[Thiazi-Prozess] 8. und 9. Verhandlungstag

Thiazi-Pressegruppe

Auf die Einlassungen der Angeklagten Wagner, Stetefeld und Schuster bei den letzten Verhandlungstagen folgt am 8. und 9. Termin des «Thiazi-Prozesses» die Vernehmung des Kriminaloberkommissars Wagner. Für Kenner_innen rechter Szenenetzwerke ergibt sich durch seine Aussagen zwar nicht viel Neues, interessant sind jedoch einige Ausführungen zur kodierten Kommunikation der Betreuer_innen.

 

 Der 8. Verhandlungstag


Wagner führt zunächst einige grundsätzliche Erkenntnisse hinsichtlich des Aufbaus und der Struktur des Forum aus, die bereits Eingang in die Anklageschrift gefunden haben. Während der gesamten Verhandlung wird eine offline-Version der Internetseite mit dem Beamer an die Wand geworfen, anhand derer er seine Aussagen verdeutlicht. Dies führt auch zu einer geänderten Sitzordnung im Saal, so sind alle Beteiligten weiter vor in Richtung Beamer gerutscht, nur für Gäste ist die Leinwand kaum erkennbar.

 Das „Nationalsozialisten Privatforum (NSPF)"

 

Einen Schwerpunkt seiner Ausführungen setzt KOK Wagner auf das “Nationalsozialisten Privatforum (NSPF)”. Angelegt wurde das Forum von Ruthenberg, der auch in allen Themen Beiträge schrieb. Dies konterkariert frühere Aussagen Ruthenbergs, nach denen er keine Lust auf „dumme Rassisten“ gehabt habe, für welche dieses Unterforum gedacht gewesen sei. KOK Wagner berichtet nochmals, dass für die Aufnahme als Mitglied in diesen Bereich die Anerkennung des Parteiprogrammes der NSDAP Voraussetzung gewesen sei, Mitglieder außerdem durch ein Hakenkreuz unter ihrem Profilnamen erkennbar gewesen seien. Ernannt wurden sie von den beiden Bereichsbetreuern «Unduldsamer» und «Mjölnir», das letzte Wort in Streitfragen soll allerdings auch hier abermals Ruthenberg gehabt haben.
Für das Mitlesen sei eine Anmeldung mit funktionierender e-Mail-Adresse zwingend notwendig gewesen. Laut KOK Wagner soll es keine weiteren Kriterien für die Aufnahme gegeben haben. Dies ist insofern fraglich, als dass ein Leak des NSPF vom September 2010 ganz eindeutig zeigt, dass gegenüber den Bereichsbetreuer_innen deutlich dargelegt werden musste, aus welchen Gründen eine Aufnahme gewünscht ist und was die Person dafür „qualifiziert“. Nicht alle Interessierten haben diese Kriterien erfüllt, lässt sich den geleakten Seiten weiterhin entnehmen. Die Aufrechterhaltung des Mitgliedsstatus war zudem an eine ausführliche Vorstellung im Mitgliederbereich und eine aktive Beteiligung geknüpft. Die Zahl der aktiven Mitglieder beziffert KOK Wagner letztlich auf 52; dies entspricht in etwa den Zahlen, die zwischendurch immer mal wieder von «Mjölnir» veröffentlicht wurden.

 Ermittlungen gegen das «Thiazi-Forum»

 

