zugänge zum Myfest wegen Überfüllung geschlossen werden, in den Besuchermassen, die sich durch die engen Straßen schieben, sieht auch der Bezirk ein Sicherheitsrisiko. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) hatte schon im letzten Jahr angekündigt, das Konzept des Fests aus Sicherheitsgründen zu überdenken.

 

Den Kiez zurückerobern

 Die Ankündigung des Demonstrationsbündnisses, in diesem Jahr durch das Gebiet des Myfests zu ziehen, gibt dem Streit jetzt eine besondere Brisanz. Schließlich war das Myfest 2003 auch deswegen eingeführt worden, um den Bezirk an diesem Tag zu befrieden. Eine Strategie, die aufging: Während sich das Myfest zum Massenereignis gemausert hat, gibt es am 1. Mai in Berlin immer weniger Ausschreitungen. Immer wieder betonen Polizei und Senat, wie wichtig das Straßenfest, das weite Teile Kreuzbergs in Beschlag nimmt, für einen friedlichen Verlauf des Tages ist.

Nur: Seit klar ist, dass der Veranstalter des Myfests für die Sicherheit der BesucherInnen haftet, will niemand mehr die Verantwortung übernehmen. „Das Bezirksamt wird kein privates Straßenfest veranstalten“, sagt Jörg Flähmig, Büroleiter der Bezirksbürgermeisterin. Zwar gebe es bereits ein aktualisiertes Konzept, das Bezirk, Polizei, Feuerwehr und die Anwohnerinitiative hinter dem Fest gemeinsam erarbeitet hätten – ein Veranstalter sei aber nicht in Sicht.


Denn auch das Netzwerk Myfest fühlt sich dieser Aufgabe nicht gewachsen: „Die Dimension dieser Veranstaltung ist viel zu groß für uns“, sagt Ipekcioglu. Er sieht den Senat in der Pflicht, schließlich habe das Myfest längst landesweite, wenn nicht bundesweite Relevanz. Von dort aber gibt es bisher keinerlei entsprechende Signale – und die Zeit ist knapp: Bis Mitte Februar brauche man Klarheit über die Veranstaltungsfrage, heißt es seit Monaten vom Ordnungsamt. Die Route durch das Festgebiet ist hingegen schon seit letztem Juli angemeldet, bestätigt die Berliner Polizei.

 

„Wir haben kaum noch Hoffnung, dass es dieses Jahr ein Myfest geben wird“, sagt Ipekcioglu. Eine gute Nachricht für diejenigen, die das Myfest in den letzten Jahren immer wieder für seinen unpolitischen Charakter kritisiert hatten. „Ohne diese Massenveranstaltung können sich die Menschen ihren Kiez zurückerobern“, sagt Marko Lorenz vom linksradikalen 18-Uhr-Bündnis – und lässt offen, was genau er damit meint.

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Die TAZ Autorin Malene Gürgen spricht von "Linksautonomen" die sich Chancen versprechen. Mal davon abgesehen dass "Linksautonome" typisches Springerzeitungs Vokabular ist, verfälscht die TAZ das breite Bündnis von Antifas über DKP und ÖkoLi bis zu Antiimperialist*innen. Auch der letzte Satz ist distanzierend Warum fragt die TAZ nicht nach, was Marko Lorenz genau damit meint? So macht die TAZ Stimmung gegen die radikale Linke.

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