Todesstrafe USA - neue Entwicklungen

Lynch-Justiz

In dieser Woche gab es in den USA mehrere einschneidende Entwicklungen im Kampf um die Abschaffung der Todesstrafe.
Während die erste Hinrichtung einer weiblichen Gefangenen in Mississippi seit 70 Jahren (1) zunächst abgesetzt wurde, erlitten die Bundesstaaten Texas und Oklahoma ernste juristische Niederlagen. Sie wurden gerichtlich verpflichtet, ihre Lieferanten öffentlich zu benennen, von denen sie in der jüngeren Vergangenheit Chemikalien für Hinrichtungen erworben haben (2).

 

Hintergrund dieses Schrittes sind die inzwischen recht erfolgreichen Bestrebungen der Anti-Todesstrafen Bewegung, Pharma Konzerne durch öffentliche Skandalisierung von einer Beteiligung an der staatlichen Ermordung von Gefangenen abzubringen. Während europäische Pharma Konzerne in der Vergangenheit mehrfach dabei überführt wurden, indirekt an den Hinrichtungen in den USA beteiligt gewesen zu sein (3), haben US Hersteller*innen ihre Zusammenarbeit mit den staatlichen Henker*innen eingestellt. Nach heftigen Protesten besteht inzwischen auch ein Exportverbot solcher Chemikalien aus der EU in die USA.

Bereits vor einigen Wochen hatte ein Gericht in Louisiana fehlende Transparenz des staatlichen Todestrakts bemängelt und eine Offenlegung der Lieferquellen angeordnet . Im Bundesstaat Georgia hat eine ähnliche juristische Auseinandersetzung gerade begonnen.

Doch unterschiedliche Behörden reagieren seit längerem auf die durch Boykotte und Lieferendvertragsregelungen entstandenen Engpässe in den Todestrakten. In Arizona sollen Gefangene zukünftig mit einem Zwei-Gifte Cocktail statt den vorherigen drei ermordet werden (4). Die neuen Bestandteile werden nun ein Valium-ähnliches Präparat namens Midazolam und ein Morphin Derivat namens Hydromorphon sein. Ein erster US-Hersteller hat bereits angekündigt, sich nicht an der kommerziellen Verwendung seiner Produkte für Hinrichtungen beteiligen zu wollen.

In Tennessee sollen Hinrichtungstermine in Zukunft (ähnlich wie z.B. in Japan üblich) geheim gehalten werden, um die Todesstrafe generell aus der öffentlichen Kontroverse heraus zu halten, in der sie (sicherlich regional unterschiedlich) derzeit steckt (5).

Ungeachtet der steigenden Ablehnung der Todesstrafe versuchen in Nebraska Kandidat*innen der Republikanischen Partei, mit "Law And Order" und "Tough On Crime" zu punkten, als ob diese Slogans inzwischen nicht bei vielen jede Glaubhaftigkeit verloren hätten. So suchen sie in Wahlkampfdebatten öffentlich nach neuen Hinrichtungsmethoden, um die Giftspritzen Cocktails abzulösen. Letztere stehen seit einigen Jahren massiv in der Kritik, weil sie die Gefangenen einem langsamen Erstickungstod aussetzen. Da sie zuvor bewegungs- und regungsunfähig gespritzten werden und keine Schmerzen artikulieren können, galt diese Methode in den Medien lange als "humanes Töten".

In einem Bericht von Amnesty International wurde in dieser Woche ein weltweiter Anstieg staatlicher Hinrichtungen im Vergleich zum Vorjahr festgestellt. Amnesty stellte wie in jedem Jahr auch eine statistische Auflistung der Henker-Staaten auf. Danach standen die USA 2013 an 4. Stelle hinter China, Iran und Irak (6).

Als sich die US-Regierung am vergangenen Dienstag entsetzt über die 527 Todesurteile in Ägypten zeigte, verwunderten Beobachter*innen vor allem ihre Begründung: diese Prozesse entsprächen nicht internationalen Regeln.

Zwar dauert ein Todesstrafen-Verfahren in den USA deutlich länger als die zwei Gerichtstage in Kairo, aber es wird seit vielen Jahren kritisiert, dass Angeklagte mit geringem oder gar keinem Einkommen und Herkunft aus gesellschaftlichen Minderheiten völlig chancenlos sind. 2/3 aller Todestrakt Gefangenen in den USA sind People Of Color, obwohl sie insgesamt nicht einmal 20% der US Bevölkerung ausmachen.

Die Todesstrafe ist in jedem Land, in dem sie angewandt wird, nichts anderes als ein Terrorinstrument gegen die eigene Bevölkerung. In den USA dient sie vor allem dazu, die aus der Sklaverei entstandene Vormachtstellung der weißen Bevölkerung zu sichern. Ihre Wiedereinführung im Jahr 1976 fiel zusammen mit dem Aufbau einer staatlich/privaten Gefängnisindustrie, die inzwischen zu einer Masseninhaftierung führte (7).

