Bericht zur Demonstration in Heidenheim

Demozug

Es waren ca. 60 Menschen, die sich am 14.12.13 um 14 Uhr am Rathausplatz in Heidenheim einfanden, um bei Kälte und einsetzendem Schneefall im Gedenken an die Opfer rechter Gewalt Flagge gegen Faschismus zu zeigen. Neben Heidenheimer Bürgerinnen und Bürgern, Vertretern antifaschistischer Gruppen und Mitgliedern von DKP, Gewerkschaften, Linkspartei, Solid, Jusos und der Heidenheimer Geschichtswerkstatt waren auch Angehörige der Opfer des Heidenheimer Dreifach-Mordes anwesend.

 

Bereits seit 12 Uhr hatten Antifa-Aktivisten mit Infoständen am Bahnhof sowie am Rathaus mit Flugblättern über die nun fast 10 Jahre zurückliegende Bluttat und ihre Hintergründe informiert.

 

Eröffnet wurde die Kundgebung mit einem gemeinsamen Redebeitrag der antifaschistischen Gruppen aus Heidenheim sowie der Region Ostalb, in dem neben dem lokalen Bezug auch der gesellschaftliche Kontext rechter Ideologie angesprochen wurde. Es folgten Beiträge von Vertretern der Antifaschistischen Gruppe Göppingen sowie des Antirassistischen Jugendaktionsbüros Kempten. Thematisiert wurden hierbei der am 17.7.2013 durch einen Neonazi begangene Mord an einem 34jährigen Mann aus Kasachstan, sowie die rechte Szene in Göppingen, die ebenfalls bereits für Mordanschläge und -drohungen gegenüber politischen Gegnern verantwortlich ist.

 

Nach den Reden setzte sich vom Rathaus ausgehend ein kleiner Demonstrationszug in Bewegung. Nur wenige Straßen entfernt befindet sich der Hof der ehemaligen Diskothek K2, vor der sich die Bluttat im Dezember 2003 ereignete. An selber Stelle wurde eine weitere Kundgebung abgehalten, auf der ein Mitglied des Arbeitskreises "Unvergessen - Opfer rechter Gewalt in Baden Württemberg" einen Redebeitrag hielt.

 

Am Bahnhof Heidenheim endete die Demonstration schließlich mit einer Endkundgebung, auf der ein Redner aus Ulm zum Thema Antisemitismus und anderer menschenverachtender Ideologie sprach.

 

Wir betrachten die Veranstaltung als einen ersten Ansatz, die seit fast 10 Jahren herrschende Mauer des Schweigens in Heidenheim aufzubrechen und der kollektiven Verdrängung entgegenzuwirken.

 

Abgesehen von einer antifaschistischen Kundgebung im Jahre 2005 gab es infolge der Bluttat jedes Jahr zumindest kleine Mahnwachen, an denen neben Angehörigen der Opfer vorallem Vertreter von Antifa und DKP teilnahmen. Auch Flugblatt-Aktionen und kleine Spontan-Demos wurden zeitweise abgehalten, die jedoch kein mediales Echo fanden. Im Gegensatz hierzu hat die Heidenheimer Zeitung aktuell unseren Aufruf zum Gedenken aufgegriffen und mit Artikeln dazu beigetragen, die damaligen Ereignisse ins Bewusstsein zurückzurufen.

 

Klar benannt wurde der fremdenfeindliche Hintergrund der Tat, was auch als deutliche Abgrenzung zur bis heute anhaltenden Bagatellisierung rechter Ideologie und Gewalt durch die Heidenheimer Stadtführung angesehen werden kann. Diese hatte sich erst in einer aktuellen Stellungnahme damit gebrüstet, dank ihrer konsequenten Ignoranz allen "rechten und linken Extremisten" den Boden unter den Füßen weggezogen zu haben. Uns überrascht dieses armselige Bekenntnis der Unbelehrbaren in keiner Weise. Wieviel hier reiner Ignoranz, und wieviel den tatsächlichen Überzeugungstätern in den Reihen der Konservativen geschuldet ist, darüber wäre zu diskutieren. Gerade in der aktuellen Debatte um das Rommel-Denkmal, das neben CDU und Junger Union auch die Würdigung neo-nazistischer Gruppen erfährt, offenbart sich der unerschütterliche Hang so mancher "Demokraten der Mitte" zu Nationalismus und Geschichtsrevisionismus.

 

Letztlich wollen wir auch die Frage offen lassen, ob sich die eher geringe Beteiligung der Heidenheimer Bevölkerung an dem Gedenken primär mit ideologischen Scheuklappen gegenüber den Organisatoren, oder nicht auch vielmehr mit schlichter Gleichgültigkeit erklären lässt. Natürlich dürfen aber auch der ermutigende Zuspruch sowie die Solidaritätsbekundungen von vielen Menschen (u.a. Migranten-Gruppen und Spätaussiedler), die aus verschiedenen Gründen nicht am Samstag teilnehmen konnten, nicht unerwähnt bleiben.

 

Dass sich Zynismus und Ressentiment in den herrschenden Verhältnissen meist leichter Bahn brechen als emanzipatorisches Denken und Handeln, wird insbesondere in eher provinziell-konservativen Verhältnissen offenkundig, wo es meist an Formen alternativer Gegenkultur und -politik mangelt. Auch in Heidenheim spüren wir den Verlust verschiedener Strukturen schmerzlich.

