Tod im Namen der Bewegung

Vanya

Am Abend des 16. November wurde Ivan Kostolom Hutorskoy aus Moskau auf dem Weg zu der Wohnung seiner Familie umgebracht. Er bekam zwei Kopfschüsse und verstarb an den schweren Verletzungen noch am Ort.

Die Nachricht von seinem Tod verbreitete sich sehr schnell, und so bekamen auch wir diese erschütternde Neuigkeit mit. Nicht schon wieder einer, ging uns durch den Kopf. Fassungslosigkeit und Trauer machte sich breit.

 

 

Wir denken, dass wir die Trauer überwinden und die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen müssen. Auf den russischen Seiten linker Aktivisten gibt es viele Artikel zu dem Mord an Vanya und den möglichen Mördern. Einen davon fanden wir sehr interessant, da er die Situation in Russland am Beispiel von Ivan überschaubar rekonstruiert. Wir haben den Artikel übersetzt und denken, dass wir jetzt nicht auf Weiteres zu der Tat eingehen werden, da der folgende Artikel der russischen Genossen es tut.

 

 

Tod im Namen der Bewegung

http://www.antifa.ru/3449.html

 

Am 16. November wurde in Moskau einer der Anführer der antifaschistischen Bewegung ermordet – Ivan Kostolom Hutorskoy. Seine Leiche wurde in seinem Haus in der Habarobskoy Straße 2 entdeckt, wo der junge Mann gewohnt hat. Der Killer hat zwei Schüsse in den Kopf des Opfers gefeuert. Noch am selben Platz ist Ivan an den Verletzungen gestorben. Es ist nicht gelungen, den Mörder anhand der heißen Spur zu finden. Das ist schon der zweite Tod in Ivans Familie – erst vor einem halben Jahr musste seine Mutter ihren Mann beerdigen.

 

Enge Angehörige des Verstorbenen und Blogger nehmen an, dass Ivan aufgrund seiner antifaschistischen Arbeit ermordet wurde. Sollte es so sein, so wäre das bereits der zweite große Mord (nach dem doppelten Mord an Staneslav Markelov und Anastasia Baburova), verübt von Neonazis. Der Name und Adresse von Ivan waren auf Nazi-Seiten veröffentlicht, genauso wie die von den Toten Markelov und Nikolaj Girenko.

Rechtsradikale haben schon dreifach versucht, Ivan zu töten. 2005 wurde ein Video veröffentlicht, welches von dem Sender NTV im Programm „Gewöhlicher Antifaschismus“ ausgestrahlt wurde. Auf dem Band sieht man eine Schlägerei zwischen Antifaschisten und Nazis. Dabei wird Ivan der Kopf mit Rasierklingen aufgeschlitzt. Das zweite Mal wurde Ivan ein Schraubenzieher in den Hals gerammt. Im Januar diesen Jahres ist er beinahe an den Verletzungen gestorben, die ihm Neonazis mit Messerstichen in den Bauch zugefügt haben.

 

Seinen Spitznamen „Kostolom“ („Knochenbrecher“) bekam der 26-jährige Ivan aufgrund seiner massiven Figur. Er war sportlich, machte Sambo und übte sich im Armdrücken. „Nazis hatten Angst vor ihm. Ivan war ein mutiger und starker Mensch, ein echter Held. Er war immer ruhig und besonnen. Anscheinend haben sie deswegen sich dazu entschieden, zu solchen Maßnahmen zu greifen – eine Schussaffe, denn im fairen Kampf hätten sie ihn nicht besiegen können“, erzählt ein Freund des Verstorbenen, der sich Alexander Jarovoy nennt. Seiner Meinung nach war Hutorskoy ein besonderes Ziel für die Nazis: Er war verantwortlich für den Schutz auf antifaschistischen Veranstaltungen, aber auch auf Konzerten und Meetings. Außerdem hat es sie offensichtlich aufgeregt, dass die vorhergegangenen Mordversuche alle fehlgeschlagen sind.

