"Ruhe und Ordnung" - junge Männer im deutsch-nationalen Freikorps Halle

Erstveröffentlicht: 
16.02.2015

Wiederentdeckter Roman von Ernst Ottwalt schildert Bürgerkrieg in Mitteldeutschland bis 1921

Von Jan Emendörfer


Von der Penne in die Kaserne. Uniform, Stahlhelm und Karabiner versprechen Macht und Autorität. Stiefel klappern auf Kopfsteinpflaster, erregte Nerven sind mit Schnaps zu beruhigen und am Freitag geht es in den Puff.


Der 17-jährige Pfarrerssohn Ernst Gottwald Nicolas hat sich in den Novemberwirren des Jahres 1918 in Halle an der Saale freiwillig zum Freikorps gemeldet. Der Kaiser ist weg, der Krieg verloren, eine wackelige Republik versucht sich in die Demokratie vorzutasten und linke Arbeiter und Soldaten wollen eine Räteregierung. Eine Demonstration löst die andere ab, es gibt Streiks und Plünderungen, Frauen schlagen sich vor Bäckerläden um Brot. Die bürgerlichen Elternhäuser der Primaner, die Direktoren und Lehrer, die Advokaten und Handwerker fürchten um ihre Zukunft. Schnell wird der Ruf nach "Ruhe und Ordnung" laut.


Der junge Nicolas bezieht für das nationalistische Freikorps Halle Position - zunächst auf einem Strohsack in einer Brotfabrik. Es gibt viel Langeweile, reichlich Verpflegung und auch ordentlich Geld. Immer in bar, ohne Quittung. Dafür marschieren Nicolas und seine Kameraden von den selbst ernannten "Regierungstruppen" nachts los, durchkämmen Arbeiterwohnviertel nach Waffen oder machen Jagd auf "Plünderer". Der Schneider Wiemann, ein schwächlicher Typ, hat keine Erklärung dafür, woher der Teppich unter seinem Bett stammt. Er muss ihn vor den bewaffneten "Ordnungshütern" schultern und durch das nächtliche Halle schleppen - hustend, schwitzend. Und "über sein kümmerliches kleines Gesicht laufen die hellen Tränen". Das sind die Momente, wo Nicolas weich wird, wo er Mitleid bekommt. Aber ein im Weltkrieg gestählter Unteroffizier reißt ihn wieder hoch: Du bist doch Soldat, die Plünderer sind doch Schweine, wir sind doch da für "Ruhe und Ordnung". Mal im Auftrag alter Militärs, mal im Auftrag der Kapp-Putschisten, dann sogar für die Republik im Auftrag von SPD-Reichswehrminister Gustav Noske. Junge Leute als Landsknechte, die man immer einsetzen kann.


Unter dem Namen Ernst Ottwalt schreibt Nicolas später auf, wie er den Bürgerkrieg in Mitteldeutschland bis in das Jahr 1921 hinein erlebt hat. Sein erstmals 1929 im Malik-Verlag erschienener Bericht "Ruhe und Ordnung" besticht durch die schnörkellose Authentizität. Ottwalt entrollt kein großes literarisches Panorama mit vielen Personen und Handlungsebenen wie etwa Hans Fallada (1893-1947) in "Wolf unter Wölfen". Ottwalt schreibt eher journalistisch, reportagemäßig, faktenorientiert - was den halleschen Literaturwissenschaftler Christian Eger nicht davon ­abhält, "Ruhe und Ordnung" als den "bedeutendsten Halle-Roman des 20. Jahrhunderts" zu loben - vor Christa Wolfs "Der geteilte Himmel" (1963).


Eger, Redakteur bei der Mitteldeutschen Zeitung in Halle, hat als Herausgeber gekämpft um diesen Ottwalt, der vom Freikorpssoldaten zum Kommunisten mutierte, sich zu einem bedeutenden linken Autor der Weimarer Republik hochschrieb (u.a. Drehbuch für "Kuhle Wampe" mit Bertolt Brecht und Slatan Dudow) und dann als "Spion" und "Feind" 1943 in einem stalinschen Straflager - mutmaßlich bei Archangelsk - umgekommen ist. Dieses Leben, dieses Auf und Ab - das war zu radikal für die DDR; Ottwalts Bücher ("Denn sie wissen was sie tun"), die in der Nazizeit verbrannt worden waren, durften auch im "sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat" nicht erscheinen.


Eger hat ein ausführliches Nachwort verfasst, Dokumente und Fotos zusammengetragen und lässt so Ottwalts Werk in einer Neuausgabe auferstehen. Das Buch hat es verdient und passt in die Zeit, zeigt es doch in diesen Tagen der Pegida- und anderer Bewegungen wie junge Männer missbraucht werden können: Finstere Mächte, die über Geld und Einfluss verfügen, locken mit Aben­teuer, Männlichkeit und Korpsgeist