Wolja: 1.Mai-Ausgabe

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Editorial: Bewegung aus Elend – Einige Anmerkungen aus gegebenem Anlass

Diese Ausgabe von Wolja widmet sich den großen und kleinen Fragen rund um das Spektakel des 1. Mai. Es ist eine Sammlung von alten und neuen Texten. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, denn in der Vergangenheit wurde eine so große Zahl an Überlegungen zum 1. Mai zu Papier gebracht, dass diese bereits einen Teil der Fragen aufbringen, die wir uns in diesem Zusammenhang stellen. Auch wenn nicht alle Texte im Tonfall, der Analyse und der Perspektive gleich sind, so vereinen sie doch die Kritik an einem Ereignis, das innerhalb der Linken und für viele AnarchistInnen fast schon als Heiligtum betrachtet wird. Umso wichtiger also, dieser Glut mehr Luft zu geben, auf dass sich das Feuer verbreiten mag.

 

Einige Texte sprechen das aktuelle Elend der Mayday Parade an, die seit einigen Jahren in Wien zelebriert wird. In diesem Zusammenhang wurde in der Vergangenheit immer wieder Kritik laut, doch recht viel mehr als verhaltener Groll kam auch in dieser Auseinandersetzung nicht zustande. Der Versuch, der hier unternommen wird, soll aber nicht falsch verstanden werden. Es gibt keine großen Erwartungen, die hier erfüllt werden sollen. Denn ich denke, es wurde in dieser Frage schon alles gesagt, geschrieben und diskutiert. Die Schwäche liegt nicht darin, dass keine Überlegungen angestellt wurden, sondern dass wir nicht fähig waren und sind, außerhalb dieses Datums eine Kontinuität innerhalb bestehender Spannungen zu realisieren. Deshalb soll dies kein neuer Vorschlag, keine neue Perspektive für den ersten Mai sein, sondern eine Absage an das Elend, in das sich ein guter Teil der antiautoritären Bewegung (ich nenne es so, bin mir daneben aber der Fragwürdigkeit dieser Bezeichnung bewusst) hinein manövriert hat. Auch soll hier kein falsches Bild über etwaige Perspektiven entstehen. Es geht hier weder darum, ein neues Kampfkonzept für den 1. Mai zu entwickeln, noch sich an die Spitze dieses bestehenden Zirkus zu installieren, um innerhalb der Debatten an Raum zu gewinnen, der dann mit unseren Inhalten gefüllt werden kann. Ich sehe in dieser Frage keinen Boden, der in subversiver Haltung beschritten werden kann, sondern lediglich eine Unzahl von sozialdemokratischen Verlängerungen mit antiautoritärem Antlitz. Angesichts der Flut an Aufrufen, die in den letzten Wochen alleine im deutschsprachigen Raum zu lesen waren, ist davon auszugehen, dass diesen Job schon Andere für sich entdeckt haben, die sich um diese Sache Jahr für Jahr mit besonders großer Motivation annehmen.

 

An den älteren Texten, die sich in diesem Heft finden, können wir sehen, dass es die Kritik am 1. Mai und der Haltung, die von RevolutionärInnen innerhalb dieses Kampfes entwickelt wurde, so alt ist wie dieser Tag als traditionelles Datum der ArbeiterInnenbewegung selbst. Erschreckend, dass diese Zeilen oft sehr treffend die heutigen Zustände rund um den 1. Mai in Wien beschreiben könnten. Ich denke speziell daran, dass an diesem Tag in Wien wohl eher gefeiert, gesoffen und konsumiert wird als reale Interventionen in Betracht zu ziehen. Damit folgen alle dem Ruf der Politik zum freudigen Fest. Wenn auch die aktuelle Situation nicht den damaligen Verhältnissen entspricht, so sehe ich doch eine Wahrheit, die wir als AnarchistInnen quer durch die Zeit und an allen möglichen Orten dieser Welt teilen: die Ablehnung jeglicher Form der Herrschaft. Und das egal in welcher Form sich diese manifestieren mag. Welche Wege und Nischen sie befällt und welcher Mittel sie sich bedient. Ob sie uns nun offen und brutal begegnet wie der Polizist, der Faschist oder das Militär oder sich zu uns zu gesellen versucht, in den Kleidern der GenosseInnen, als PolitikerInnen, OrganisatorInnen und BeschwichtigerInnen in den eigenen Reihen. Es gibt verschiedene Ausgangspunkte, von wo aus AnarchistInnen und andere Antiautoritäre das Spektakel des 1. Mai kritisieren. Sei es nun die Loslösung von den Ursprüngen und historischen Dimensionen oder die Verkrüppelung eines Kampftages zum Feiertag, ob es die Vereinnahmung durch die Sozialdemokratie und die Huldigung an die Arbeit ist oder die bewussten und unbewussten Versuche, die Revolte auf ein regelmäßiges Datum zu zentralisieren. Ich teile viele dieser Kritikpunkte, doch hier will ich lediglich sehr kurz einige Dinge ansprechen, die diese Punkte streifen.

