Die Schatten der Vergangenheit

Erstveröffentlicht: 
20.01.2016

Nach jahrelanger Fahndung sind bei zwei Überfällen Spuren zu drei früheren RAF-Mitgliedern aufgetaucht

 

Von T. Holtz, J. Blank und O. Pietschmann

 

Stuhr/Wolfsburg. Am helllichten Tag überfallen Maskierte mit vorgehaltener Panzerfaust und Schnellfeuergewehren Geldtransporter, müssen aber ohne Beute flüchten. Nun stellt sich heraus: Es waren wohl untergetauchte RAF-Terroristen.

 

Nach Jahrzehnten im Untergrund haben drei gesuchte Linksterroristen der Rote-Armee-Fraktion frische Spuren hinterlassen: Höchstwahrscheinlich hat das Trio im Juni und zuletzt Ende Dezember schwer bewaffnet zwei Geldtransporter in Niedersachsen überfallen, teilte die Staatsanwaltschaft Verden mit. Nach den missglückten Überfällen in Stuhr bei Bremen und in Wolfsburg fanden Ermittler die genetischen Spuren der untergetauchten Terroristen Daniela Klette (57), Ernst-Volker Wilhelm Staub (61) und Burkhard Garweg (47). Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe erklärte, sie sehe „keinen terroristischen Bezug“ der Überfälle. Die Ermittler in Verden und auch der RAF-Experte Butz Peters gehen vielmehr davon aus, dass die Terroristen mit der Beute ihr Leben im Untergrund finanzieren wollten. „Es dürfte so eine Art Altersvorsorge gewesen sein“, sagt Peters. „Wer viele Jahre im Untergrund gelebt hat, der kann halt in keine Rentenversicherung einzahlen oder sich Ähnliches aufbauen.“

 

Bei dem Überfall in Stuhr hatten drei Maskierte den gepanzerten Geldtransporter mit einem VW-Bulli blockiert und mit einem Schnellfeuergewehr auf den Transporter geschossen. Die Schilderung des Tathergangs lässt zunächst ein eher dilettantisches Vorgehen der Kriminellen vermuten. „Die Täter waren maskiert. Auf der Bekleidung zumindest eines der Täter stand auf dem Rücken „POIZEI“. Allerdings sind die drei Untergetauchten und mutmaßlichen Angreifer alles andere als Amateure. Sie sollen nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft 1993 als Kommando „Katharina Hammerschmidt“ einen Sprengstoffanschlag auf die im Bau befindliche Justizvollzugsanstalt im hessischen Weiterstadt verübt haben. Gesamtschaden: 123 Millionen D-Mark. Das war fünf Jahre, bevor die RAF 1998 offiziell ihre Auflösung bekannt gab. 1999 dann soll das Trio einen Geldtransport in Duisburg-Rheinhausen überfallen haben. Die Beute: rund eine Million D-Mark.

 

Warum sich die drei Ex-Terroristen für ihren Coup dieses Mal ausgerechnet den Real-Markt in dem rund 3100- Einwohner zählenden Groß Mackenstedt, einem zur Gemeinde Stuhr bei Bremen gehörenden Ort, aussuchten, ist unklar. Doch sicher dürfte bei der Fluchtplanung die Anbindung eine Rolle gespielt haben. Der Markt liegt am Autobahnkreuz Stuhr und keine 200 Meter von der Auffahrt zur Autobahn 1 entfernt. Von dort geht es nach Hamburg und nach Osnabrück.

 

Ähnliche Motive dürfte die Gesuchten auch zu dem Überfall in Wolfsburg getrieben haben. Dort hatten sie den Beifahrer des Geldtransporters außerhalb des Fahrzeugs abgefangen und mit einer Pistole bedroht. Der Fahrer flüchtete aber überraschend mit dem Transporter vom Tatort, einem großen Supermarkt in Nordsteimke. Die Räuber gingen leer aus. Laut NDR wurden Spuren der drei RAF-Mitglieder auch nach jenem Überfall 1999 in Duisburg auf einen Geldtransporter entdeckt, der nach ähnlichem Muster verlief. RAF-Experte Peters, der mehrere Bücher über die RAF verfasst hat, sagte, das Geld sei wohl mittlerweile aufgebraucht. „Als typisches Vorlaufverhalten für politische Anschläge dürfte dieser Raubüberfall jetzt so gut wie ausgeschlossen sein. Also, dass jetzt eine vierte Generation losmarschieren will, glaube ich nicht.“

