Polizei warnt „Leipziger Bürgerwehr“

Erstveröffentlicht: 
23.01.2016
Behörde kündigt Schritte gegen die Gruppe an – doch die ignoriert alle Hinweise

VON MATTHIAS PUPPE

 

Leipzig. „Wir machen Leipzigs Straßen wieder sicher!“ Nein, dieser Satz entstammt keiner Werbekampagne der Leipziger Polizei. Vielmehr ist er Slogan einer Gruppe, die ab 1. Februar als „Leipziger Bürgerwehr“ patrouillieren will. Schon im Vorfeld macht sie nicht nur der Polizei große Sorge, die auf das Gewaltmonopol pocht und vor Straftaten warnt. Auf der Facebook-Seite der „Bürgerwehr“ werden Sachspenden gesammelt, die auf aktives Agieren schließen lassen: Um Stichschutzwesten, Handschellen und Defender-Handschuhe wird gebeten. Letztere heißen wegen der Befüllung mit Quartz- oder Bleisand auch Schlaghandschuhe, sind bei Hooligans überaus beliebt.

 

Grundlage für die Aktivität der Gruppe soll das sogenannte Jedermannsrecht nach Paragraf 127 der Strafprozessordnung sein, das Bürgern erlaubt, Straftäter auf frischer Tat auch selbst festzuhalten, bis die Polizei eintrifft. Allerdings ruft dieses Recht nicht zu organisierten Patrouillen von Privatpolizisten auf, ist wohl eher für zufällige Beobachtungen von Straftaten gedacht. Die echten Beamten weisen vehement darauf hin, dass man sich bei Ausübung dieses Jedermannrechts auch selbst am Rande der Gesetze bewegt. „Privatpersonen verfügen nicht über die entsprechende Ausbildung zur Strafverfolgung, auch nicht über Rechtssicherheit oder über die entsprechenden Befugnisse“, sagt Behördensprecher Andreas Loepki. Das Ordnungsamt teilt mit: „Wer den Rahmen überschreitet, handelt selbst rechtswidrig; beispielsweise, wenn er eine verdächtige Person mit Handschellen fesselt und sich dadurch gegebenenfalls einer Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) strafbar macht.“

 

Bürgerwehren seien versicherungsrechtlich gar nicht hinreichend geschützt, so Polizeisprecher Loepki. Wer sich engagieren wolle, könne dies in der Sächsischen Sicherheitswacht machen, die mit den Behörden zusammenarbeitet.

 

Die Polizei kündigte am Freitag an, die Gruppe nicht auf der Straße akzeptieren zu wollen. „Wir haben den Gründer bereits gebeten, sein Vorhaben zurückzunehmen“, so Loepki. Die Gefährdungsansprache erfolgte erst als Posting auf der Facebookseite der „Leipziger Bürgerwehr“, anschließend auch persönlich an der Wohnungstür von Gründer Rene M. Der öffentliche Eintrag der Beamten wurde von der Gruppe gelöscht, im Anschluss an die Gefährdungsansprache schrieb M. unter anderem ins Netz: „Niemals lasse ich mich von dem System einschüchtern, niemals!“ An anderer Stelle zitiert der Gründer den inzwischen auch häufig bei Rechtspopulisten genutzten Brecht-Satz: Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

 

Die Polizei ist gewarnt, hofft trotzdem, dass die Gruppe ihr Vorhaben von sich aus aufgeben wird. Anderenfalls sei das zuständige Polizeirevier in Leipzig-Nord aber informiert, sagte Loepki. Anfang Februar werden die Beamten kontrollieren, ob die Bürgerwehr tatsächlich auf Streife geht und dies gegebenenfalls unterbinden.

 


 

Kommentar
Hinsehen, wem man sich anschließt
VON BJöRN MEINE
Wenn sich ein paar Nachbarn verabreden, um nach der Einbruchserie im Wohnviertel abends ein bisschen besser aufeinander aufzupassen, ist nichts dabei – im Gegenteil. Doch das, was derzeit an sogenannten Bürgerwehren heranwächst, geht über nachbarschaftliche Wachsamkeit weit hinaus. Der Grat, auf dem selbst ernannte Ersatz-Ordnungshüter wandeln, ist schmal, die Gefahr, dass eine Bürgerwehr ihre Kompetenzen überschreitet, groß. Zumal: Solche Gruppen ziehen diejenigen an, die körperliche Gewalt als probates Mittel zur Konfliktlösung ansehen. Im Fall der „Leipziger Bürgerwehr“ disqualifiziert sich der Gründer durch seine Rhetorik selbst.

Wir müssen der Politik die Möglichkeit geben, Fehler der Vergangenheit auszubügeln und die Polizei mit dem Personal auszustatten, das nach den gemachten Erfahrungen nötig ist. Das staatliche Gewaltmonopol ist unabdingbare Voraussetzung für unseren Rechtsstaat. Wer sich Bürgerwehren anschließt, muss sich darüber im Klaren sein. Er muss genau hinsehen, bei wem und mit wem er da läuft.

b.meine@lvz.de