Landkreis setzt Signal: Im Mai kommen erste Asylbewerber nach Tröglitz

Erstveröffentlicht: 
11.03.2015

Nach Rücktritt von Bürgermeister Nierth verspricht Innenminister mehr Schutz für Kommunalpolitiker

 

Von Romy richter


Tröglitz. Der Fall aus einem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt schlägt nun auch bundesweit hohe Wellen: Nach dem Rücktritt des von Rechtsextremisten bedrohten Tröglitzer Ortsbürgermeisters Markus Nierth (parteilos) ist auch die Bundespolitik alarmiert. Die Landesregierung kündigte Konsequenzen an.


Zugleich werden voraussichtlich im Mai die ersten Asylbewerber in der Gemeinde Tröglitz erwartet. Ende März wird es eine Einwohnerversammlung geben, auf der die Bürger informiert werden sollen. Der Kreistag des Burgenlandkreises beschloss am Montagabend mit breiter Mehrheit die Unterbringung von 40 Flüchtlingen im Ortskern. Es sei ein Signal, dass man nicht einknicke vor Demonstrationen der rechtsextremen NPD, so Landrat Götz Ulrich (CDU).

 

Markus Nierth fühlt sich allein gelassen


Im Streit um dieses Vorhaben hatte sich der 46-jährige Nierth lange für eine Willkommenskultur stark gemacht. Die Situation eskalierte jedoch, als Rechtsextreme für vorigen Sonntag eine Demonstration direkt vor seinem Wohnhaus angemeldet hatten. Er erklärte daraufhin, dass er sein Amt niederlege, "weil ich enttäuscht bin, dass die Behörden und das Landratsamt mir nicht einmal einen Mindestschutz meiner Familie gewähren". Nierth betonte, dass er nicht dem Druck der Rechten weiche, sondern sich von Landkreis, Parteien und Nachbarschaft allein gelassen fühlte.


Nierth ist Theologe, arbeitet als freiberuflicher Trauerredner, und übernahm vor fünfeinhalb Jahren des Amt des Ortschefs. Er gilt als engagiert. Das 2700 Einwohner zählende Tröglitz gehört zur Gemeinde Elsteraue im Burgenlandkreis im Dreiländereck Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Nierth ist verheiratet und hat in seiner Patchwork-Familie sieben Kinder, die er vor den Anfeindungen schützen wollte, wie er sagte. Seine Frau betreibt eine Tanzschule im Ort.


Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) kündigte nach Bekanntwerden des Falls an, künftig ehrenamtliche Bürgermeister besser schützen und Aufmärsche vor deren Wohnhäusern unterbinden zu wollen. Dafür soll ein Erlass erarbeitet werden. Für den Freitag kündigte Stahlknecht eine gemeinsame Arbeitsbesprechung der Verfassungsschutzbehörden der mitteldeutschen Länder sowie Polizeivertretern in Zeitz an.


Immer wieder werden Bürgermeister zur Zielscheibe. Sie müssten oftmals ihren Kopf hinhalten für Dinge, die sie nicht zu verantworten haben, weiß auch der Landesgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Sachsen-Anhalt, Jürgen Leindecker. Er sprach gestern in Magdeburg mit Blick auf Nierths Gründe für seinen Rücktritt von einem "bedrückenden Fall". Entscheidend sei, dass die örtliche Gemeinschaft zu ihrem Bürgermeister stehe, ihn unterstütze und nicht im Regen stehen lasse, appellierte Leindecker. "Die Kommunalpolitiker dürfen nicht auf verlorenem Posten stehen."


Rechte Gewalt bleibt Problem


Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özogus (SPD), forderte eine bessere Informationspolitik. Sie sprach mit Blick auf Tröglitz von einem "verheerenden Alarmsignal" für die Demokratie. Nötig seien mehr Aufklärung und mehr Informationen, "damit jeder verstehen kann, warum Flüchtlinge zu uns fliehen und wie man helfen kann", erklärte die SPD-Politikerin.


Laut Einschätzung der Mobilen Opferberatung bleibt rechte Gewalt ein Problem in Sachsen-Anhalt, trotz eines leichten Rückgangs der Taten. Zunehmend seien Flüchtlinge unter den Opfern, teilte die Beratungsstelle mit. Im vergangenen Jahr seien 103 Gewalttaten mit 140 direkt betroffenen Opfern bekanntgeworden, vor allem Körperverletzungen, aber auch Brandstiftungen, Nötigungen und Bedrohungen.

