Abhören in der EU jetzt grenzenlos

Erstveröffentlicht: 
24.03.2014

Anordnungen von Hausdurchsuchungen, Spitzeleinsätzen, Telekommunikationsüberwachung, Trojanern und zur Aufhebung des Bankgeheimnisses sind nun unter allen EU-Mitgliedstaaten möglich Weitgehend unbeachtet hat das EU-Parlament Ende Februar eine weitreichende Richtlinie beschlossen, um die Zusammenarbeit Ermittlungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten zu vereinfachen. Der nun verabschiedete Gesetzentwurf einer "Europäischen Ermittlungsanordnung" regelt die grenzüberschreitende Anordnung von Zwangsmaßnahmen. Sofern das eigene Recht dies erlaubt, dürfen Anträge ausländischer Behörden nicht mehr abgelehnt werden. Der Erlass der Richtlinie war 2009 im Fünfjahresplan "Stockholmer Programm" festgeschrieben worden.

 

Mit nur 22 Gegenstimmen und 10 Enthaltungen haben die EU-Abgeordneten für die neue "Europäische Ermittlungsanordnung" (EEA) gestimmt. Vorausgegangen war ein erstaunlich kurzes Verfahren: Nach informellen Gesprächen des Rates, des Parlaments und der Kommission wurde in erster Lesung eine Einigung erzielt. Zahlreiche Delegationen, darunter auch die deutsche, begrüßten die Annahme.

 

Nun muss der Ausschuss der Ständigen Vertreter (wo sich die 28 Mitgliedstaaten organisieren) seine formale Zustimmung geben. Wie die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung wird die EEA dann vom Ministerrat gebilligt. Danach haben die Mitgliedstaaten drei Jahre Zeit, um sie in nationales Recht umzusetzen. Im Gegensatz zu Irland und Dänemark will sich auch Großbritannien anschließen. Nach der Unterzeichnung durch den Präsidenten des EU-Parlaments und den Präsidenten des Rates wird der Gesetzgebungsakt im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

 

Ermittlungsmaßnahmen müssen spätestens nach 90 Tagen umgesetzt werden

 

Die "Europäische Ermittlungsanordnung" ist eine Vereinbarung unter Justizbehörden. Sie regelt die Umsetzung einer polizeilichen oder justiziellen Maßnahme eines Mitgliedstaats ("Anordnungsstaat") zur Durchführung in einem anderen Mitgliedstaat ("Vollstreckungsstaat"). Ziel ist die Erlangung von Beweisen in einem Strafverfahren. Ermittlungsmaßnahmen müssen "unverzüglich", spätestens aber 90 Tage nach Erlass umgesetzt werden.

 

Dabei kann es einerseits darum gehen, gegen eine verdächtige oder beschuldigte Person Repressalien zu verhängen. Andererseits können damit aber auch Justizbehörden angewiesen werden, bereits erlangte Beweismittel herauszugeben. Geregelt wird aber auch die "zeitweilige Überstellung inhaftierter Personen", die Vernehmung per Video- oder Telefonkonferenz oder die Nutzung des Europäischen Haftbefehls, um Personen (auch zeitweise) an Gerichte zu überstellen.

 

Je nach nationalem Recht sind für die Erhebung von Beweismitteln unterschiedliche Stellen zuständig. Hierzu heißt es, dass eine EEA zunächst im Anordnungsstaat von einer Justizbehörde, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt validiert werden müsse. Sofern die Maßnahme im Vollstreckungsstaat eine richterliche Genehmigung erfordert, muss diese ebenfalls eingeholt werden. Die anordnende Behörde muss deshalb eine Beschreibung der strafbaren Handlung sowie die "anwendbaren Bestimmungen des Strafrechts des Anordnungsstaats" vorlegen.

 

Kosten werden vom Vollstreckungsstaat getragen

 

Eine derartige Rechtshilfe in Strafsachen ist zwar bereits jetzt unter einigen Mitgliedstaaten möglich und wird auch praktiziert: 2001 hatte etwa die schwedische Staatsanwaltschaft bei Berliner Behörden Amtshilfe beantragt, um Hausdurchsuchungen bei Gegnern des in Göteborg abgehaltenen EU-Gipfels durchzuführen. Mit der neuen Richtlinie soll dies unter allen EU-Mitgliedstaaten gleichermaßen möglich sein.

 

Die ausführende "Vollstreckungsbehörde" muss eine an sie übermittelte EEA nun "ohne jede weitere Formalität" anerkennen. Ihre Umsetzung muss unter denselben Modalitäten erfolgen, "als wäre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden". Eine Versagung der Anerkennung oder ein Aufschub sind nur möglich, wenn die angeordneten Maßnahmen auch den heimischen Behörden nicht erlaubt wäre.

 

Eine EEA kann aber zurückgewiesen werden, wenn bei den betroffenen Personen "Immunitäten oder Vorrechte bestehen". Auch wenn die "Pressefreiheit und die Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien" tangiert sind, darf abgelehnt werden. Zu guter Letzt bleibt die Firewall einer Gefährdung von "nationalen Sicherheitsinteressen" oder wenn von Verschlusssachen von Geheimdiensten herausgegeben werden müssten.

 

Die Richtlinie enthält auch Angaben zur Übernahme anfallender Kosten: Diese müssen in der Regel vom Vollstreckungsstaat übernommen werden. Lediglich wenn dieser findet, dass die Ausgaben "außergewöhnlich hoch" sind, kann nachverhandelt werden. Kosten würden dann geteilt oder die jeweilige EEA entsprechend geändert.