 


 

Terror und Mord


Mehr als zwei Jahrzehnte lang war die Rote-Armee-Fraktion (RAF) in Deutschland der Inbegriff von Terror und Mord. Ihrem „bewaffneten Kampf“ gegen das „imperialistische System“ fielen Dutzende Menschen zum Opfer – darunter hohe Repräsentanten von Wirtschaft und Politik. Vorläufer der RAF war die nach dem Kaufhaus-Brandstifter Andreas Baader und der Journalistin Ulrike Meinhof benannte Baader-Meinhof-Gruppe, die erste RAF-Generation, es folgten noch zwei weitere Generationen, von denen mehrere noch bis heute auf der Flucht sind.

 

Als Anführer der zweiten Generation gelten Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt. Ihr Hauptanliegen wurde die Befreiung der „ersten Generation“ aus der Isolationshaft. Die erste spektakuläre Aktion war der Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm 1975.

 

Im März 1998 erklärte die RAF in einem letzten Schreiben ihre Auflösung. Sie schlossen mit dem Rosa-Luxemburg-Zitat „Die Revolution sagt: Ich war, ich bin, ich werde sein“ und einer Auflistung der Namen von 26 getöteten RAF-Tätern. Insgesamt ermordete die Gruppierung 34 Menschen, etwa 230 wurden verletzt.

 


 

Nachgefragt ...

 

„Die Dauerpanik bleibt“

 

Interview: Carsten Bergmann

 

Herr Schulz, wie ist ein Leben im Untergrund in unserer überwachten Gesellschaft eigentlich noch möglich?


Es ist eine Frage der Vermeidung von Fehlern. Sicher müssen auch gewisse Strukturen vorhanden sein – zumindest anfangs. Um unterzutauchen, braucht man in der Regel Helfer, die logistisch unterstützen. Die vielen Tausend Vermisstenfälle in Deutschland zeigen aber, dass man auch über Jahre und Jahrzehnte untertauchen kann, wenn man sich geschickt anstellt.


Aber man benötigt doch Ausweispapiere, Versicherungen, Geld …


Das geht trotzdem. Das zeigte zuletzt auch der Fall der Studentin aus Braunschweig, die jahrzehntelang für tot gehalten wurde. Sie lebte 31 Jahre unter falschem Namen, hat solche Jobs genommen, die nicht gemeldet werden oder keine Personalpapiere verlangen. Gefälschte Papiere zu bekommen, das ist nicht das große Problem. Wenn diese Dokumente nicht als gestohlen gemeldet werden, kommt man auch durch jede Polizeikontrolle.


Das bedeutet aber auch ein Leben in Angst, entdeckt zu werden.


Der Aufwand ist nicht unerheblich und wirkt sehr belastend auf die Psyche. Das Leben kann von heute auf morgen wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Die RAF hatte das Versteckspiel natürlich strukturiert und professionalisiert, die Dauerpanik aber bleibt trotzdem. Ein Luxusleben führt man sicher nicht.


Der Überfall auf den Geldtransporter zeigt daher wohl auch, wie hoch der Druck auf die früheren RAF-Terroristen sein muss, oder?


Es gibt noch ein, zwei Raubüberfälle mehr, in denen die Polizei in Richtung RAF ermittelt, da sie dem Vorgehen und der Professionalität sehr ähneln. Diese Überfälle sind für diese Terroristen die einzige Möglichkeit, an Geld zu gelangen. Sie können nun einmal keinem normalen Beruf nachgehen. Diese Situation macht sie so gefährlich.


Und zeigt, dass ein Leben trotz Fahndung auch in Deutschland möglich ist.


Das Ganze bereitet uns natürlich Sorgen. Auch der NSU hat über zehn Jahre im Untergrund gelebt. Was gibt es noch für Strukturen, die wir bisher noch nicht kennen?


André Schulz, Kriminologe aus Berlin.