Die schwierigen Freunde

Erstveröffentlicht: 
05.01.2016
Wir liefern Waffen, sie sorgen für Ruhe: Das war bislang die deutsche Strategie im Umgang mit Saudi-Arabien – ist sie jetzt gescheitert? Von Ulrike Demmer

 

Das ist schon ein kompliziertes Land“, sagt Sigmar Gabriel. Da ist er seit zwei Stunden in Saudi-Arabien. Der Wirtschaftsminister war im vergangenen Jahr mit einer 90-köpfigen Delegation aus Wirtschaftsleuten zu Besuch in Riad. Gabriel sollte helfen, deutsche Produkte zu vermarkten. Doch das große Interesse an Geschäften mit Saudi-Arabien ist nur begrenzt wirtschaftspolitisch begründet. Vielmehr geht es um Sicherheitspolitik.

 

Es geht im Fall Saudi-Arabien um eine Wende in der deutschen Außenpolitik, die Bundeskanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Jahren eher still und leise herbeigeführt hat. Die Kanzlerin will Länder stärken, die in ihrer Region aus deutscher Sicht für Stabilität sorgen können. Damit will sie die Gefahr minimieren, dass sich Deutschland mit eigenen Soldaten an internationalen Einsätzen beteiligen muss. Stattdessen sollen „Partnerländer“ in den betroffenen Weltgegenden durch Rüstungsexporte „ertüchtigt“ werden, selbst für Frieden und Sicherheit zu sorgen.

 

Panzer statt Soldaten, das ist der Kern dieser „Ertüchtigungsstrategie“, auch „Merkel-Doktrin“ genannt. Wenn der Westen selbst nicht eingreifen wolle oder könne, reiche es nicht aus, „an andere Länder Worte der Ermutigung zu richten“, lautete die Erklärung der Kanzlerin. Man müsse Staaten, die sich engagieren wollten, auch dazu befähigen. Das schließe ausdrücklich den Export von Waffen ein. Natürlich müsse dies mit einer Außenpolitik in Einklang gebracht werden, „die auf die Achtung der Menschenrechte ausgerichtet ist“.

 

Aus Sicht der Bundesregierung war und ist Saudi-Arabien ein solches Partnerland. Das Königreich sollte mit deutschen Rüstungsgütern ein Gegengewicht zum Iran werden. Die Deutschen hofften auf eine konstruktive Rolle des Königreichs auf dem Weg zu einem bisschen Frieden für die Region. Ist diese Strategie jetzt, nach den Massenexekutionen vom Wochenende, der Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr und der drohenden Eskalation des Konflikts mit dem Iran, gescheitert?

 

Saudi-Arabien ist Teil der Allianz gegen den „Islamischen Staat“. Das Königreich beteiligt sich an den Lufteinsätzen und ist am politischen Prozess beteiligt, der den Bürgerkrieg in Syrien beenden soll. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier wertete es als großen Erfolg, dass man für die Verhandlungen in Wien Ende letzten Jahres Saudi-Arabien und Iran an einen Tisch gebracht hat. Saudi-Arabien spiele eine ganz entscheidende Rolle, um in der Region die Krisen zu entschärfen, betonte auch gestern wieder Regierungssprecher Steffen Seibert.

 

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel klingt zwar kritischer. „Wir müssen jetzt überprüfen, ob wir in Zukunft auch defensive Rüstungsgüter kritischer beurteilen müssen, die wir Saudi-Arabien bislang zur Landesverteidigung geliefert haben“, sagt Gabriel. Mit einer Kurskorrektur der deutschen Außenpolitik ist allerdings kaum zu rechnen.

 

In der Sicherheitspolitik spielten Menschenrechtsfragen in der Vergangenheit keine Rolle. Daran werden auch die Hinrichtungen nichts ändern. Saudi-Arabien exportiert den Wahabismus, einen extrem fundamentalistischen Zweig des Islams. Im Jemen wirft die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dem Königreich Kriegsverbrechen vor. Und im vergangenen Jahr wurde der Blogger Raif Badawi zu zehn Jahren Haft und 1000 Stockschlägen und einer Geldstrafe verurteilt, weil er in einem Internetforum den Islam beleidigt haben soll. All das änderte jedoch nichts an der deutschen Ertüchtigungsstrategie.

 

Allein im Jahr 2014 lieferte Deutschland den Saudis Waffen im Wert von 209 Millionen Euro. Verkauft wurden Raketen, Teile für Fregatten und Schnellboote, für Kampf- und Tankflugzeuge sowie Teile für Gewehre. Im ersten Halbjahr 2015 kamen Zieldarstellungsdrohnen, vier Schießsimulatoren vom Typ „Gladio“ und 15 deutsche Patrouillenboote vom Typ „44m“ dazu. Saudi-Arabien wolle mit den Patrouillenbooten seine Offshore-Ölplattformen gegen Angriffe etwa von IS-Terroristen schützen, hieß es in Regierungskreisen.

 

Bereits 2008 erhielt Saudi-Arabien die Erlaubnis, das Sturmgewehr G36 selbst zu produzieren – für den Eigenbedarf durfte sich das Königreich eine komplette Waffenfabrik bauen. Dann tauchten die Gewehre im Jemen auf. Seit Mitte 2014 verweigert die Bundesregierung nun die Ausfuhr von Schlüsselkomponenten, die für die Produktion nötig wären.

