Das arme Connewitz strebt nach Leipzig

Erstveröffentlicht: 
09.12.2015
Wie ein Dorf zum Stadtteil wurde / Neues Buch bei Pro Leipzig erzählt die Geschichte
VON MATHIAS ORBECK

 

Leipzig. Reich war Connewitz eigentlich nie. 1888 hat die Gemeinde nahezu darum gefleht, nach Leipzig eingemeindet zu werden. Die Ortsverwaltung wollte so ihre Finanzprobleme loswerden oder zumindest auf breitere Schultern verteilt wissen. Zu jener Eingemeindung kam es allerdings erst 1891. Aber was ist Connewitz, heute vor allem durch die Vielfalt gelebter Lebensentwürfe bekannt, eigentlich? Dieser Frage geht ein neues Buch „Connewitz. Vom Werden eines Stadtteils“ nach, das bei Pro Leipzig erschienen ist.

 

Michael Liebmann hat in alten Akten und Überlieferungen recherchiert und beschreibt auf 312 Seiten die Geschichte des Dorfes von den Anfängen in der Bronzezeit bis hin zur Eingemeindung nach Leipzig. Und liefert viele spannende Episoden über das Dorf, dessen schmales Areal sich über Jahrhunderte rund um die Königstraße, die heutige Prinz-Eugen-Straße, beschränkte. Bis auf einige Bauern, die nicht nur ein Haus besaßen, sondern auch Acker, waren die Connewitzer im Vergleich zu Bewohnern anderen Ratsdörfer ziemlich arm.

 

Liebmann, von Beruf Gymnasiallehrer für Geschichte und Deutsch, blickt ganz tief in die Historie – sogar noch weit vor dem Jahr 1015, dem Jahr der Ersterwähnung Leipzigs. So erfährt der geneigte Leser, wie Connewitz aus drei ehemals slawischen Weihern entstanden ist. Von einem, Olscuizi (eingedeutscht Ölschwitz), ist bereits 1017 die Rede. Ob dies Anlass für eine Tausendjahr-Feier rund ums Kreuz werden könnte, mögen die Bewohner nach Lektüre des Buches selbst entscheiden. Es wird aber schwierig zu begründen sein, da es sich um einen Teil des heutigen Marienbrunns handelt, das damals auf Connewitzer Flur lag. Connewitz selbst wird 1277 erstmals in den Chroniken erwähnt., weil es damals in den Besitz des Augustiner-Chorherren-Stifts zu St. Thomae überging. Zuvor abhängig von merseburgischen Lehnsmannen wurden nun Mönche die neuen Herren der Bauern. Wenig christlich delegierten die „Thomasherren“, die sich selbst nicht als Mönche sahen und auch nicht so auftraten, ihre neuen Untertanen zur Arbeit ab.

 

Der Autor beschreibt detailliert die frühen mittelalterlichen Besitzverhältnisse und das ausgeprägte Fronsystem, dessen Lasten bis zum Ende des Feudalismus auf den Schultern der Bauern lag. Auch Sommergäste aus Leipzig, die auf den Grundstücken ihre Villen errichteten, profitierten davon. Seltene historische Ansichten und Ortspläne ergänzen die Ausführungen. Es gibt aber auch Geschichten, wie über den Connewitzer Raubmörder Johann David Saupe, der am 18. November 1840 in Gohlis hingerichtet wurde. Saupe war „durch eine lange Reihe begangener Verbrechen“ ein „in völlige moralische Verwilderung versunkenes Subjekt“, hieß es in den Akten.

 

Ab 1860 entstanden im Ort Fabriken. Die bekannteste ist die von Eduard Siry gegründete Gasmesserfabrik am Kreuz, später Schirmer, Richter & Co. und heute Werk II. Mit der Fabrik, errichtet auf dem Boden zweier Gärtnereien, hat quasi die industrielle Revolution Einzug gehalten. Das Werk produzierte 1500 Gasmesser in beachtlicher Qualität. Später entstand eine große Industriehalle mit modernen Maschinen und Spezialwerkzeugen. Insgesamt gab es fünf Industriebetriebe. Mit weiterem Gewerbe etablierte sich Connewitz als Siedlungszentrum, der Hausbau wurde forciert. Der Ort entwickelte sich zusehends vom alten Kern in Richtung Kreuz.

 

Liebmann hat eine Fleißarbeit hingelegt. Für historisch Interessierte ist das Buch sehr zu empfehlen. Und man wünscht sich so eine Lektüre über weitere Stadtteile.

 

Michael Liebmann: „Connewitz. Vom Werden eines Leipziger Stadtteils“ ISBN: 978-3-945027-16-5,­ Preis: 18 Euro