Anti-Asyl-Proteste in Freital: "Vergleiche mit Hoyerswerda sind angebracht"

Erstveröffentlicht: 
23.06.2015

Im sächsischen Freital kommen neue Flüchtlinge an - und die Stimmung kocht hoch. Auch Pegida-Anführer Lutz Bachmann beteiligt sich am Anti-Asyl-Protest. Eskaliert die Situation wie in Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen?

 

Es war der letzte Versuch eines Dialogs. Am vergangenen Freitag war Bundesinnenminister Thomas de Maizière in Freital, bei einem von seiner CDU organisierten Bürgerforum zum Thema Asyl. Im Kulturhaus der sächsischen Kleinstadt ging es hoch her. Auch Pegida-Anführer Lutz Bachmann und seine Mitstreiterin Tatjana Festerling saßen im Publikum, vor dem Veranstaltungsgebäude demonstrierten AfD, NPD-Vertreter und "besorgte Bürger" gegen die Asylpolitik der Bundesregierung. Festerling bezichtigte de Maizière anschließend auf Facebook, in der Debatte mit falschen Zahlen zu operieren.

 

Drei Tage später wurde dann klar, dass der Bundesinnenminister zumindest eines bei seinem Besuch in Freital nicht erreicht hat: Willkommenskultur zu vermitteln. Denn am Montagabend wurde, für viele in der Stadt überraschend, bekannt, dass im ehemaligen Hotel "Leonardo", seit einigen Wochen Unterkunft von Asylbewerbern, bis zu 280 weitere Flüchtlinge unterkommen sollen. Eine "Interimslösung für die Erstaufnahme", wie die zuständige Landesdirektion Sachsen erläuterte.

 

Und die Politik wurde unmittelbar mit dem Volkszorn konfrontiert. Auf Anti-Asyl-Seiten in Sachsen wurde zu Spontandemonstrationen mobilisiert. Auch Pegida-Chef Bachmann machte sich unmittelbar nach der Kundgebung in Dresden auf nach Freital. Auf Facebook hetzte er gegen die "Überrumpelungsaktion", bei der "unangemeldet 150 Asylanten angekarrt" worden seien. "Das muss ein Ende haben! Auf die Straße! Wehrt Euch!"

 

Von "Abgründen der Korruption und Geschäftemacherei mit Asylanten" schwadronierte Bachmann, es gehe um "jede Menge Kohle, die sich mit den Glücksrittern aus Afrika machen lässt".

 

In der Wortwahl höflicher beklagte sich auch der Noch-Oberbürgermeister der Stadt, Klaus Mättig (CDU), über die Pläne des Freistaats. Er verkündete via "Bild"-Zeitung": "Als die Landesdirektion am Freitag anrief, hieß es noch, Freital wird keine Erstaufnahmeeinrichtung. Und jetzt werden wir vor vollendete Tatsachen gestellt!"

 

Die Aufrufe zum Protest verfehlten ihre Wirkung nicht. Rund 100 Anwohner demonstrierten gegen die neuen Flüchtlinge. Ihnen gegenüber standen 15 bis 20 Menschen, die Solidarität mit den Flüchtlingen zeigten, von Bachmann wurden sie als "SAntifa-Einsatzstaffel" verunglimpft.

 

Immer wieder gab es auch Aufrufe zur Gewalt "Lutz, irgendwie bringen friedliche Spaziergänge' nichts", schrieb einer auf der Facebook-Seite von Bachmann. "Müssten nicht langsam mal schwerere Geschütze aufgefahren werden?" Auch auf der Facebook-Seite "Freital wehrt sich. Nein zum Hotelheim" entlud sich der Hass. Sie hat schon vor Wochen angekündigt, der sächsischen Stadt die "entscheidende Rolle für ein Ende der Asylwirtschaft" zu geben. Kommentaren dort schrieben: "Kauft Euch Hunde, bringt Frauen und Kinder in Sicherheit!" Auch zu einem Brandanschlag gegen den Bus mit den Asylsuchenden wurde aufgerufen: "Kann nicht jemand auf den Tank vom Bus schießen?"

 

Die Bewohner des Flüchtlingsheims wurden aufgefordert, die Fenster zu schließen. Augenzeugen zufolge flogen Böller. Die Polizei reagierte verspätet - und aus Sicht von Flüchtlingsaktivisten auch falsch. Zunächst war sie gar nicht vor Ort. Am frühen Abend erklärte ein Polizeisprecher auf Anfrage von MDR Sachsen: "Wenn wir gebraucht werden, dann sind wir da."

 

Später war dann zunächst nur ein Einsatzwagen am ehemaligen Hotel. Die Anti-Asyl-Seite "Freital wehrt sich" höhnte, mehr als 100 Bürger würden ihren "Unmut gegen die Verarschung" kundtun. "Ihnen gegenüber stehen 15 Gutmenschen. Dazwischen ein Auto der Polizei." Erst am späten Abend waren dann laut Polizei gut ein Dutzend Polizisten vor Ort. Der Sprecher des sächsischen Innenministeriums, Martin Strunden, erklärte knapp: "Die Vorfälle sind beschämend und lenken von dem Engagement vieler für Asylbewerber ab." Die Polizeidirektion Dresden versicherte, die Beamten hätten "im Gespräch mit den anwesenden Personen der angespannten Stimmung entgegengewirkt". Zu Auseinandersetzungen sei es nicht gekommen, hieß es weiter. Personalien wurden offenbar durch die Beamten nicht aufgenommen. Die Leitung des Heimes wollte sich am Dienstag nicht zu den Vorfällen äußern.