 

Die Neonazis dementieren ihre Teilnahme am Mord Ivans. Im Interview „Navoja Regiona“ (Neue Region) Dmitrij Djomyschkin, kündigte der Kopf von „Slavjansiy Sojuz“ (Slawischer Bund) an, dass keine Neonazis sich an „der Sache“ beteiligt hätten. Seiner Meinung nach hätte der immense Druck von den Gesetzeshütern zu diesem Terror geführt. Wenn es so weiter gehe, „fängt der autonome Widerstand an und die Bewegung geht in den Untergrund“. Außerdem denkt er, dass die Verantwortung für den Mord an Ivan Hutosrkoy „der autonome Teil der Nazionalisten oder junge Skinheads“ tragen.

Der Leader von „Bewegung gegen illegale Immigration“ (DPNI) Alexander Belov-Potkin hingegen schreibt die Schuld Spezialeinheiten zu. „Es sieht nach einer Tat der Spezialeinheitenen aus, die versuchen, einen Krieg zwischen Rechten und Antifas hervorzurufen.“ - so ein Zitat von gaseta.ru.

 

„Dass das Verbrechen von Nazis verübt worden ist, darin besteht für uns kein Zweifel. Eine Schusswaffe wurde auch bei dem Mord an Stas Markelow und Nastja Baburova verwendet. Wir dachten damals auch, dass es Spezialeinheiten des Staates waren, aber wir haben uns getäuscht. Es war schwer vorzustellen, dass sie (die Nazis – Anm.d.V.) solche Waffen besitzen. Filatov wurde einfach von mehreren Männern mit Messern erstochen“, meint Alexander Jarovoy. Zur Erinnerung: es ist bereits der sechste Antifaschist, der in Moskau ermordet wurde. Im April 2006 wurde der 19-jährige Alexander Rjuchin erstochen, der sich mit einem Freund auf dem Weg zu einem Hardcore-Konzert befand. Im Frühling 2008 starb unter ähnlichen Umständen der 16-jährige Alexej Krilov. Im Herbst desselben Jahres wurde einer der wichtigsten Aktivisten, Feodor Felatov, neben seinem Treppenhaus ermordet. Im Januar 2009 wurde der Anwalt Stanislav Markelov, bekannt für sein Engagement in der Verteidigung von Antifaschisten, erschossen. Mit ihm starb die linke Aktivistin und Journalistin Anastasia Baburova.

 

„Ich denke, dass die Nazis den Mord an Kostolom an den Tag annähern wollten, an dem auch Timur Kacharava (20-jähriger Aktivist aus Petersburg, ermordet von Nazis am 13. November 2005 – Anm.d.V.) gestorben ist. Wahrscheinlich ist es eine drastische Antwort auf die Inhaftierung von Tichonov und Hasis, denn über dieses Ereignis wurde die ganze letzte Woche heftigst debattiert. Man muss auch sagen, dass die Mörder Glück hatten: Vanya hat immer in gemieteten Wohnungen gelebt, er war selten zuhause. Das war ein tragischer Zufall“ - so Alexander Jarovoy. Interessant, wie sich dieser Vorfall auf das Schicksal von Tichonov-Hasis auswirkt: es wäre besser für sie, sie wären nicht schuldig, es wäre besser, wenn auf der Seite der Nazis bereits ein ganzes Netz von Killern aufgebaut ist: mit einbegriffen die Sympathien seitens des Militärs und des Krieges im Kaukasus, so scheint es, als ob es ihnen nicht schwer gefallen ist, die Waffe zu zücken.

 

