Die Kanzerlamtsaffäre und die Deutschen

politische Altlasten

Es ist die Art Politik die wenn sie als Kabarett konzipiert wäre wegen Phantasielosigkeit verrissen würde: Da stellen sich die demokratischen Parteien mit großem Getöse zu einer Zweckehe auf die verspricht fortan ohne neoliberale Schattenspiele auskommen zu wollen, und dann das: Das Erstgeborene ist eine Korruptionsaffäre um die von ebendiesen wirtschaftspolitischen Wahnideen schwerbeschädigte Bahn. Die “neue” Regierung hat nichts Besseres zu tun als öffentliche Einrichtungen als Tröge für ihre ausrangierten Politiker in Beschlag zu nehmen. Doch das Abstellgleis der parlamentarischen Demokratie stellt sich als von der vorgeblich repräsentierten Bevölkerung geschottert heraus, und der Fall steht wie ein Castorbehälter in der Landschaft.

 

Dabei ist alles ganz einfach: Die beste bezahlbare Bahn ist keine Börsen-Bahn mit aufgeschminkter Bürger-Ideologie und Nulltarif nur für Spekulanten sondern genau umgekehrt: Ein Nulltarif für alle der die Spekulation als Lokomotive einspannt. Das klingt kompliziert, ist es aber nicht. Denn Nulltarif ist nicht gleich null Einnahmen: Wenn die Fahrscheine entfallen stehen nach wie vor die Reservierungen als Geldquelle bereit. Wer jetzt schwarzfährt spekuliert darauf keiner Kontrolle zu begegnen. Wer Nulltarif ohne Reservierung fährt spekuliert darauf dass der Zug noch nicht voll ist (die Definition dieses Zustands ist eine bauartbedingte Konstante und keine geschäftliche Verhandlungsmasse).

Sofern die Kapazitäten nicht ausreichen dürfen diejenigen die es sich als erste leisten können zusätzliche Reservierungen kaufen und auf diese Weise mehr Züge fahren lassen. Wird der allgemeine Nulltarif zu verzögerungsintensiv dann entsteht also ganz ohne manuelle Regulation der Anreiz zu zusätzlicher Bezahlung. Außerdem entfallen alle Kosten für Kontrolleure, wahrscheinlich werden nicht einmal Schlichter gebraucht. Ebensowenig muß das Fahrgastaufkommen erfaßt werden da der Reservierungsumfang als Planungsgrundlage dient. Alles was dazu erforderlich ist ist der Wechsel des Betriebsmodells.

Doch bei der Bahn ist schon längst nicht mehr der Kunde König sondern der Besteller. Die Aufschachtelung in ein unübersichtliches Geflecht von Subunternehmen welche nur durch enge Kommunikationsdurchstiche miteinander verbunden sind hat dazu geführt dass keinerlei vernünftige Organisation mehr stattfindet. Die gegenwärtige Bahn ist in erster Linie ein Spiegelbild all dessen was am derzeitigen politischen System verkehrt ist – hier finden sich beispielsweise ein hierarchisch aufgeblähter Apparat, eine eigen- und fremdgefährdende Einsparungspolitik, ein bigottes Selbstverständnis (siehe Stuttgart), ein grundfalsches Geschäftsmodell und eine fatale Untertanenmentalität.

Der Spieß ließe sich durchaus herumdrehen, Themen gäbe es genug: Würde die Bahn, anstatt Politikeraltlasten in Verwahrung zu nehmen diesen gegenüber ihre eigenen Interessen vertreten dann stünden ganz andere Inhalte im Vordergrund – etwa die Streichung der verdeckten Subventionen zunächst für den Inlandsflug, die Zügelung einer fehlgeleiteten, überfinanzierten und kurzsichtigen Straßenbaupolitik und die Chance diejenigen die es immer erst als letzte begreifen darüber zu belehren dass die Kontrolle der Fahrgäste nicht nur menschlich kontraproduktiv sondern auch wirtschaftlich unsinnig ist.

Das erfordert freilich einen inneren Umbruch des Betriebs der nur aus einem radikal erneuerten Gesellschaftsbild kommen kann: Die Bahn ist eben weder ein Zweig des Staates noch der Wirtschaft sondern eine öffentliche Einrichtung welche als solche an der Herstellung eines Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage interessiert ist und nicht an Statussicherung oder Wachstum. Statt einen Regierungsvertreter in Verwahrung zu nehmen sollte sie lieber der Regierung einen Betreuer schicken der lebensgefährliche Managementfehler wie Stuttgart von vornherein verhindert und stattdessen den sozialen und ökologischen Umbau vorantreibt.

Die Kanzleramtsaffäre ist aber noch mehr – der Beleg dafür dass im totalitären Spätkapitalismus Neoliberalismus gleich Kommandowirtschaft ist. Wer über politisches Langzeitgedächtnis verfügt weiss dass diese Affäre stünde sie unter sozialistischem Vorzeichen ein gefundenes Fressen für neoliberale Propagandisten wäre: Da findet eine unbefugte staatliche Manipulation öffentlicher Angelegenheiten statt, wenngleich auch nicht im Widerspruch zur sondern im Namen der kapitalistischen Ideologie.

Die Häufung der Kundenbeschwerden wird nur noch von der der Rekrutenbeschwerden beim Militär übertroffen, was an sich schon ein Witz ist, denn der Negativrekord ist Folge ebenjener Staatsüberschätzung die für den absterbenden Neoliberalismus symptomatisch ist sobald er in seine terminale Krise eintritt. Das scheiternde System klammert sich dann an den untergehenden Staat wie seine Ideologen es sich von ihren richtigen Gegnern vorstellen, und der “Sozialismus mit kapitalistischem Antlitz” – die Pleitebankenaufkäufe – verwirklicht das materialisierte Feindbild einer Ideologie welche sonst nichts hat.

Letzten Endes ist der ganze Korruptions-Schlamassel der Beweis dafür dass die Bahn über etwas verfügt was der Regierung fehlt: Eine Notbremse. Diese ist zu betätigen bevor ein Personenschaden einzutreten droht.