Aufgrund der Andeutungen eines Hinweisgebers habe KOK Wagner 2009 das erste Mal in das Forum geschaut. Die Ermittlungen hätten sich seinen Ausführungen zufolge aufgrund der Benutzung von Nicknames kompliziert gestaltet, erschwert worden wären sie überdies noch durch die Anonymisierung der Betreuer_innen-Struktur. Inhalt der Ermittlungen wären nicht nur die volksverhetzenden Inhalte gewesen, sondern hätten sich beispielsweise auch auf Finanzierungswege konzentriert. An dieser Stelle fordert Ruthenbergs Rechtsanwalt Auskunft über den Hinweisgeber und fragt KOK Wagner provokativ, ob er diesen nicht einmal schnell mit dem Handy anrufen könne. Der erwidert, dass er dazu nicht aussagebrechtigt sei und er sich an einen anderen Fachbereich wenden müsse. Der Richter muss in der Folge intervenieren, um den aggressiv fordernden Anwalt zu beruhigen. Es ist nicht das erste Mal, dass Rechtsanwalt Junge durch aggressives Eingreifen in die Befragung auffällt.
KOK Wagner sieht den Reiz des Forums – wenig innovativ – in der Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten anonym austauschen zu können, begründet. Zwar sei im Forum geschrieben worden, dass Straftaten verboten seien, daran wurde sich aber aus KOK Wagners Sicht jedoch nicht gehalten. So wurden MP3-Dateien zunächst vorgespeichert und überprüft, zuweilen auch gelöscht, in den meisten Fällen, selbst wenn sie Straftatbestände erfüllten, jedoch im Sinne der „freien Meinungsäußerung“ freigegeben.
Dass es sich bei «WPMP3» um Ruthenberg handelt, könne anhand verschiedener Überwachungsmaßnahmen eindeutig bejaht werden, so seien ihm beispielsweise anhand der Internetverbindung administrative Tätigkeiten nachgewiesen worden. Die Finanzermittlungen ergaben weiterhin, dass auf Ruthenbergs Konto auffällig viele Überweisungen von 5€-Beträgen eingingen. Er sei zudem im Besitz einer Word-Datei mit den Passwörtern aller Betreuer_innen gewesen.

 „Der kräftige Typ, der schon länger nicht mehr in der Kneipe war"

 

Interessant sind KOK Wagners abschließende Worte zur abgehörten Kommunikation einiger Betreuer_innen. Sie kratzen zugleich an dem Bild, dass einige Angeklagte in ihren bisherigen Vernehmungen und Aussagen zu zeichnen versucht haben, wonach sie sich der Tragweite ihres Handelns nicht bewusst gewesen seien. Recht früh wären demnach Telefone und Internetverbindungen überwacht worden, ab 2009 pausierte die Überwachung jedoch aus nicht nachvollziehbaren Gründen. Erst 2011 wurde sie wieder aufgenommen; zu diesem Zeitpunkt nutzte Ruthenberg allerdings bereits eine VPN-Verbindung, weswegen die Ermittlungsbehörden nur wenige Gespräche mitschneiden konnten.
Im September 2011 bemüht sich Marian Rohde (alias «Krafft») offenbar um die Beantragung eines Waffenscheins, die ihm mit dem Hinweis auf ein laufendes §129-Verfahren verwehrt wird. In der Folge wendet er sich umgehend an Ruthenberg und Nicola Brandstetter (alias «Prometheusfunke»). Am Telefon benutzen sie eine Art kodierter Sprache, so wird «Krafft» als „der kräftige Typ, der schon länger nicht mehr in der Kneipe [Anm.: das «Thiazi-Forum»]“ gewesen sei, umschrieben. Die Betreuer_innen wurden als „Türsteher“ bezeichnet. Aus dem Gespräch wird auch ersichtlich, dass es für alle Beteiligten keineswegs abwegig war, dass ein §129-Verfahren gegen «Thiazi» lief.

Der Prozesstag endet mit einigen Ausführungen zur Finanzierung des Forums. Viel Neues bringt er nicht hervor, das Benutzen bestimmter Codes in Gesprächen lässt jedoch die angebliche Unbedarftheit der Angeklagten in einem neuen Licht erscheinen. Es bleibt abzuwarten, ob dies im weiteren Prozessverlauf noch eingehender thematisiert wird.