Die Reaktionen seitens der Antifas haben nicht lange auf sich warten lassen. Mehr als 300 überzeugte Aktivisten versammelten sich am Dienstag auf der Allee der Metrostation „Zwtnoy Bulvar“, um Spenden für die betroffene Familie zu sammeln. Die Polizei vertrieb die Antifaschisten. Keiner konnte festgehalten werden. Später griffen die Aktivisten überraschend das Büro von „Junges Russland“ (RM). Das Gebäude wurde mit Flaschen, Steinen, Fakeln und Strassenbauzubehör beworfen. Außerdem wurden Autos, die vor dem Büro geparkt waren, beschädigt: die Antifas haben sie für Fahrzeuge der „RuMolovez“ (bezeichnet die Parteiangehörigen von Junges Russland – Anm.d. AJB) gehalten. Die Frage, die aufkommt, ist: Warum greifen Antifas Fahrzeuge der Parteiangehörigen an, die die rechte Ideologie ablehnen? „Das ist lediglich eine der staatlichen Strukturen, die Verbindungen zu Rechtsradikalen hat. Unsere fortwährende Aufgabe ist es, die Rechten dieser Unterstützung zu entledigen. Der Sinn der Aktion war nicht die bloße Zerstörung des Büros von Junges Russland, was unsinnig und einfach irreal wäre, sondern um Aufmerksamkeit auf „Junges Russland“ und „Russkij Obraz“ (Russische Ikone) zu lenken. Deren Mitglieder propagieren ganz offen neonazistischen Terror. So sind z.B. die Mitglieder von „Russkij Obraz“ mit in den Mord an Markelov und Baburova verwickelt. Höchstwahrscheinlich ist Kostolom von den Menschen derselben Gruppierung umgebracht worden.“, erzählt Alexander Jarovoy. Seiner Aussage nach wissen Antifaschisten längst von der Verbindung des Abgeordneten von „Einiges Russland“ und des Vorsitzenden von Junges Russland Maxim Mistschenko mit Ultrarechten. Auf der offiziellen Internetseite der Neonazis ist ein Interview veröffentlicht, indem Mistschenko offen zugibt, den Russkij Obraz zu unterstützen. Hier ein charakteristisches Zitat: „Ich habe ein gutes Verhältnis zum 'Russkij Obraz'. In dieser Organisation gibt es viele adäquate Menschen, die bereit sind, effektive Arbeit zu leisten. Ich habe mit ihnen im Rahmen einiger Projekte zusammengearbeitet und werde diese Zusammenarbeit fortsetzen.“ Zudem haben Antifaschisten Informationen, dass die Angehörigen von Junges Russland Neonazis in ihren Reihen haben. „Mit anderen Worten – wir verurteilen Mistschenko wegen politischer Schutznahme von Nazis. Genauso handelte der Abgeordnete Nikolaj Kurianovitsch, der mit Nazis von der SS befreundet ist.“, so Jarovoy.

 

Nach der Aktion ist es den Rumolevzen gelungen, einen Antifaschisten festzuhalten, der sich an der Aktion beteiligt hat. Maksim Mistschenko, der am Ort des Geschehens ankam, machte Fotos vom Antifaschisten und vom beschädigten Gebäude, die er seitdem auf seinem Blog veröffentlicht hat. In der offiziellen Pressemitteilung versprach die Partei, den Angriff vors Gericht zu bringen. Im Endeffekt bezahlte der Antifaschist eine Geldstrafe von 1000 Rubel.

 

Die Dichotomie „Antifa vs. Fa“ ist zu einem Trend für die Öffentlichkeit geworden. Einige halten es für eine Wiederholte Auseinandersetzung zwischen jugendlichen Gruppen, andere für eine Erscheinungsform in der bürgerlichen Gesellschaft. So oder so, man darf nicht vergessen, dass diese Bewegung eine Reaktion auf aktive Machenschaften der faschistischen Ideen und die offizielle Unterstützung derer geworden ist.

 

Die ersten antifaschistischen Gruppierungen bildeten sich bereits in der Mitte der 90er Jahre, aber eine aktive Entwicklung gab es erst seit 2000-x. Für den kämpferischen Teil der Bewegung standen Gruppen wie die S.H.A.R.P., R.A.S.H., Punks, Leute aus der Hardcore- und der StraightEdge-Szene. Was deren Idelogie angeht, so näherte sie sich der radikalen Linken: der anarchistischen, autonomen und sozialistischen. In einer kurzen Zeit ist die Bewegung deutlich gewachsen und die apolitische Jugend nahm die Ideen des Antifaschismus mit der Subkultur auf. Als die Nazis die „Gefahr von links“ erkannten, verfrachteten sie ihren Hass als Antwort darauf auf die Aktivisten. Harmlose Schlägereien, wo das Einsetzen von Handwaffen wenn nicht nötig, als überflüssig oder „aus-der-reihe-tretend“ galt, ist zur Gewohnheit verkommen, wobei die Mörder bereits Schussfeuerwaffen benutzen.Antifaschisten ziehen chancenlos den Kürzeren gegen Nazis, wenn es um körperliche Auseinandersetzungen geht: sie können nicht Schlüsselfiguren der Nazis eliminieren – eines der wichtigsten Prinizipien der Bewegung ist es geworden, keine Morde billigend in Kauf zu nehmen.