 

Zu den in der EEA geregelten Zwangsmaßnahmen gehört die Überwachung der Telekommunikation. Dazu müssen in einem Fragebogen die "gewünschte Dauer der Überwachung", technische Daten zu genutzten Mobil- oder Festnetztelefonen, E-Mail-Adressen oder IP-Anschlüssen angegeben werden. Als "Vollstreckungsmethode" kann die anordnende Behörde zwischen "unmittelbare Weiterleitung " oder "Aufzeichnung und anschließende Weiterleitung " wählen.

Im Klartext: Möglich ist, dass sich seine Behörden in Echtzeit in die Telekommunikationsüberwachung einklinken. Sie dürfen sogar darum bitten, dass die Vollstreckungsbehörde "eine Transkription, eine Dekodierung oder eine Entschlüsselung" der Aufzeichnung vornimmt. Hier greift die einzige Ausnahme zur Kostenregelung: Der anordnende Staat soll selbst dafür zahlen.

 

Ebenfalls erfasst sind die Verarbeitung von Verkehrs- und Standortdaten, die entweder in Echtzeit erhoben werden oder im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung vorhanden sind ("historische Verkehrs- und Standortdaten"). Auch die "technische Hilfe von einem Diensteanbieter", etwa einem Mobilfunkprovider, darf gefordert werden.

 

Es kann vorkommen, dass eine überwachte Person den Vertrag ihres Mobiltelefons in einem anderen EU-Staat abgeschlossen hat. Auch daran wird in der EEA gedacht: Wenn der "Kommunikationsanschluss der Zielperson der Überwachung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats" liegt, muss dieser über die Abhörmaßnahme informiert werden. Das gilt auch andersherum: Wenn sich die Person also in einem anderen Land aufhält als dort, wo ihr eingerichteter Anschluss abgehört wird. Jedoch kann der "unterrichtete Mitgliedstaat" Einspruch einlegen: Nämlich dann, wenn die Überwachung "in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall" nicht genehmigt würde. Sofern bereits abgehörtes Material anfiel, darf dies "nicht oder nur unter den von ihm festzulegenden Bedingungen" verwendet werden.

 

Auch die Ausspähung von Finanztransaktionen ist in der EEA geregelt. Nun können Daten bei einer "Bank oder einem Finanzinstitut außerhalb des Bankensektors" grenzüberschreitend abgefragt werden. Diese Finanzabfrage klingt uferlos: Sie sei laut der Richtlinie "weit auszulegen". Nicht nur verdächtige oder beschuldigte Personen dürfen ausgeforscht werden, sondern "alle anderen Personen", sofern die zuständigen Behörden etwaige Informationen "für notwendig erachten".

 

Eine EEA kann die Mitteilung sämtlicher "Überweisungs- und Empfängerkonten" beinhalten. Das soll unbedingt geheim bleiben: Jeder Mitgliedstaat soll "die erforderlichen Maßnahmen" ergreifen, damit die Banken "die betroffenen Bankkunden oder sonstige Dritte nicht davon in Kenntnis setzen".

 

Mehr Ablehnungsgründe bei Spitzeleinsätzen

 

In Artikel 29 ist die Zusammenarbeit im Rahmen von verdeckten Ermittlungen geregelt. Ein Vollstreckungsstaat kann veranlasst werden, Polizeispitzel für die Erlangung von Beweisen einzusetzen. Auch dies wird bereits rege praktiziert, allerdings bilateral: Zu den in der EU am besten verpartnerten Behörden gehören Großbritannien und Deutschland. Beide Länder hatten im Vorfeld eine Eingabe gemacht, dass die EEA den Einsatz von Beamten unter "falscher Identität" ausspart (Polizeispitzel belügen Staatsanwaltschaften und Gerichte).

 

Im Ergebnis konnten sich beide Delegationen nicht komplett durchsetzen. Jedoch sind die Versagungsgründe für verdeckte Ermittlungen nun großzügiger ausgelegt als bei den übrigen Maßnahmen: Die Entscheidung wird "unter gebührender Beachtung seiner nationalen Rechtsvorschriften und Verfahren" im Einzelfall getroffen. Wenn "keine Einigung" über die Ausgestaltung erzielt werden konnte, darf der Vollstreckungsstaat ablehnen. Damit kann Deutschland beispielsweise eine Anordnung verweigern, wenn deutsche Spitzel in dem anordnenden Land unter ihrer echten Identität vor Gericht aussagen müssten.

 

Es ist fraglich, ob die EEA auch mehr Rechtssicherheit bei polizeilichem Fehlverhalten gewährt. Hierzu heißt es, dass Beamte des Anordnungsstaats bei der Anwesenheit im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats diesen gleichgestellt sind. Dies gilt im strafrechtlichen wie im zivilrechtlichen Sinne. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, kann mitunter aber nicht eingefordert werden: Im Falle der Spitzelaktivitäten des britischen Ex-Polizisten Mark Kennedy in Deutschland ist nach wie vor unklar, in wessen Auftrag er jahrelang in Berlin tätig war. Sowohl das Land Berlin als auch das Bundeskriminalamt wissen hierzu angeblich von nichts. Also können die von Kennedy in Deutschland begangenen Straftaten nicht verfolgt werden (Britische Spitzel in Erklärungsnot).

 

Das ist heikel, denn es wurde nicht untersucht, ob Kennedy wie in Großbritannien sexuelle Beziehungen mit Zielpersonen unterhielt. Im Gegensatz zu Großbritannien ist dies in Deutschland verboten. Während in Großbritannien Klagen auf Schadensersatz verhandelt werden, ist dies deutschen Betroffenen vor britischen Gerichten verwehrt.