 

Was für die einen der/die ArbeiterIn ist, ist für die anderen der/die Arbeitslose. So wie die einen das Proletariat beschwören, haben wieder andere im Prekariat eine neue Identität entdeckt. Und dennoch unterliegen alle demselben Widerspruch, denn sie verbleiben innerhalb der Logik der Reproduktion. Der dezentralisierte Kapitalismus stellt vor allem auch alle revolutionär gesinnten Individuen auf eine Probe. Dass bewährte Kampfmethoden nicht mehr so funktionieren wie vor 100 Jahren, wenn wir davon ausgehen, dass sie damals ‘funktioniert’ haben, ist wohl an der immer größeren Irrelevanz der Linken und am Zusammenrücken von Politik und Antiautoritärer Bewegung abzulesen. Die Widersprüche, die nicht nur im Festhalten an überholten Modellen des sozialen Kampfes bestehen, sondern auch am Negieren der Tatsache, dass sich das Kapital ‘fluider’ konstituiert hat, sowie dem völligen Verlust von Boden innerhalb der sozialen Frage, wie auch der Fähigkeit in bestehenden Kämpfen auf unmittelbare und subversive Art und Weise zu intervenieren, können nicht durch veränderte Forderungen oder einer Neuauflage des revolutionären Subjektes vom Tisch gewischt werden. Die Erforschung von neuen/alten agileren und lebensnäheren Formen des Kampfes setzen eine Analyse der Grundlagen des Kapitals und dem Wesen der Macht sowie des Konfliktpotenzials, das innerhalb verschiedener sozialer Antagonismen zu existieren scheint, voraus.

 

Ausgerüstet mit dem Wissen um die Gegebenheiten und dem Verständnis vom Boden, auf dem wir kämpfen können, ist es uns möglich, den Konflikt mit der Autorität außerhalb des verwalteten Spektakels zu entfesseln. Was aktuell passiert, ist, dass viele radikale Linke und Antiautoritäre lediglich ihre Forderungen nach noch mehr Arbeit und noch mehr sozialer Befriedung umformuliert haben. Beziehungsweise, dass sie nach einer subtileren Form der Arbeit, einer abgeschwächten, betäubten Form des Zwanges verlangen. Von der Klassengesellschaft oder dem Staat, der dies aufrecht erhält, wird dabei nicht mehr gesprochen. Statt dessen herrscht allgemeine Rückzugsstimmung, und das Einnisten in partielle Ghettos wird betrieben. Am Beispiel des 1. Mai lässt sich gut erkennen, wie die radikale Linke immer mehr in sozialdemokratische Gewässer treibt. Jene Forderungen nach mehr Beteiligung, Mitbestimmung und Beachtung markieren nicht erst den Anfang vom Ende, sondern sind längst schon im Elend angekommen. Wenn sie also wieder einmal ihre ideologischen Leichen zur Schau stellen, dann sind das alles nur Vorwände, um sich mit der essentiellen Frage des realen Kampfes nicht aufreiben zu müssen. Das Elend, von dem hier gesprochen wird, soll auch nicht falsch verstanden werden. Es ist nicht so sehr das materielle Elend, mit dem wir hier konfrontiert sind. Wir leiden keinen Hunger, so wie dies in andern Gegenden der Welt oder in der Vergangenheit der Fall war. Wir verrecken auch nicht mehr an Tuberkulose in den Kerkern der herrschenden Klasse, so wie wir dies aus einem historischen Abstand aus den Überlieferungen aus andern Jahrhunderten wissen. Unser Elend ist jenes unserer Beziehungen zueinander, es ist das Elend der Verweigerung der Realitäten. Es ist das Vorbeiargumentieren an jenen Fragen, die für die Zerstörung der Macht essentiell wären. Es ist das Elend, das zu dem Trugschluss geführt hat, dass ein voller Bauch und eine halbwegs ‘gesicherte’ reproduktive Tätigkeit bereits der erste Schritt in Richtung Freiheit seien. Die Tatsache, dass sich das verwaltete Spektakel in alle unsere Beziehungen und Sphären des sozialen Lebens eingeschlichen hat, bedeutet auch, dass sich die allgemeinen Formen des Widerstandes und des Protestes auf diese Art zeigen und deren Gestalt angenommen haben. In der Form der Parade, des kreativen Protestes, in all jenen Formen, die die Absicht der Zerstörung hinter sich gelassen haben, um im Sinne des demokratischen Zirkus eine verallgemeinerte Form des spektakulären Elends für alle zu schaffen. Egal welche Hautfarbe, welches Geschlecht oder Dekonstruktionen dieser Verhältnisse wir unterliegen, alle sollen den gleichen Anspruch auf eine gerechtere Form der Ausbeutung haben, und das innerhalb des sozialsten Käfigs, den wir uns nur vorstellen können. Alles für alle...

 

Wir fordern nicht nach mehr Arbeit, auch nicht nach gerechterer Arbeit, dies sind Fragen mit denen wir uns nicht aufhalten können. Denn in einer Gesellschaft, in der ein absoluter Zwang rund um die Identifikation mit der Reproduktion besteht, sei es als Arbeiter, Arbeitsloser, Student, Schüler, etc. gibt es für uns keinen Platz, an dem wir frei durchatmen könnten. Die Verweigerung diesem Leistungsfetischismus gegenüber funktioniert nicht auf passive Art und Weise, sondern nur durch das ständige Vorantreiben der Konflikte und Spannungen, die rund um die Logik von Verwertung, Kontrolle und Zwang entstehen. Nieder mit allen Formen der Arbeit!

 

AnarchistInnen auf dem Weg zu neuen Horizonten...

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gute textesammlung gegen die arbeit

 

(a)

Coole Sache, dass ihr altes Zeug wie diese Texte aus diesem "Communist" und dem "Lumpenproletarier" aufgetrieben habt. Das beweist mir wieder mal, dass die deutschsprachigen AnarchistInnen einmal Biss hatten und nicht immer eher sozialdemokratische Halb-Christen Marke Landauer oder Ramus oder Syndikalisten waren. 

Stephan Grigat: Arbeitet niemals!

Gruppe Krisis: Manifest gegen die Arbeit.