 


 

Provokation in Tröglitz kein Einzelfall

Parolen skandieren, Steine werfen, Angst einjagen: Bundesweit werden Politiker von Rechts bedroht

 

Von maren hennemuth


Berlin. Markus Nierth, bisher der Ortsbürgermeister des sachsen-anhaltischen Tröglitz, ist zurückgetreten, weil er sich rechtsextremer Hetze ausgesetzt sah. "In dieser Form ist es ein Einzelfall", sagt der Berliner Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke. "Aber es gab immer wieder solche Fälle." Und Alexander Häusler vom Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus der Fachhochschule Düsseldorf meint: "Es ist kein Einzelfall, allerdings ist es ein herausragendes Beispiel, weil hier ein Bürgermeister tatsächlich zurückgetreten ist."


Im Januar brannte das Auto des Berliner Linken-Politikers Hans Erxleben. Der Bezirksverordnete von Treptow-Köpenick tritt seit Jahren schon gegen Rechtsextremismus ein. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau erhielt zuletzt wegen ihres Einsatzes für eine Flüchtlingsunterkunft in ihrem Berliner Wahlkreis über 40 Mord- und Gewaltdrohungen. Der Oberbürgermeister von Magdeburg, Lutz Trümper (SPD), steht aktuell unter Personenschutz, weil er drei Morddrohungen erhielt. In einem der Briefe stand laut Magdeburger Volksstimme der Satz: "Ein Baum, ein Strück, Trümper". Und immer wieder werden auch Bürgermeister kleinerer Städte oder Gemeinden zur Zielscheibe. In Ratzeburg (Schleswig-Holstein) tauchten 2012 an mehreren Gebäuden Morddrohungen gegen den parteilosen Bürgermeister Rainer Voß auf. Die Täter wurden im rechten Lager vermutet, Voß hatte zuvor in einem Bündnis gegen Rechts mitgewirkt. In Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) beschmierten Unbekannte 2013 das Wohnhaus des parteilosen Bürgermeisters Arne Schuldt mit der Parole "Lichtenhagen kommt wieder". Rechtsextreme hatten zuvor gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft mobil gemacht.


Simone Rafael von der Amadeu-Antonio-Stiftung vermutet eine gezielte Strategie hinter solchen Angriffen: "Das ist eine ganz klare Taktik, mit der die Nazis versuchen, anderen Angst zu machen und so zu erreichen, dass ihre politischen Ziele erfüllt werden." Sie spricht von verschiedenen Eskalationsstufen. Drohungen auf Demonstrationen seien das eine. "Wenn es Angriffe auf das eigene Parteibüro sind, wird es schon persönlicher, weil man weiß: Jemand hat sich die Mühe gemacht, die Adresse herauszufinden", sagt sie. "Und noch viel schlimmer wird es, wenn es sich um das persönliche Wohnhaus handelt, das für jeden Rückzugsort ist."


In Dortmund wollten Anhänger der Partei "Die Rechte" im Dezember vorm Wohnhaus von Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) und zwei weiteren Privatadressen demonstrieren. Immer wieder gibt es in der Stadt Drohungen von extrem Rechts. Vor Kurzem veröffentlichten Unbekannte falsche Todesanzeigen von kritischen Journalisten und Politikern aus Dortmund. Am Montagabend verfolgten Maskierte einen Reporter nach einer Neonazi-Kundgebung und bewarfen ihn mit Steinen.


Sierau kann die Entscheidung von Nierth verstehen: "Ich kann den Fall in Tröglitz nicht im Detail beurteilen, habe aber den Eindruck, dass der Bürgermeister allein gelassen wurde", sagt er. Für ihn selbst komme ein Zurückweichen vor Rechtsextremisten aber unter keinen Umständen in Frage. Auch der Thüringer Linken-Abgeordnete Steffen Harzer wurde Opfer eines Angriffs, als er noch Bürgermeister von Hildburghausen war. 2008 hielten mehrere Rechtsradikale vor seinem Haus an und skandierten rechte Parolen. Nach Zeugenaussagen soll ein stadtbekannter Neonazi dem Bürgermeister zugerufen haben: "Dein Haus wird brennen." Er habe sich damals vor allem um seine Familie gesorgt, sagt Harzer heute. "Ich halte es aber für das falsche Signal aufzugeben. Man muss auf die Zivilgesellschaft bauen."