„Wir warnten uns gegenseitig“

Erstveröffentlicht: 
15.01.2016

DJV-Chef Frank Überall über Gewalt gegen Journalisten und sein neues Blog augenzeugen.info

 

Die Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling fordert dazu auf, die Eliten aus den Pressehäusern zu prügeln. Sie sprechen von „No-go-Areas“ für Journalisten, und der MDR schützt Reporter mit Bodyguards. Hätten Sie gedacht, dass Gewalt gegen Journalisten hierzulande einmal so salonfähig sein würde?


Nein. Dass wir einmal Angst haben müssten, unseren Job auszuüben, hätte ich mir nicht träumen lassen. Das kannte ich nur aus Krisenländern und Diktaturen, nicht aus Deutschland. Ich berichte seit mehr als 20 Jahren aus dem rechtsextremen Milieu, und das war noch nie vergnügungssteuerpflichtig. Es empfahl sich auch früher nicht, einen Neonazi in Großaufnahme zu filmen. Aber die Rechtsradikalen wollten trotzdem irgendwie auch, dass wir über sie berichten. Jetzt hat sich die Gruppendynamik jedoch so aufgepeitscht, dass sich der Hass in offenen Gewaltaufforderungen wie der von Frau Festerling entlädt. Ich habe übrigens gerade eine Strafanzeige unterschrieben.


Jagd auf Journalisten ist nicht auf Ostdeutschland beschränkt, wie das von Ihnen initiierte Blog augenzeugen.info berichtet.


Ja. Jörg Zajonc, der Geschäftsführer und Chefredakteur von RTL West, erklärt im Interview, weshalb auch er seine Reporter mit Bodyguards schützen lässt. Insbesondere die Hogesa-Szene im Ruhrgebiet ist extrem gewaltbereit. Das habe ich selbst bei einer Kundgebung am 9. Januar in Köln erfahren. Wir sahen die Flaschen auf uns zufliegen und warnten uns gegenseitig. Wenn eine Flasche am Strahl eines Wasserwerfers zerbirst, kann man sich vor den Splittern jedoch kaum schützen. Die Schnittwunden im Gesicht verheilen. Aber man kann Gewalt gegen Journalisten nicht mit einem „Nun stellt euch mal nicht so an“ abtun.

 

Der Begriff Augenzeuge wird eher für einen außenstehenden Zeugen verwendet. In diesem Fall sind die Journalisten aber selbst involviert ...


Ja, aber subjektive Berichte von objektiven Berichterstattern können mehr bewirken als Statistiken.


Sie beschreiben im Blog, wie ein Teilnehmer der Kölner Hogesa-Kundgebung eine Kollegin bedroht und sich in den Schritt fasst. Sind Journalistinnen besonders gefährdet?


Nein, ob Mann oder Frau macht bei diesem Feindbild keinen Unterschied. Für die Hooligans ist Prügeln das einzige Lebensziel. Ihre Politisierung ist ein neues Phänomen. Die bedrohte Kollegin berichtet oft über das rechtsradikale Milieu und wurde gezielt angegangen. Denn die Szene ist gut informiert. Ich stand einmal im Publikum bei einer Kundgebung und wurde von der Bühne herab mit Namen begrüßt. Ein merkwürdiges Gefühl, wenn sich dann eine stattliche Anzahl von Glatzen zu dir umdreht. Früher war so etwas unangenehm, heute plötzlich gefährlich.


Der Begriff der „Lügenpresse“ steht für eine tiefe Skepsis gegenüber den Medien, die nicht nur von Rechtsradikalen propagiert wird. Was lässt sich für ein besseres Image tun?


Wir dürfen nicht müde werden, den Wert von Pressefreiheit deutlich zu machen. Wir wären falsch beraten, dem digital verlängerten Stammtisch der sozialen Netzwerke nach dem Mund reden zu wollen. Wir müssen anständigen Journalismus machen. Dazu gehört auch eine Fehlerkultur, also offensiv mit Fehltritten umzugehen.


Die „Süddeutsche“ und der „Focus“ titelten im Zuge der sexuellen Übergriffe von Köln mit Covern, die eine schwarze Hand auf weißem Körper zeigen. Ist das der Versuch, sich beim Stammtisch anzubiedern?


Das hoffe ich nicht. Die Auswahl von Symbolbildern ist schwierig, da kann man schon mal danebenliegen. Redakteure sind bei einem so emotionalen Thema in der Zwickmühle zwischen den Notwendigkeiten der Bebilderung und der Abstraktion.


Sie wollen mit dem Blog die Politik alarmieren. Was erhoffen Sie sich konkret?


Bei der Einsatzbesprechung der Polizei sollte darüber geredet werden, wie Journalisten geschützt werden können. Auch an die Justiz wollen wir appellieren. Die MDR-Reporterin, der ins Gesicht geschlagen wurde, erzählte mir, dass sie nicht sofort Strafanzeige erstatten konnte. Viele Kollegen trauen sich gar nicht erst, Anzeige zu erstatten, aus Angst, zur Zielscheibe zu werden oder von den Beamten nicht ernst genommen zu werden. Aus Thüringen, von der Berliner und der Kölner Polizei haben wir schon positive Rückmeldungen bekommen. Es bewegt sich was.


Interview: Nina May

 


 

Der 44-jährige Medien- und Politikwissenschaftler Frank Überall ist seit November 2015 Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). Er arbeitet unter anderem für den WDR und ist in Köln Professor für Journalismus und Politik. www.augenzeugen.info

 


 

Es herrscht „Bürgerkriegsrhetorik“

Von Ulrike Simon

Am Montag in Leipzig ist es wieder passiert. Einer Journalistin des MDR wurde erst das Handy aus der Hand und anschließend ins Gesicht geschlagen. „Als ich mich umdrehte, sah ich eine ältere Frau vor mir, ich schätze mal so 55, 60, relativ groß, weißhaarig mit Brille“, sagte sie in einem Interview. Der Ausschuss für Kultur und Medien im Bundestag lud nun Medienvertreter zum Gespräch. Die Abgeordneten ließen sich das Ausmaß zunehmender verbaler und tätlicher Angriffe auf Journalisten schildern. Sie wollten wissen, was die Politik unternehmen könnte.

 

Die ZDF-Journalistin Britta Hilpert, Vorstand bei Reporter ohne Grenzen, sagte, die Betreiber von Websites müssten zur Verantwortung gezogen werden. Es könne nicht sein, dass die Todesdrohung gegen eine Kollegin zwei Wochen im Netz stehen bliebe. MDR-Chefredakteur Stefan Raue forderte mehr Schutz durch die Polizei, die sich auch als Ansprechpartner für Journalisten verstehen sollte. Inzwischen ist der MDR dazu übergegangen, seine Reporter im Umgang mit derartiger Aggression zu schulen und sie zu Demonstrationen im Zweifel zu zweit zu schicken. Schließlich, sagte Martin Hoffmann vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig, sei Politikern geraten, bei Kritik an Medien ihre Worte zu wägen, um die von Raue so bezeichnete „Bürgerkriegsrhetorik“ nicht anzuheizen.