 

Eine Flüchtlingsaktivistin sagte dem Tagesspiegel, in Freital habe eine "gewisse Art von Pogromstimmung" geherrscht. "Die Polizei war nicht in der Lage einzugreifen und die Rassisten wegzuschicken." Als "kreuzgefährlich" beschreibt sie die drohenden Auseinandersetzungen um die Unterkunft: "Vergleiche mit Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen sind durchaus angebracht."

 

Die Internetseite Alternative Dresden News (ADDN) warf die Frage auf, warum so wenig Polizei bei den asylfeindlichen Protesten gewesen sei - und verglich dies mit einem Einsatz kürzlich in Dresden, als die Polizei mit einem "riesigen Aufgebot" einen Aufmarsch von 120 Nazis durchgesetzt habe. 

 

Landtagsopposition: Vorgehen des Innenministeriums fahrlässig oder dumm


Petra Zais, migrationspolitische Sprecherin der Grünen im sächsischen Landtag, ist entsetzt. Ihre Fraktion warne schon seit Februar davor, dass die Situation in Freital vollends kippen könne – und sich Szenen wie einst in Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen abspielen könnten, sagte sie dem Tagesspiegel. Die "Nein-zum-Heim-Bewegung" in Freital sei als aggressiv bekannt, hinzu komme eine Art rechtsextremer Bürgerwehr, die Asylsuchende auch offensiv einzuschüchtern versuche. Sie kritisiert Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) scharf: In dieser Situation Öl ins Feuer zu gießen und – weitgehend ohne vorherige Abstimmung und Kommunikation – aus dem als zentrale Unterkunft genutzten Hotel künftig ein Durchgangslager für Erstaufnahmen zu machen, sei "entweder fahrlässig oder dumm – oder es hat Methode". Gleichwohl, betont Zais, könne die Botschaft natürlich auch nicht lauten, dass Asyl-Gegner in ihren Gemeinden nur "genug Rabatz" machen müssten, damit Aufnahme-Einrichtungen woanders hinkämen.

 

Juliane Nagel, Flüchtlingspolitikerin der Linken-Landtagsfraktion, schätzt die Anti-Asyl-Bewegung in Freital ähnlich ein. Sie sagte dem Tagesspiegel: "Seit Monaten marodieren in Freital Rassisten gegen die Asyl-Unterkunft. Nun riskiert das sächsische Innenministerium wissentlich die Unversehrtheit dieser Menschen, indem dort eine Erstaufnahmeeinrichtung eröffnet wird. Das ist brandgefährlich und nicht akzeptabel." Seit April habe es mindestens zehn Übergriffe gegen Flüchtlinge gegeben, "das heißt, die Sicherheitsbehörden sind nicht in der Lage oder willens für Schutz zu sorgen".

 

SPD: Normalisierung von Rassismus nicht hinnehmen

 

Der stellvertretende Vorsitzende der der SPD-Landtagsfraktion, Henning Homann, sagte, die Anti-Asyl-Proteste in Freital seien "beängstigend und verstörend". Er warf den Pegida-Organisatoren eine "besonders erschreckende Stimmungsmache" vor. "Manche geistigen Brandstifter unterscheiden sich von militanten Straftätern nur noch durch die Tat. Ich warne vor einer Normalisierung des Rassismus in unserem Land.“

 

Überraschend kommt die Entwicklung in Freital nicht. Zwar war die Stadt mal Hochburg der Arbeiterbewegung. Doch hatte sich schon vor Wochen eine Bürgerwehr gegen Flüchtlinge gegründet, tätliche Angriffe auf Asylsuchende blieben nicht aus. Immer wieder gab es Demonstrationen des Pegida-Ablegers Frigida.

 

Die CDU als stärkste politische Kraft in Freital lieferte den Asylgegnern regelmäßig Argumente. Der Anfang Juni gewählte neue Freitaler CDU-Oberbürgermeister Uwe Rumberg zweifelte nach seiner Wahl bei der Mehrzahl der Asylsuchenden am Integrationswillen. "Es muss stärker unterschieden werden zuwischen wirklich Hilfsbedürftigen und sogenannten Glücksrittern, die nach Deutschland kommen, um auf Kosten der Gemeinschaft ein sorgloses Leben ohne Gegenleistung zu führen."

 

Schon im Wahlkampf war der Rumberg mit markigen Sprüchen aufgefallen. Er forderte "Sanktionen gegen pöbelnde und gewalttätige Asylbewerber". Im März sagte er in einem Interview mit der "Sächsischen Zeitung": "Die Politik da oben denkt, es ist immer alles Friede, Freude, Eierkuchen, wenn man Tür an Tür mit fremden Kulturen lebt, dass mit Verständnis und Vertrauen alles geregelt ist. Das dachte ich auch. Aber das ist nicht so. Auch eine Willkommenskultur hat irgendwo ihre Grenzen."