Gewalt gegen Journalisten - Ein Jahr mit LEGIDA auf der Straße: Eine Chronik der Gewalt

Erstveröffentlicht: 
16.02.2016

Wiederholt, nahezu auf jeder Demonstration, kam es im Verlauf des Jahres 2015 und Anfang 2016 zu gezielten Beleidigungen, Bedrohungen, Tätlichkeiten und Übergriffe auf Journalisten durch verschiedene Teilnehmer der durch Veranstalter Markus Johnke unter dem Namen LEGIDA in Leipzig angemeldeten Demonstrationen. Dies ist eine (bewusst) unvollständige Chronik der Angriffe gegen Journalisten durch LEGIDA-Teilnehmer und dem Fehlverhalten der Polizei im Umgang mit Pressevertretern in Leipzig. In keinem der nachfolgend genannten Fälle ergaben sich nachvollziehbare Konsequenzen für Demonstrationsteilnehmer oder involvierte Polizeibeamte im Verlauf des vergangenen Jahres bis heute.

 

21. Januar 2015: Ein Dutzend Hooligans stürmen gegen Ende der LEGIDA-Versammlung vom Kopf der Demonstration auf dem Leipziger Ring Richtung Pressevertreter, welche die Flucht ergreifen müssen. Ein Fotograf wird getreten und stürzt zu Boden – das Objektiv seiner Kamera zerbricht. Weit und breit sind keine Polizisten zu sehen, der gesamte Demonstrationszug war seit Minuten vor dem Angriff ohne polizeiliche Beobachtung.

 

Als sich ein anderer Fotograf später über das Polizeiverhalten beklagt, empfiehlt man ihm, nach Hause zu gehen. Während der gesamten Demonstration bedrängen Ordner und Teilnehmer von LEGIDA die zahlreichen Journalisten, drücken gegen Kameras und sprechen „letzte Verwarnungen“ aus. Die Polizei ist mit rund 3.000 Beamten im Einsatz, unterbindet die verbalen und tätlichen Angriffe jedoch nicht. Vermummungen von LEGIDA-Teilnehmern werden nicht unterbunden. Am Abend meldet die Polizei, der Einsatz sei insgesamt erfolgreich verlaufen, besondere Vorkommnisse habe es nicht gegeben.

 

Hinter den Kulissen wird später deutlich – vor Ort agierende Hundertschaftsführer hatten die Vorkommnisse einfach nicht weitergemeldet, in der Presseabteilung liegen demnach keine Erkenntnisse dazu vor. Die Angreifer des 21. Januar 2015 sind bis heute trotz vorhandener Bildaufnahmen nicht vor Gericht gestellt.

 

30. Januar 2015: Ein freier Journalist fertigt Fotos von der Räumung einer Sitzblockade auf der Goethestraße an. Ein Polizist stört sich an der Kamera und schlägt sie weg. Anschließend geht er auf den Fotografen los. Zahlreiche umstehende Journalisten versuchen ihren Kollegen zu schützen. Kurz darauf wird er dennoch ergriffen, in eine Außenstelle abgeführt und mit einem Platzverweis belegt. Die Beamten verlangen widerrechtlich und erfolglos die Herausgabe der Fotos des Journalisten. Beide Personen, Fotograf und Polizeibeamter, zeigen sich gegenseitig an; umstehende Beamte machen noch vor Ort Zeugenaussagen für ihren Kollegen gegen den Journalisten.

 

Beide Verfahren werden eingestellt, trotz vorhandener Videoaufnahmen eines ZDF-Teams zum Übergriff des Beamten und die Ausstrahlung des Materials bei ZAPP dem Medienmagazin.

 

20. April 2015: Am Simsonplatz bedrängt eine Gruppe von zehn bis 15 Personen einen Kameramann. Als dieser weiter filmt, wird er mit Kartoffelsuppe beworfen. Die Polizei reagiert nur zögerlich. An anderer Stelle behauptet ein Beamter gegenüber einem Journalisten ohne Belege, dieser habe seinen Presseausweis gefälscht.

 

20. April 2015: Ein Beamter, welcher an der mitgeführten Kamera erkennbar polizeiliche Aufzeichnungen vom Demonstrationsgeschehen anfertigen soll, tritt mindestens einmal im Beisein von weiteren Beamten zu Pferd und zu Fuß auf einen Menschen ein, welcher in einer Sitzblockade ohne Gegenwehr am Boden kauert. Der MDR zeichnet das Geschehen auf und strahlt ein Video darüber online aus. Zur Ahndung des Verhaltens des Beamten hat sich die Polizeidirektion Leipzig bis heute nicht geäußert, der Beitrag des MDR ist aus dem Netz verschwunden.

 

31. August 2015: Ein Polizeibeamter verhindert einen Angriff eines LEGIDA-Teilnehmers auf einen L-IZ-Fotografen, fordert anschließend jedoch den Journalisten zum Verlassen des Ortes auf, da er angeblich provozieren würde. Ein weiterer Polizist merkt an, dass der L-IZ-Mitarbeiter bereits „negativ auffällig“ geworden sei. Folgen für den Angreifer unterbleiben.