 

„Es war ein großer Fehler, Saudi-Arabien die Produktion des G36 zu genehmigen“, sagt Rainer Arnold, sicherheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Saudi-Arabien sei immer schon ein schwieriger, aber stabilisierender Partner gewesen. „Jetzt wachsen die Zweifel an der stabilisierenden Wirkung Saudi-Arabiens“, sagt Arnold, „darüber müssen wir diskutieren.“ Die Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger kritisiert eine „Politik der Toleranz“ der Bundesregierung: „Saudi-Arabien als sicherheitspolitischen Partner zu betrachten halte ich für verheerend.“ Sie erwarte „das längst überfällige Ende der Waffengeschäfte“.

 

Auch Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik hält die Strategie der Bundesregierung für gescheitert. Wer andere Länder mit Rüstungsgütern ausstatte, habe damit nicht gleichzeitig Einfluss auf deren außenpolitisches Handeln: „Die Gleichung, dass der, der ertüchtigt, auch Einfluss auf den ertüchtigten Partner hat, war immer schon falsch.“

 

Tatsächlich hat der „Stabilitätsfaktor“ Saudi-Arabien nun für große Unruhe in der Region gesorgt. Nach der Hinrichtung des schiitischen Geistlichen al-Nimr droht Iran mit ernsten Konsequenzen. Eine Überraschung ist das alles nicht. Erst im Dezember warnte der Bundesnachrichtendienst vor einer destabilisierenden Rolle Saudi-Arabiens in der arabischen Welt. „Die bisherige vorsichtige diplomatische Haltung der älteren Führungsmitglieder der Königsfamilie“, heißt es in einer Analyse, „wird durch eine impulsive Interventionspolitik ersetzt.“


 

 

Saudi-Arabien und Iran – ungleiche Gegner am Persischen Golf

Von Martin Gehlen

Es war einer der seltenen Momente, in denen US-Verteidigungsminister Ashton Carter seinem Frust über die saudischen Verbündeten einmal freien Lauf ließ. „Sie beklagen sich andauernd bei mir, wie fähig die Iraner sind“, erklärte er vor Kurzem vor dem Verteidigungsausschuss des US-Kongresses. „Ja das stimmt, antworte ich ihnen stets, ihr spielt nicht in der gleichen Liga, was die Effizienz am Boden angeht.“ Wenn Saudi-Arabien und die Golfstaaten mehr Einfluss im Nahen Osten und mehr Sicherheit in ihrem Teil der Welt erreichen wollten, müssten sie mehr tun bei Bodentruppen und Spezialkräften.

 

Das harte Urteil des Pentagon-Chefs über die Schlagkraft der saudischen Armee lässt sich auch auf viele andere Bereiche übertragen. Auch Irans Zivilgesellschaft ist im Vergleich zu seinen arabischen Kontrahenten eine Klasse für sich. Egal, ob bei Bildung und Kultur, Wissenschaft oder intellektueller Dynamik: Bei der sogenannten „Soft Power“ liegen Welten zwischen den Rivalen auf beiden Seiten des Persischen Golfs. Saudi-Arabien hat dem gesellschaftlichen und kulturellen Potenzial des Iran kaum etwas entgegenzusetzen. Und so verließ sich das Königreich jahrzehntelang darauf, dass der Westen die Islamische Republik in Schach hält und exzessive Waffenkäufe genügen, um sich als Regionalmacht zu behaupten – ein Kalkül, was nun erstmals seit der Chomeini-Revolution 1979 durch das bisher reibungslos umgesetzte Atomabkommen hinfällig wird.

 

Nachdem es in den vergangenen Wochen noch Zeichen der Annäherung zwischen Riad und Teheran gegeben hatte, droht der seit mehr als drei Jahrzehnten andauernde Kalte Krieg zwischen dem Königreich und der Islamischen Republik plötzlich zu einer gefährlichen Auseinandersetzung zu eskalieren. Nach der Hinrichtung eines schiitischen Geistlichen in Saudi-Arabien hatten im schiitisch geprägten Iran am Wochenende Hunderte Menschen die saudische Botschaft in Brand gesetzt. Saudi-Arabien brach daraufhin am Sonntagabend die diplomatischen und gestern auch die wirtschaftlichen Beziehungen ab, sunnitischen Staaten wie Bahrain und Sudan folgten.

 

Iran fühlt sich als persisch-schiitische Schutzmacht in der Region, Saudi-Arabien als Hüter der heiligsten Stätten des Islam, Mekka und Medina, und damit als wichtigstes Zentrum des sunnitisch-arabischen Islam. 2016 nun stehen die westlichen Investoren in Teheran wieder Schlange. Und so versucht Saudi-Arabiens neues Führungstrio aus König Salman und seinen beiden Kronprinzen gegenüber dem bald von westlichen Sanktionsfesseln befreiten schiitischen Kontrahenten harte Pflöcke einzuschlagen – bisher mit geringem Erfolg und dem Risiko, die ganze Region in einen schiitisch-sunnitischen Megakonflikt zu stürzen.

 

In Syrien gelang es nicht, Diktator Bashar al-Assad zu stürzen und damit Irans wichtigsten Verbündeten in der arabischen Welt zu entmachten. Stattdessen sitzt bei den Friedensgesprächen nun erstmals auch Teheran mit am Tisch. Und seit dem Wochenende droht nach der Hinrichtung des Geistlichen Nimr al-Nimr auch unter den drei Millionen saudischen Schiiten neues Ungemach. So wirkt der Abbruch der Beziehungen zu Teheran nach der saudischen Massenexekution eher wie ein Zeichen von wachsender Kopflosigkeit in Riad.