 

Danach ist in der Geschichte eine wichtige Veränderung eingetreten: der Staat hat Leader von beiden Seiten entfernt. Maksim Tesak Marzinkevitch sitzt für mehrere Jahre für nazistische Machenschaften im Club „Bilingva“ hinter Gittern und Alexej „Schkobar“ Olesinov wegen vermeintlichem Hooliganismus. Viele denken, dass es bloß ein taktischer Zug der Regierung ist, die versucht, auf diese Art und Weise die Auseinandersetzungen zu stoppen. Und anscheinend denkt man, es sei gelungen – laute Aufeinandertreffen, bei denen mehrere hundert Opponente sich die Fresse einschlagen , gehören der Vergangenheit an. Aber das von der Polizei angezettelte Vorhaben war bloß die Ruhe vor der Sturm. Während Antifaschisten aktiv traumatisierende Waffen eingekauft haben, übergehend in die Verteidigungsstellung, haben sich die Nazis dazu entschieden, zum politischen Terror zu greifen. Der Mord an Stas Markelov und Nastja Baburova unterschied sich qualitativ von dem bisher Da-gewesenen: der Killer handelte schnell und professionell; benutzte kein Messer oder Baseballschläger, sondern eine Schusswaffe. Der Tod von Ivan Hutorskoy ist die Fortsetzung der terroristischen Akte, die beweisen, dass es in Russland einen neonazistischen Untergrund gibt. Bei letzten Inhaftierungen von faschistischen Banden wurden nicht nur selbst gebastelte Bomben, sondern auch weitere Schusswaffen und Munition gefunden. Gemessen an dem Ausmaß der Kämpfe zwischen Antifas und Nazis, die sich zu einer Art Staßenkrieg entwickeln, müssen die Antifaschisten selbst durch eine harte Probe ihrer eigener Prinzipien durch: ohne zahlenmäßige Überlegenheit, wenden sie sich ab von Schusswaffen. Leider wissen in Russland nicht so viele Menschen um die Prinzipien Ghandis, aber es gibt eine große Tradition politischen Terror-Antiterrors im Bezug auf Bomben und Brandsätze.

 

Wenn die Nazis sich mit der Zeit radikalisieren werden, dann werden sich höchstwahrscheinlich die Antifas von körperlichen Methoden abwenden und versuchen, ihre Taten zu legalisieren. Früher war in der Antifabewegung eine Unterscheidung zwischen unpolitischen und vielseitigen sozialistischen Jugendlichen. Doch unter Berücksichtigung der gemeinsamen Gefahr werden sie sich unter einer schwarz-roten Fahne vereinen. „Die Rechten versuchen, Polemik anzuwenden. Wir müssen eine Antwort geben. Wenn alles so bleibt, wie es ist, dann werden wir für die Öffentlichkeit ein Häufchen Marginalisierte, einfach eine Jugendgruppe.“, meint Alexander Jarovoy. Antifas werden keine Bündnispartner zwischen den offiziellen parlamentarischen Partien suchen. In jedem Fall müssen wir mit einer ernsten Änderung der antifaschistischen Strukturen rechnen.


Von Alexander Tuschkin

 

 

 

 

Wenn man im Internet ein bisschen sucht, stoßt man auf den Blog von Maksim Mistschenko. Dabei gibt es ein Video, das wohl kurz nach der Attacke der Antifas auf das Büro von Junges Russland gedreht wurde.

http://www.youtube.com/watch?v=CzxIQXDJwnU&feature=player_embedded

Mistschenko erklärt, dass seine Organisation keineswegs an den Morden an Antifaschisten beteiligt sei. Im Gegensatz, sie selbst lehnen angeblich die faschistische Ideologie ab. Da sie nun einen der Attackierer festhalten würden, würde er der Sache auf den Grund gehen und den „Organisator“ der Aktion ausfindig machen wollen. Den „Gefangenen“ sieht man am Ende des Videos und hier: http://rutube.ru/tracks/2622584.html?v=3734eb666c3bdc2908889bc8a14bdc05

Mistschenko versucht herauszufinden, was passiert ist und wird dabei von einem anderen Mann aufgehalten, der sich der Sache bereits angenommen hat.