 

21. September 2015: Mehrere vermummte LEGIDA-Teilnehmer bedrohen Journalisten, weil diese Fotos von der Demonstration anfertigen. Ein darauf aufmerksam gemachter Polizeibeamter fordert die Journalisten zum Gehen auf. Die Vermummungen, ein klarer Verstoß gegen Versammlungsauflagen auf jeder Demonstration, werden wie auch schon auf vorhergehenden LEGIDA-Demonstrationen nicht unterbunden.

 

23. September 2015: Als ein Journalist der L-IZ beobachtet, wie einige Gegendemonstranten auf dem Augustusplatz eine Sitzblockade errichten wollen, greift ihm ein Polizist von hinten ins Gesicht und schubst ihn weg. Später gerät derselbe Journalist in eine Polizeikette, die um eine andere Sitzblockade herum gebildet wurde. Beim Versuch, sich vom Ort zu entfernen, wird er von Beamten auf die sitzenden Menschen gestoßen. An anderer Stelle laufen mehrere Polizisten hintereinander an dem Journalisten vorbei. Einer von ihnen verpasst dem Pressevertreter dabei einen Ellbogenschlag in den Oberkörper.

 

28. September 2015: Ein Teilnehmer der LEGIDA-Demonstration droht einem Journalisten an, diesem den Schädel zu brechen, falls er den Versammlungsort nicht verlasse.

 

12. Oktober 2015: Teilnehmer und Ordner von LEGIDA versuchen Fotojournalisten wegzudrängen und des Versammlungsplatzes zu verweisen. Ein Mann stößt einen von ihnen zu Boden. Erst auf Anweisung des anwesenden Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz stellen Beamte die Personalien des Angreifers fest.

Nach der Rückkehr auf den Versammlungsplatz bespritzt ein Teilnehmer einen L-IZ-Journalisten mit einem mitgebrachten, klebrigen Getränk. Ein darauf direkt vor Ort angesprochener Polizeibeamter weigert sich, eine Anzeige aufzunehmen, der Übergriff wird nicht geahndet.

 

7. Dezember 2015: Mehrere LEGIDA-Teilnehmer bedrängen eine Journalistin. Einer von ihnen beschimpft sie als „Fotze“. Sowohl die Frau als auch ein in der Nähe stehender L-IZ-Journalist werden daraufhin von einem Polizisten unter Einsatz körperlichen Zwangs dazu aufgefordert, die Demo zu verlassen. Dies geschehe zur eigenen Sicherheit, erklärt der Beamte, während die Angreifer die Szene aus der Nähe verfolgen. Konsequenzen für die Demonstrationsteilnehmer unterbleiben.

 

11. Januar 2016: Eine LEGIDA-Teilnehmerin schlägt einer MDR-Reporterin erst das Handy weg und dann mit der Hand ins Gesicht. Später wird das Opfer mit sexistischen Sprüchen belegt und dabei unter anderem als „linksversiffte Fotze“ bezeichnet. An anderer Stelle versucht eine Gruppe von LEGIDA-Teilnehmern zwei Journalisten von der Demo zu vertreiben; dabei schlagen sie unter anderem mit einem Regenschirm nach ihnen. Ein freier Journalist fertigt ein Foto eines Banners an, als ein alkoholisierter LEGIDA-Teilnehmer versucht, ihn umzustoßen.

 

Ein in der Nähe stehender Polizist weigert sich, eine Anzeige aufzunehmen. Stattdessen erhält der Journalist erst selbst eine Anzeige wegen Beleidigung – der Rempler behauptet, als „perverser Deutscher“ bezeichnet worden zu sein – und anschließend einen Platzverweis durch den Beamten.

 

1. Februar 2016: Journalisten sind massiven verbalen Angriffen ausgesetzt, werden durch mehrere extra zu diesem Zweck mitgebrachte Blendlichter ununterbrochen an ihrer Arbeit gehindert, mit Feuerzeugen beworfen und körperlich attackiert: Als ein L-IZ-Journalist auf dem Versammlungsplatz von einem kleinen Podest aus Fotos anfertigt, läuft ein LEGIDA-Teilnehmer aus dem Demonstrationszug kommend gezielt auf ihn zu und stößt ihn vor mehreren Zeugen vom Podest herunter. Die Polizei nimmt die Anzeige auf und stellt die Personalien des Angreifers fest. Weiteren Journalisten wird gegen die Kameras geschlagen.

 

1. Februar 2016: Während der robusten polizeilichen Räumung einer kleineren Sitzblockade von zirka 15 Personen auf dem Leipziger Ring wird ein Journalist von einem Polizeibeamten mit den Worten „Los, Kamera weg hier“ aufgefordert, das Filmen einzustellen. Dieser ist zu dem Zeitpunkt der einzige Kollege vor Ort, welcher sich etwas abseits vom Hauptgeschehen befindet.

 

Während sich der Filmende wegdreht und den Ort verlassen will, stellt ihm der Beamte nach, stößt ihn mehrfach vor sich her und wiederholt seine Aufforderung. Im Nachgang wird die L-IZ.de seitens der Polizei angefragt, ob das Verhalten zur Anzeige gebracht werden wird. Eine Verfolgung des Vorgangs von Amts wegen dürfte es demnach nach bisherigen Erfahrungen nicht geben.