 Der 9. Verhandlungstag

 

Schwerpunkt des 9. Verhandlungstages, in dem wiederum nur KOK Wagner befragt wird, sind die Vernehmungen Ruthenbergs unmittelbar nach seiner Festnahme und einige Monate später während seiner Untersuchungshaft. Ruthenberg hatte sich nach seinen recht umfangreichen Aussagen in diesen Vernehmungen als einziger der vier Angeklagten des Prozesses während der Verhandlung bisher nicht zu den Vorwürfen eingelassen. Die Aussagebereitschaft Ruthenbergs gegenüber den Ermittlungsbehörden hat in Nazikreisen zu deutlichem Unmut geführt. In der Folge wurden im Juni 2013 Teile der Akten auf einschlägigen Neonaziportalen geleakt. KOK Wagners Ausführungen beziehen sich auf diese Aussagen.

 Der Anführer des «Thiazi-Forums»

 

KOK Wagner schildert zunächst einige biografische Fakten Ruthenbergs. So sei dieser im Alter von 14 Jahren aufgrund familiärer Probleme mit seiner Mutter zu Hause ausgezogen und habe in der Folge auch in Abrisshäusern gelebt. Nach seinem Realschulabschluss habe er eine Ausbildung zum Erzieher gemacht und später in dieser Funktion in der Barther Villa Kunterbunt gearbeitet, wo niemand etwas von seiner Tätigkeit als Kopf des größten deutschsprachigen Neonazi-Forums gewusst haben will. Ruthenberg sagt in den Vernehmungen aus, nicht direkt in die Szene eingebunden gewesen zu sein, früher hätte er aber Rechtsrockkonzerte besucht. Von außen wäre er vermutlich als „rechts“ bezeichnet worden, er selbst sah sich als „Freidenker“. Aus dieser Zeit stamme auch das „Hass“-Tattoo auf seiner Hand.

Die Abspaltung von «Skadi.net» sei Ruthenberg zufolge auf „seinem Mist“ gewachsen, mehrfach habe er sich als Anführer des Forums bezeichnet, dass er mit anderen betrieben habe. Er sei Admin geworden, damit das Forum weiterbestehen könne, und habe sich selbst als „Sozialarbeiter der Rechten“ gesehen, „die im Forum mit Worten ihren Frust raus lassen konnten und nicht mit Gewalt“. Ab 2008 habe er den Nickname «WPMP3» genutzt, der zuvor auch gebraucht wurde.
In dieser ersten Vernehmung war Ruthenberg offenbar auch noch darauf bedacht, keine weiteren Nicknames und Klarnamen zu nennen, als die, die ohnehin schon bekannt waren. Im weiteren Verlauf werden nochmals zentrale Inhalte der Vernehmung wiedergegeben, die allerdings bereits am Vortag besprochen wurden. Explizit verdeutlicht wird die Machtfülle und Vorgehensweise Ruthenbergs im Forum und seine intensive Beschäftigung mit Forenthemen, so habe er sich beispielsweise immer die neuesten Beiträge angeschaut und gegebenfalls kommentiert.

Im Fokus der zweiten Vernehmung hätte dann die Auswertung der Asservate gestanden. Zu diesem Zeitpunkt habe Ruthenberg auch weitere Klarnamen genannt, sofern er sie – seiner Aussage nach – kannte, die dann mit den jeweiligen Nicknames zusammengeführt wurden. Inwiefern er tatsächlich nicht alle Betreuer_innen zumindest namentlich kannte, bleibt fraglich. Ruthenberg beteuert in dieser zweiten Vernehmung darüber hinaus, er sei weder Rassist noch Antisemit, es sei ihm aber bewusst gewesen, dass er Straftaten beging.
Auch auf Daniela Wagner kommt er zu sprechen; so sei diese zwar schwerpunktmäßig für die Technik zuständig gewesen, zuweilen aber auch inhaltlich in die Umsetzung von Ideen, wie beispielsweise die Indexliste, eingebunden gewesen.