 

Fragwürdig ist jedoch, inwiefern Mistschenko die faschistische Idee wirklich ablehnt. Wie die russischen Genossen bereits beschrieben haben, ist er doch alles andere als vom Neonazismus abgetan. Das zeigt nicht nur das Interview, in dem er seine Zuversicht zum Russkij Obraz beteuert, sondern auch jegliche Bilder, auf denen er auf dessen Meetings posiert.

 

Dabei ist Russkij Obraz nicht nur eine Organisation, die sich gegen MigrantInnen und andere Marginalisierte wendet, sondern, wie oben beschrieben, steckt diese höchstwahrscheinlich in den Ermordungen an Markelov und Baburova mit drin. Die Organisation kollaboriert mit „autonomen“ Nationalisten aus Deutschland. So hat sie z.B. Beziehungen zum „Syndikat-Z“, dem deutschen Ableger des weltweiten faschistischen Netzwerkes „Zentropa“. So warb Syndikat-Z Ende September diesen Jahres für den Film „Russischer Widerstand“, der von den russischen politischen Gefangenen handelt und an dem Russkij Obraz mitgearbeitet hat.

 

Wer nun also behauptet, Junges Russland, dessen Vorsitzender Mistschenko ist, habe keine Verbindungen zur nazistischen Szene, muss vor der Wahrheit flüchten oder die Augen verschließen. Junges Russland ist eine von vielen Organisationen, die sich die Hände in Unschuld waschen will.

 

 

Wir sind über den Mord an Vanya sehr wütend und die Maske, die die Nazis versuchen, sich aufzusetzen, macht unsere Wut noch größer.

 

Unsere größte Solidarität gilt den FreundInnen und Familie von Vanya.

Kein Vergeben, kein Vergessen!

Heute trauern wir, morgen kämpfen wir weiter!

 

Antifaschistische Jugend Bochum


 

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„The life and death of Ivan Khutorskoy“
(dt. Übers.)

Gestern, am Montagabend des 16.11., wurde der 26jährige Antifaschist Ivan „Vanya Kostolom“ Khutorskoy im Eingang seines Wohnhauses in der Khabarovsk Straße im Osten von Moskau erschossen; Berichten zufolge wurden zwei Schüsse auf seinen Kopf abgegeben.

Vanya war spielte eine wichtige Rolle in der russischen Antifa-Bewegung, und ich bin sicher, dass viele Leute in den kommenden Tagen, Monaten und Jahren ihre Erinnerungen an ihn niederschreiben werden. Aber im Moment sind die Meisten seiner Freunde zu wütend und entsetzt über den Verlust dieses Freundes und Genossen.

Meine frühsten Erinnerungen an Vanya gehen auf 2004 zurück, als ich gerade einen anarchistischen Infostand auf einem Konzert im R-Club durchführte. In dieser Zeit ging ich nicht gerade häufig zu Konzerten, weswegen mir die meisten Gesichter dort unbekannt waren. Das war die Zeit bevor die Hardcore-Szene sich wegen des Mordes an Sasha Ryukhin vollständig in den Untergrund zurückzog. Also war dieses Konzert noch offen beworben und jeder hätte dort rumlaufen können. Deshalb war ich ein wenig argwöhnisch über den Haufen an Skinheads, besonders über diesen einen großen Typen. Aber es gab keinen Grund zur Besorgnis; gerade weil er, Vanya, dort war, konnten alle sich sicher sein, dass er sich um mögliche Probleme kümmern würde.

Ich weiß nicht, woher Vanya seinen Spitznamen „Kostolom“ („Knochenbrecher“) hat. Wahrscheinlich war das ironisch gemeint, weil es nur wenige gibt, die so freundlich und humorvoll sind, wie Vanya es war.

