Erdogans Ankara im Osmanen-Fieber

Erstveröffentlicht: 
22.12.2014

Die islamistische Regierung der Türkei will eine Rückbesinnung auf ruhmreiche Zeiten.

Erdogan will für die Oberstufen die osmanische Hofsprache als obligatorisches Schulfach einführen.

Von Thomas Seibert, Istanbul.

n aller Welt bemühen sich Bildungs­behörden, den Kindern ihrer Länder so gut wie möglich Englisch oder andere moderne Weltsprachen beizubringen. In der Türkei dringt die Regierung unterdessen darauf, die junge Generation eine vor hundert Jahren abgeschaffte Hofsprache lernen zu lassen, die im 21. Jahrhundert weder grosse Erkenntnisgewinne noch eine besonders gute Vorbereitung auf die Herausforderungen der neuen Zeit verspricht.

 

«Ob sie wollen oder nicht – sie werden Osmanisch lernen», sagt Präsident Recep Tayyip Erdogan über die rund 17,5 Millionen Schüler in seinem Land. Erdogan, der keine einzige Fremdsprache spricht, hat die Sprache des 1918 untergegangenen Osmanischen Reiches zu einer Priorität erklärt.

 

Grosse Pläne

 

Die türkische Bildungskonferenz, ein Treffen von Politikern, Lehrern und Experten, beschloss kürzlich, das Osmanische auf die Lehrpläne der religiösen Imam-Hatip-Gymnasien zu setzen. Die Imam-Hatip-Schüler machen weniger als zehn Prozent aller türkischer Gymnasiasten aus. Doch wenn es nach Erdogan geht, sollen in Zukunft alle Oberschüler Osmanisch pauken. Allein durchsetzen kann er die Reform nicht, doch die Bildungskonferenz ist mehrheitlich mit seinen Anhängern besetzt.

 

Dabei geht es dem Präsidenten nicht so sehr um das linguistische Erbe. Die Initiative ist Teil eines Programms, mit dem Erdogan eine Rückbesinnung auf islamische Wurzeln fördern will. Das Osmanische, eine Form des Türkischen mit vielen arabischen und persischen Lehnwörtern und mit arabischer Schrift, war in den 1920er-Jahren von Mustafa Kemal Atatürk durch das moderne, mit lateinischen Buchstaben geschriebene Türkisch ersetzt worden.

 

Die Zeit des Osmanen-Reiches als angeblicher Ära von Frieden und Harmonie spielt bei den Bemühungen der islamisch-konservativen Regierung um eine Festigung einer muslimisch geprägten Identität der Türken schon seit Längerem eine grosse Rolle. In Istanbul liess die Stadtverwaltung ein Panorama-Museum zum Thema der Eroberung der Stadt durch Osmanen-Sultan Mehmet II. im Jahr 1453 bauen.

 

Erdogan und sein Ministerpräsident Ahmet Davutoglu verweisen häufig auf die Osmanenherrschaft im Nahen Osten als Beispiel für ein vorbildhaftes Zusammenleben der Angehörigen verschiedener Religionen. Nicht nur türkische Politiker sind fasziniert von der guten alten Zeit. Im türkischen Fernsehen locken Serien über das Leben am Hof Millionen vor die Bildschirme.

 

Zurück zur alten Schrift?

 

Erdogans Forderung bildet eine neue Stufe der Osmanen-Verherrlichung. Die Websites regierungsnaher Zeitungen bieten ihren Lesern bereits die Übersetzung ihrer Namen ins Osmanische an. Die Opposition argwöhnt unterdessen, dass Erdogan die vor 90 Jahren abgeschaffte arabische Schrift wieder einführen und damit die Reformen Atatürks zum Teil wieder aufheben will. Dass bei einigen Osmanisch-Befürwortern eine deutliche Abneigung gegen den Staatsgründer besteht, ist unübersehbar. Der islamistische Intellektuelle Ümer Tugrul Inancer sagte, mit Atatürks Sprachreform seien die Türken behandelt worden wie Hunde.

 

Allerdings haben weder Erdogan noch die regierungstreuen Bildungspolitiker bisher erklären können, welcher Stoff im Fach «Osmanisch» überhaupt gelehrt werden soll. Die osmanische Hofsprache ist ein hochkompliziertes Gebilde, das nur von wenigen Experten beherrscht wird. Das Verhältnis zwischen dem Osmanischen und dem modernen Türkisch sei vergleichbar mit dem zwischen dem mittelalterlichen Englisch mit seinen vielen französischen Lehnwörtern und dem modernen Englisch, schrieb der Journalist Semih Idiz kürzlich.

 

Einige Beobachter wie Idiz plädieren dafür, die osmanische Sprache zum Wahlfach zu machen, um die Erforschung osmanischer Dokumente zu erleichtern, die bisher ungelesen in den Archiven lagern. Doch ein Pflichtfach daraus zu machen sei angesichts der Bedürfnisse der modernen Türkei und ihrer Wirtschaft kontraproduktiv, schrieb der Wirtschaftskolumnist Emre Deliveli. Wenn Erdogan wirklich wolle, dass türkische Schüler eine Fremdsprache lernen, dann solle er es einmal mit Englisch versuchen, kritisierte Deliveli: Derzeit bilde die Türkei in Sachen Englischkenntnissen das Schlusslicht in Europa – und die Osmanisch-Debatte verhindere eine Diskussion über die wirklichen Probleme im türkischen Bildungssystem.