[L] Neulich im Amtsgericht: Riccardo S. zwischen Straßenschlacht und Hitlerkult

Erstveröffentlicht: 
28.01.2011

Unter dem Motto „Eine sichere Zukunft für unsere Kinder“ verbreiteten am 29. April 2008 gegen Abend knapp 100 Neonazis ihre Propaganda in Leipzig-Grünau. Einer von ihnen: Der Merseburger Riccardo S. Für Szene-Kenner ist S. kein Unbekannter. Seit rund 20 Jahren ist der heute 41-Jährige in der politisch braunen Ecke unterwegs. Daneben hält er sich im Hooligan-Milieu des 1. FC Lokomotive auf.

 

In diesem Umfeld dürfte er seinen langjährigen Kameraden Nils Larisch kennen gelernt haben. Letzterer zeichnete sich bis zu seinem Stadionverbot maßgeblich für die Politisierung weiter Teile der gewaltbereiten blau-gelben Fanszene verantwortlich. Heute ist der 33 Jährige bei der NPD-Fraktion im Dresdner Landtag angestellt.

 

Möglicherweise war der lange Heimweg von seiner Arbeitsstätte der Grund, warum Larisch am 29. April entgegen aller deutscher Tugenden verspätet bei seinen Kameraden in Grünau eintraf. Die Veranstaltung hatte bereits begonnen, als er den Aufmarschplatz erreichte. Dort angekommen, gesellte er sich sofort zu seinem Weggefährten und dem gemeinsamen Bekannten Stefan W.. Riccardo S. überwältigte Wiedersehensfreude so sehr, dass er in stolz mit „Heil Hitler“ begrüßt haben soll. Oder etwa doch nur mit seinem Spitznamen: „Drei Liter“, wie dann später behauptet wurde.

 

Mit dieser Frage hatte sich das Leipziger Amtsgericht an diesem Mittwoch zu beschäftigen. Die Staatsanwaltschaft warf dem Neonazi das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor. Die Sachlage schien eindeutig. Ein aufmerksamer Bereitschaftspolizist versicherte, er habe S. klar und deutlich die verbotene Grußformel der NSDAP sagen hören. Doch sein Verteidiger Arndt Hohnstädter klammerte sich an den Strohhalm, der Beamte könne sich aufgrund seines Abstands von etwa 5 - 6 Metern und der Umgebungsgeräusche verhört haben. Wie auf Bestellung präsentierte der Gegrüßte auf mehrfaches Nachfragen von Richterin Bettina Zander zur Verwunderung fast aller Anwesenden seinen kurios anmutenden Spitznamen „Drei Lieter“. Möglicherweise eine Ausflucht, um der Verurteilung zu entgehen?

 

Dubios: Auf Nachfrage konnte sich der NPD-Mitarbeiter erst nach längerem Überlegen an dessen Herkunft erinnern, obwohl der ihn schon seit über 14 Jahren begleiten würde. Entlastungszeuge Stefan W., selbst seit Jahren in der Neonazi-Szene unterwegs, wusste die Version von Larisch auch prompt zu bestätigen. Dabei lief er sogar Gefahr, sich einer Falschaussage schuldig zu machen. Ja, es sei definitiv „Drei Liter“ gesagt worden. Sein Bekannter S. sei vor Ort von der Polizei angesprochen worden, „weil er etwas gesagt haben soll, was er nicht gesagt hat.“ Trotz aller Beteuerungen, wahrheitsgemäß ausgesagt zu haben, hinterließ W.'s Aussage spürbare Zweifel.

 

Weiterhin hatte sich das Gericht mit Riccardo S.'s Beteiligung an einer Auseinandersetzung zwischen Lok-Fans mit Anhängern des Lokalrivalen FC Sachsen zu beschäftigen. Am 14. Oktober 2007 attackierten 80 Lok-Hooligans vor dem Lokalderby gegen Mittag die Anhänger der Grün-Weißen, als die sich am Südplatz zu ihrem Fanmarsch sammelten. Es flogen Feuerwerkskörper, Steine und Flaschen. Ein Polizist wurde verletzt. Der Angeklagte soll zu den Rädelsführern der Lok-Schläger gehört haben. Ein szenekundiger Beamte erkannten den Hooligan, als der sich mit den übrigen Angreifern vor einem Café in der Karl-Liebknecht-Straße sammelte. Später identifizierte er ihn anhand seiner Statur und Bekleidung auf einem Beweisvideo. Ob es sich bei der inkriminierten Person tatsächlich um den Beschuldigten handelt, sollte ein Gutachterin klären. Deren Urteil sorgte beim Angeklagten und seinen Unterstützern auf der Besucherbank für Ernüchterung: Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dem vermummten Angreifer auf dem Polizeivideo um den Angeklagten handelt, läge bei etwa 85 Prozent.

 

Zwar könne man das nicht ganz eindeutig feststellen, jedoch würden die extrem durchgestreckte Haltungen des Angeklagten und der Person auf dem Video übereinstimmen. Verteidiger Hohnstätter versuchte Zweifel zu sähen: Sturm sei ein so genannter Passgänger. Er leide an einer seltenen Bewegungskrankheit, bei der er den rechten Arm hebe, wenn er das rechte Bein nach vorn bewege. Der Vermummte auf dem Polizeivideo hingegen bewege sich normal. Die Gutachterin wollte diese Beobachtung jedoch nicht teilen. Sie wies stattdessen auf ein Foto des Vermummten hin, auf dem trotz Sturmhaube Nasen und Oberlippenpartie erkennbar waren. Am Computer führte sie den Anwesenden vor, dass die freiliegenden Gesichtspartien und Kopfform vollständig mit denen des Angeklagten übereinstimmen.

 

Auch das ein Grund, warum ihn Richterin Zander am vergangenen Mittwoch, den 26. Januar 2011 nach vier Verhandlungstagen in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen hat. Riccardo S. habe den Hitlergruß gezeigt und sich an den Ausschreitungen vor dem Lokalderby im Oktober 2007 beteiligt. Das Gericht verurteilte ihn zu acht Monaten Haft auf Bewährung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Bereits am 10. Februar hat sich der Hooligan erneut vor dem Amtsgericht zu verantworten. Tatvorwurf dann: Gefährliche Körperverletzung.

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Riccardo S. = Riccardo Sturm