Das letzte Mal, als ich Vanya traf, war auf dem Mixed-Martial-Arts-Turnier „No surrender“ am 10. Oktober 2009 in Moskau. Das Turnier wurde abgehalten in Gedenken an einen anderen ermorderten Antifaschisten, Fyodor Filatov. Vanya war, wie auf dem Photo zusehen ist, der Schiedsrichter. Vanya war sehr gut in Sambo, einer sovietischen Kampfkunst, die immer noch sehr populär ist. Er war erfolgreich bei Turnieren und stieg bis zum russischen Meisterkandidaten (degree of Candidate for Master of Sports of Russia) auf. Armdrücken war seine andere Disziplin. Diese Umstände machten ihn für die Nazis zu einem besonders gefürchteten und gehassten Gegner, gerade weil er nicht in ihr Feindbild des Junkies oder Alkoholikers hineinpasste. Nur wenige Nazis konnten es in einem fairen Kampf mit Vanya aufnehmen. Deshalb griffen sie ihn mit Rasierklingen, Schraubendrehern und Messern an, und als nicht mal das funktionierte, griffen sie zur Schusswaffe.

Davor hab ich ihn noch im vergangenen Mai getroffen, draußen vor einem Ska-P-Konzert. Niemand von meinen Freunden hatte 30 Euro für das Konzert dieser spanischen Ska-Punks über. Wir entschieden uns vor dem Eingang kostenlos Antifa-Material zu verteilen. Auf dem Poster, das das Konzert bewarb, war die Band in Antifa-T-Shirts zu sehen – keine große Sache in Spanien, aber in Moskau müsste ein Musiker dafür vielleicht mit seinem Leben bezahlen. Es war nicht weniger gefährlich vor der Konzerthalle Material zu verteilen, als in den Straßen irgendwelchen Leuten Flyer in die Hand zu drücken. Wir fragten Vanya und andere Leute, ob sie aufpassen könnten.

Offensichtlich waren viele nur beim Konzert, um Party zumachen, denn die Reaktion der Semi-yuppie Clubgänger und Punks war sehr unterschiedlich. Dann gab es einen Anruf – ein paar Kilometer weiter südlich war eine Gruppe von Genossen in Schwierigkeiten mit Nazis geraten, von denen sie nun verfolgt würden. Unsere Beschützer mussten dort hin um sie zu unterstützen. Ich dachte nicht im entferntesten daran, mich heute abend in einen Kampf zu begeben, aber ich hatte keine andere Wahl – einfach wo anders hinzugehen, nachdem ich an hunderte von Leuten Material verteilt hab kann sehr leicht mit einem 5-Zoll-Klinge zwischen den Rippen enden. Also ging ich mit.

Später trafen wir uns mit den anderen Leuten und bildeten eine Gruppe. Vanya ermahnte die Leute nicht zu früh auf die Nazis zuzulaufen, nur um nicht zu riskieren, dass sie zu zu früh ihre Unterzahl erkannten und dann entwischen würden. Aber die Leute konnten sich nicht zurückhalten. Zu weit waren die Nazis weg, als sie uns erblickten und flohen deshalb in Seitenstraßen und über Zäune, alle von ihnen entwischten. Ich war in schlechter Form, weshalb ich nicht so gut mit den anderen mithalten konnte. Vanya lief überhaupt nicht los, weil es für ihn aussichtslos war. Also blieben wir mit ein paar Frauen zurück, die nicht vorn dabei sein wollten, zusammen mit ihnen suchten wir die umliegenden Straßenzüge nach Nazis ab.

Am selben Abend gab es noch weitere Aktionen, einige Hintern wurden versohlt, einige weitere verpasste Gelegenheiten. Es würde nicht lohnen das en detail zu erzählen – während ich ein ungewöhnlicher Gast in dieser Gruppe war, war das Naziklatschen für Vanya so routinemäßig wie früh morgens aufzustehen. Man könnte hunderte dieser Geschichten aufzählen.

Seit dem Jahr 2000 war Vanya ein bekanntes Gesicht in der Punk-Szene. Auf Anti-Antifa-Websites sind viele Bilder von ihm veröffentlicht, auf dem ältesten Foto hatte er noch einen Irokesen-Schnitt. Er gehörte nicht zu den ersten Moskauer Antifas, die im Frühling 2002 zusammenkamen, aber als er ein oder zwei Jahre später dazu kam, blieb er endgültig.

Manchmal, nach solchen tragischen Ereignissen, scheint es zu einer regelrechte „Leichenjagd“ (body-snatching match) zu kommen, bei welcher jeder zu einem Märthyrer werden will – damals war das mit Stanislav Markelov der Fall, der, als er noch lebte, wie ein Witzbold den Anarchisten erzählte, er wäre Sozialdemokrat, und den Trotzkisten und Stalinisten, dass er ein Anarcho wäre, nur um alle zu enttäuschen.