Diese "Law And Order Politik" war eine Antwort auf die Befreiungsversuche von People Of Color in den USA, die ihren Ausdruck seit 1945 zunächst in der Bürgerrechtsbewegung, später u.a. den Black Panthers bis hin zu Stadtguerilla-Gruppen fanden,  worauf US Autor*innen wie Michelle Alexander, Mumia Abu-Jamal, Angela Davis, Dan Berger (8) u.v.a. immer wieder aufmerksam machen.

Ähnlich wie die Gefängnisindustrie ist die Todesstrafe in den USA aktuell unter der stärksten Kritik seit ihrer Wiedereinführung 1976. Sollte es dort gelingen, sie endgültig abzuschaffen, wäre das ein großer Erfolg für Gefangenenrechte und den Spielraum sozialer Kämpfe generell.



(1) Court declines to set execution date for Michelle Byrom http://www.sunherald.com/2014/03/27/5449914/court-declines-to-set-execut...

(2) Judges: Texas and Oklahoma Must Lift Veil of Secrecy on Execution Drug Suppliers (March 27, 2014) http://www.thenation.com/blog/179055/judges-texas-and-oklahoma-must-lift...
Oklahoma Told It Can’t Shield Suppliers of Execution Drugs (March 26, 2014) http://www.nytimes.com/2014/03/27/us/oklahoma-told-it-cant-shield-suppli...

(3) gemeint sind hier z.B. die Pharma Konzerne Novartis, Lundbeck oder Fresenius Kabi - eine kurze Artikelauswahl auf Indymedia:
Todesstrafe mit der Giftspritze (20.02.2013)  http://de.indymedia.org/2013/02/341829.shtml
Todesstrafe USA - Suche nach Gift geht weiter  (28.01.2012)  http://de.indymedia.org/2012/01/323842.shtml
Dänische Firma: Hinrichtungsgift für USA (04.04.2011) http://de.indymedia.org/2011/04/304028.shtml

(4) Arizona switches drugs used for executions (March 27, 2014) http://deathpenaltynews.blogspot.co.at/2014/03/arizona-switches-drugs-us...

(5) Tennessee plans executions in secret (March 23, 2014) http://www.tennessean.com/story/news/crime/2014/03/23/tennessee-plans-ex...

(6) The U.S. Ranks 4th in the World for Executions—Behind China, Iraq and Iran  (March 27, 2014) http://www.alternet.org/investigations/shameful-us-ranks-4th-world-execu...

(7) Gefängnisindustrie - ein Referat von 2012 über Entstehung und aktuelle Dimension in den USA sowie Ausblick auf Europa (vom Berliner Free Mumia Bündnis) http://mumia-hoerbuch.de/text/Gefaengnisindustrie+USA+BRD_Nov_2012.pdf

(8) eine kurze Bücherliste:
Michelle Alexander:  "The new Jim Crow: Mass incarceration in the age of colorblindness" -  weitere Infos http://newjimcrow.com/
Mumia Abu-Jamal: "We Want Freedom" http://www.unrast-verlag.de/gesamtprogramm/allgemeines-programm/antirass... und "Jailhouse Lawyers" http://www.unrast-verlag.de/gesamtprogramm/allgemeines-programm/antirass...
Angela Davis: "Eine Gesellschaft ohne Gefängnisse? Der gefängnisindustrielle Komplex der USA". ISBN 3-937623-32-9
Douglas A. Blackmon: "Slavery By Another Name" Anchor Books 2008 - ISBN 978-0-385-72270-4
Dan Berger:  "The Struggle Within: Prisons, Political Prisoners, and Mass Movements in the United States" - weitere Infos http://secure.pmpress.org/index.php?l=product_detail&p=632

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Noch am Freitag (28.03.2014) stoppte der Texanische Oberste Gerichtshof das Urteil, wonach der Staat die Quelle seiner Giftspritzen Chemikalien offenlegen muss:

 

Texas high court halts execution-drug disclosure
http://www.chron.com/news/houston-texas/houston/article/Texas-high-court...

 

Auf einer heute (31.03.2014) beginnenden us-weiten Apotheker*innen Tagung ist ein Ende der Zusammenarbeit mit den staatlichen Henker*innen ebenfalls Thema:

 

Lethal Injection Executions Could Stop Today (March 31, 2014)

http://www.huffingtonpost.com/angus-wong/lethal-injection-executio_b_505...

Texas Won’t Say How They Killed A Man Last Night
By Nicole Flatow    on April 4, 2014 at 9:00 am

 

http://thinkprogress.org/justice/2014/04/04/3422854/texas-executes-man-u...

 

Rechtsstaat...