[M] Kundgebung vom 11.2. für das Recht auf Wohnen

[M] Kundgebung vom 11.2. für das Recht auf Wohnen

Am Dienstag, dem 11. Februar, fand in München von 18:15 bis 19:15 eine Kundgebung für das Recht auf Wohnen und gegen die Politik der Stadt gegenüber Migrant*innen statt. Hintergrund ist, dass die Stadt München trotz der rechtlichen Pflicht, Wohnungslose unterzubringen, durch eine Dienstanweisung festlegt, dass nur seit sechs Monaten in München gemeldete Personen in den Notunterkünften untergebracht werden.

 

Darüber hinaus verfügt eine weitere Dienstanweisung, dass bei wohnungslosen EU-Bürger*innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit strengere bürokratische Anforderungen zum Nachweis der „Bedürftigkeit“ im Sinne der Stadt gestellt werden, etwa Belege dafür, dass kein Wohnsitz und keine nahen Verwandten im Ausland vorhanden sind. Wer diese Bedingungen nicht erfüllen kann, dem wird im Regelfall lediglich bei vorausgesagten nächtlichen Temperaturen bis höchstens 0 °C ein Schlafplatz im Rahmen des Kälteschutzprogramms zur Verfügung gestellt. Die Einrichtung „Schiller 25 – Migrationsberatung Wohnungsloser“, getragen vom Evangelischen Hilfswerk München, welche die jeweils nur für wenige Tage gültigen Einweisungen ins Kälteschutzprogramm erteilt, wurde als Symbol für diese Politik zum Ort der Kundgebung.

 

Laut Veranstalterin „Initiative Zivilcourage“ etwa 100, laut „Süddeutscher Zeitung“ (heutige Ausgabe) etwa 60 Personen, maßgeblich betroffene bulgarische Staatsbürger*innen, sowie einige Unterstützende, versammelten sich, um ihrer Ablehnung Ausdruck zu verleihen. Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Forderung nach einer egalitären Anerkennung eines Rechts auf ein gutes Leben wurde nach folgenden konkreten Maßnahmen gerufen, um die individuellen Lebenssituationen Betroffener zu verbessern:

  • Eine temperaturunabhängige Öffnung der Notschlafstelle des Kälteschutzprogramms während der gesamten Winterperiode und tagsüber
  • Eine Möglichkeit für Wohnungslose, sich bei der Stadt anzumelden sowie eine Postadresse zu erhalten
  • Finanzierung von ÖPNV-Tickets, um zu der Notschlafstelle in der Bayernkaserne zu gelangen
  • Die Bereitstellung genügend vieler Decken für die Übernachtenden
  • Die Einrichtung eines Aufenthaltsraums für Arbeitssuchende („workers center“) in der Nähe des Hauptbahnhofs

Betont wurde, dass es durch die Wohnproblematik, fehlende Anmeldung und Postadresse den Betroffenen erschwert wird, in München Fuß zu fassen, gerade bei Versuchen, eine Arbeit aufzunehmen. Wohnen und Arbeit seien nicht getrennt zu betrachten. Thema waren auch die rassistischen und entwürdigenden Polizeikontrollen von Tagelöhner*innen im Bahnhofsviertel (oft wiederholte Kontrollen, erzwungene Entkleidungen im Freien, Kennzeichnung durch Armbänder). Überraschend zeigte sich bei der Kundgebung die Vorsitzende des Ausländerbeirates der Stadt bei der Kundgebung solidarisch, half aus mit Übersetzungen zwischen dem Türkischen und dem Deutschen und trug so zum Gelingen des gemeinschaftlichen Erklärens der Anliegen bei. Des weiteren beteiligten sich Personen aus dem Kreis des Bayerischen Flüchtlingsrates und der Erwerbsloseninitiative IGEL.

Noch am Tag der Kundgebung verschärfte das KVR die Auflagen: Nur die gegenüberliegende Straßenseite durfte genutzt werden. Es begründete diese Entscheidung unter Verweis auf eine ominöse, unauffindbare und den Veranstalter*innen unbekannter Mitteilung bei Twitter, die den Plan einer Besetzung der Einrichtung „Schiller 25“ und eines dort abgehaltenen Hungerstreiks angedeutet haben soll. Mindestens 18 Polizist*innen, USK und Staatsschutz positionierten sich zur Verteidigung der Einrichtung.

 

Das Evangelische Hilfswerk dementierte den noch bei der Kundgebung von Betroffenen geschilderten Mangel an Decken und stellte sich in einer Pressemitteilung infolge der Kundgebung hinter die Politik der Stadt: Unter Verweis auf die Voraussetzungslosigkeit des Kälteschutzprogramms will sie jeglichen Vorwürfen einer Benachteiligung nach sozialen, nationalen oder ethnischen Kriterien durch die Stadt entgegentreten, blendet dabei jedoch den systematischen Ausschluss bestimmter Gruppen von anderen Programmen aus. Jegliche über das Kälteschutzprogramm in seiner jetzigen Form hinausgehende Unterbringungen der Betroffenen werden als Subventionierung von „Ausbeutung und illegale[n] Beschäftigungsverhältnisse[n]“ abgelehnt: Die Personen werden zunächst als Ausgebeutete viktimisiert, und die Bekämpfung der Viktimisierung soll ausgerechnet auf Kosten der ausgemachten Opfer stattfinden, indem Unterkünfte verweigert werden. Wieso die prinzipiell positiv dargestellte Humanität bei über 0 °C und jenseits der deutschen Staatsbürgerschaft und des Gemeldetseins in München enden soll, wird nicht deutlich.

 

Die Rechte der betroffenen Migrant*innen werden nationalistisch gegen die der deutschen und in München gemeldeten prekarisierten Personen ausgespielt, Migrant*innen als Bedrohung für „anspruchsberechtigte wohnungslos gewordene Münchnerinnen und Münchner“ dargestellt. Die Anspruchsberechtigung selbst wird somit zur moralischen Kategorie erklärt, um den Ausschluss von diesem Recht zu rechtfertigen, eine explizite Anerkennung von Migrant*innen als Münchner*innen findet sich im Text dagegen nicht. Dass Migrant*innen durchaus auch durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse Perspektiven finden können, wird ausgeblendet, eine Perspektivlosigkeit als unüberwindbares Faktum dargestellt, dem nur durch eine Ausreise begegnet werden könne, statt durch Schaffung zusätzlicher Perspektiven, für die gerade auch das Wohnen essentiell ist. Womöglich auch angesichts dessen, dass andere Städte wie Berlin, Hamburg und Rom ihre Kälteschutzprogramme die gesamte Winterperiode über bereitstellen, sieht das Evangelische Hilfswerk das Kälteschutzprogramm der Stadt München als „europaweit einmaliges Beratungsangebot“ – ob aufgrund dieser Einmaligkeit München auch die beste aller möglichen Welten ist, darüber besteht zwischen Evangelischem Hilfswerk und die Münchner Politik Kritisierenden augenscheinlicher Dissens.

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Das einzige Prestige Projekt in München ist die BISS-Zeitung, aber dass die Behörden Obdachlosen gegenüber nicht gnädig sind, hat sie bereits im Jahr 2006 bewiesen: http://www.ramma-damma.ist-online.ws/index1/trailer3.html