Jede politische Zuordnung, die man Vanya jetzt noch anzugedeihen gedenkt, würde daneben gehen, weil einfach jede Gruppe oder Clique ihn als einen der Ihren begreifen würden, so gut wie jeder war von ihm angetan. Vanya selbst fühlte sich den RASH zugehörig, was die unpolitischen und patriotischen Moscow Trojan Skinheads nicht davon abhalten würde, ihn als einen der Ihren zubegreifen. Für die Anarchisten war er ein Anarcho, und das ist nicht mal falsch, denn Vanya hatte anti-autoritäre und soziale Einstellungen und war jederzeit bereit, die Anarchisten bei Veranstaltungen zu unterstützen. Aber er lebte nicht für den Aktivismus – er lebte für die Straße und für Punk Rock.

Er war scharf wie eine Rasierklinge, er beendete sein Jurastudium an der Russian State Social University mit einem „Roten Diplom“, was die größte Auszeichnung bedeutet, die ein Student aus dem ehemaligen UdSSR-Gebiet erhalten kann. Weil er einer der wenigen Juristen in der Szene war, hoffte ich manchmal, er würde sich bald zu den anderen politischen Anwälten gesellen. Stas Markelov hatte ständig Leute aus unserer Bewegung als Mandanten und konnte diese Fälle schwer allein bewältigen. Vanya und Stas kannten sich gut, und Vanya organisierte manchmal den Saalschutz für Pressekonferenzen von Stas. Meistens arbeitete Vanya aber als Anwalt im Zentrum „Deti ulitsy“ („Kinder auf der Straße“), in welchem mit Straßenkindern und anderen Kindern mit Problemen gearbeitet wird.

Natürlich werden sich einige fragen, warum er an diesem Abend zu seiner Wohnung nachhause ging, angesichts der Tatsache, dass seine Adresse nun auf Internetseiten verbreitet wurde. Vanya hielt sich häufig an anderen Orten auf. Kann sein, dass er wegen seiner Familie nachhause musste, kann aber auch sein, dass er dem Tod ins Gesicht spuckte, immerhin hatte er mehrere Mordanschläge überlebt.

Vanya wurde das erste mal im Jahr 2005 angegriffen, man zerschnitt seinen Kopf mit Rasierklingen. Der Überfall wurde damals mit einer Überwachungskamera aufgenommen und für eine Doku des Senders NTV benutzt, die man hier ansehen kann:
http://rutube.ru/tracks/663741.html?v=242f56ae5e0dca6e5c9d77cc8558fb5d

 

Darauf, im Herbst 2005, versuchten sie ihn zu töten, indem sie mit geschärften Schraubendrehern auf seinen Hals einstachen. (eine sehr populären Waffe bei den russischen Nazis, weil man damit tiefer zustechen kann, als mit einem Messer). Jeder dieser Stiche hätte tötlich sein können, aber wundersamerweise wurde keine Aterie verletzt und er überlebte. Dieser Überfall wurde auch von Überwachungskameras gefilmt, aber die Bullen waren sogar so wenig an Ermittlungen zu diesem Fall interessiert, dass sie sich nicht mal die Aufnahmen ansahen! Mehr als ein halbes Jahr dauerte es, bis Vanya wieder vollkommen genesen war.

Im Januar diesen Jahres erhielt Vanya bei einem Straßenkampf einen Messerstich in seinen Bauch. Diese Wunde war, genauso wie die anderen tödlich, aber er überlebte. Und jetzt, nachdem alles andere versagt hat, griffen die Nazis zur Schusswaffe – letztendlich haben sie ihn tot gekriegt.

S2W

Vanyas Vater verstarb vor ein paar Jahre, Vanya lebte bei seiner Mutter und seiner Schwester. Jede Spende für die Freunde oder Familie ist willkommen, um die Begräbniskosten zu decken. Ihr könnt auf das Yandexkonto 41001411894609 überweisen oder an das Anarchist-Black-Cross in Moskau http://www.avtonom.org/donate. Schreibt ihnen aber zuvor, was ihr ihnen überweist und dass es für die Freunde und Angehörigen von Kostolom gedacht ist: abc [at] riseup [dot] net