Zum Ende des Prozesstages führt Richter Goebels einige Urkunden, Ausdrucke des BKA, verschiedene Beiträge des Forums und Dateien von Ruthenbergs PC, ein, die u.a. Ausführungen zum Jugendschutz, eine Übersicht der Mitarbeiter_innen, den Betreuerleitfaden und eine Kommunikation zwischen Ruthenberg und Reinhard Damberger (alias «Weddigen»), zum Inhalt haben. Nach zwei Stunden endet auch dieser Prozesstag wenig erkenntnisreich. Alle bisher vorgetragenen Aspekte stützen lediglich die in der Anklageschrift genannten Punkte. Es bleibt dennoch zu hoffen, dass die nächsten Verhandlungstage neue Erkenntnisse hervorbringen werden. So sind für die kommenden Prozesstage am 10. und 11. März 2015 unter anderem Marian Rohde (alias «Krafft») und Mario Eberhardt (alias «Gilgamesch») geladen.

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Zitat:

"Ruthenberg hatte sich nach seinen recht umfangreichen Aussagen in diesen Vernehmungen als einziger der vier Angeklagten des Prozesses während der Verhandlung bisher nicht zu den Vorwürfen eingelassen"

 

Er hat doch eine umfangreiche Stellungnahme von 13 Seiten zu Beginn des 8. Verhandlungstages vorgelesen. 

Auch eine weitere, umfangreichere Einlassung von Wagner fehlt in dem Bericht. 

 

Die Aussagen waren, wie ich finde, sehr aufschlussreich (zumindestens für die Beweggründe so ein Forum zu leiten) 

du scheinst den prozess ja auch zu verfolgen. ich weiss nicht warum die das nicht mit aufgenommen haben, aber du kannst ja ergänzen, wenn deiner meinung nach sachen fehlen.

Es fehlen entsprechende Teile im Bericht, weil niemand der Presseleute währenddessen (Beginn der Sitzung) anwesend war, sondern erst später jemand erschienen ist. Vielleicht wäre es im Sinne einer objektiven Berichterstattung gut gewesen, auf diesem "Mangel" hinzuweisen...

Mir wäre der Prozess, wie schon jemand vorher schrieb, auch zu zeitfressend und nicht wichtig genug um Tage dort zu verbringen und die Zeit für diese Prozessberichte würde mir woanders fehlen. Aber meinen Respekt für die faire und gute Berichterstattung. Es fällt auf dass ihr nicht die Nazikeule schwingt und recht objektiv berichtet. Man soll und muss diese Nazis nicht mögen aber kann dennoch respektvoll damit umgehen. Ich frage mich nur wozu so viele Verhandlungstage notwendig sind wenn eigentlich nur wiederholt und bewiesen wird was bereits bekannt ist und in Aussagen schon zugegeben wurde.

Man soll und muss diese Nazis nicht mögen aber kann dennoch respektvoll damit umgehen. Ich frage mich nur wozu so viele Verhandlungstage notwendig sind wenn eigentlich nur wiederholt und bewiesen wird was bereits bekannt ist und in Aussagen schon zugegeben wurde.

 

Ich glaube kaum, dass die Berichterstattung aus Respekt vor "diesen" Nazis so sachlich ist.

"Bereits bekannt" und ein gerichtsverwertbarer BEWEIS sind 2 verschiedene Dinge. Deshalb sind es so viele Verhandlungstage.

Wäre auf jeden Fall nicht verkehrt das weiter zu verfolgen,

ist der nächste, hier ankegündigte Termin (10./11.03.) bereits dokumentiert (bzw veröffentlicht) 

Und wo gibt es einen Überblick zu den übrigen, noch ausstehenden Terminen, wenn das nicht zu viele Umstände macht.

 

Ansonsten Respekt und Dank für die Zeit, die ihr euch nehmt!