 

Umso wichtiger wird es in Zukunft bleiben, die progressiven Formen linker, libertärer und antifaschistischer Politik zu fördern und stets gegenüber dem wachsam zu sein, was mal mehr, mal weniger offen an reaktionären Tendenzen und Zuspitzungen in der bestehenden Ordnung lauert.

 

Zum Schluss wollen wir natürlich allen unseren Genossinnen und Genossen danken, die ungeachtet der eher kurzen Mobilisierungszeit aus anderen Städten zu uns kamen und uns tatkräftig unterstützten, trotz zeitgleich stattfindender großer Demonstrationen in Mannheim und Freiburg.

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aber in welchem Bundesland liegt den eig Heidenheim?- oder gibt es da mehrer?

Baden-Württemberg

Es warn gezählte 42 Teilnehmer_innen.
Bleibt bitte bei der Wahrheit und rundet nicht so großzügig auf.
Leider war die Demo damit sehr schlecht besucht. Obwohl 13 Gruppen auf der Unterstützer_innenliste standen.

Der Redebeitrag der Antifa-Gruppen Heidenheim/Ostalb:

"In wenigen Tagen ist es 10 Jahre her, dass die drei jugendlichen Spätaussiedler Viktor Filimonov, Waldemar Ickert und Aleksander Schleicher von dem Neonazi Leonhard Schmidt kaltblütig ermordet wurden.
Wir kommen heute hier zusammen, um an dieses Verbrechen zu erinnern und seinen politischen Kontext nicht der gesellschaftlichen Verdrängung zu überlassen.

Denn immer noch wird der neo-nazistische Hintergrund von Leonhard Schmidt und dem Milieu, dem er angehörte und aus dem heraus er die Bluttat beging, von Vielen ignoriert oder als Nebensächlichkeit abgetan.
Eine fatale Sichtweise, die sich auch in der offiziellen Bewertung des Verbrechens zeigt. Alex, Viktor und Waldemar sind drei der Todesopfer rechter Gewalt, die in keiner offiziellen Statistik auftauchen.

Doch Schmidt war kein verrückter Einzeltäter und sein Verbrechen geschah nicht aus heiterem Himmel heraus. Es war der blutige Höhepunkt einer Reihe von Übergriffen und Drohungen, die eine gewaltsuchende Nazi-Szene in Heidenheim in den Monaten vor der Tat zu verantworten hatte.

Es ist die Nacht auf den 20. Dezember 2003, in der Leonhard Schmidt vor der Diskothek K2 auftaucht, wo ihm aus gutem Grund der Einlass verwehrt wurde.

Erst wenige Monate zuvor hatte Schmidt gemeinsam mit einer Gruppe anderer Neonazis vor dem K2 politischen Gegnern aufgelauert. Mit rechten Parolen wurden mehrere Personen ins Freie gelockt und von den Nazis überfallen. Schmidt schlug einen Punk mit einem Schlagstock nieder - eine Tat, wegen der gegen Schmidt noch ein Ermittlungsverfahren lief, als er schließlich vorm K2 zum Mörder wurde.

Eine halbe Stunde nachdem Schmidt sich vergeblich um Zutritt ins K2 bemüht hatte, tauchen er und ein weiterer Neonazi erneut vor der Diskothek auf, wo sie auf Viktor, Waldemar und Alex treffen. Es kommt zur verbalen Auseinandersetzung zwischen Schmidts Begleiter und den drei 15, 16 und 17jährigen. Völlig unvermittelt zieht Schmidt sein Messer und tötet alle drei Jugendlichen mit gezielten Stichen in Herz und Hals.

Heute erinnert an dem Ort des Verbrechens nur noch eine kleine Tafel an das Geschehen .Fast unlesbar in großer Höhe angebracht, ist dort lediglich der nichtssagende Schriftzug "Heidenheim sagt NEIN zu Gewalt" zu lesen.

Bereits kurz nach den Morden war auch für Oberbürgermeister Bernhard llg der Fall klar: Ein "Deutscher hatte drei andere Deutsche" ermordet und die "Stadt dürfe sich nun nicht in rechts und links spalten lassen".
Eine Haltung, die er auch vor dem Heidenheimer Nazi-Aufmarsch im Jahr 2005 stur weiterverfolgte, als er während einer drei Tage vor der eigentlichen Demo abgehaltenen "Protestkundgebung" von der Rednertribüne herunter gegen "die Rechten und die Linken" Stimmung machte, die seinen städtischen Frieden zu erschüttern drohten.

Der Nazi-Aufmarsch, auf dem auch Personen aus Leonhard Schmidts Umfeld auftauchten, stieß trotz des städtischen Aufrufes zum kollektiven Wegsehen auf den energischen Widerstand hunderter Antifaschisten und Heidenheimer Bürger.

Seit 2005 ist es oberflächlich betrachtet um die Nazi-Szene in Heidenheim ruhig geworden. Große Auftritte bleiben aus, auch wenn die Faschisten weiterhin zu Anlässen wie der Bundestagswahl ihre Plakate aufhängen oder übers Internet ihre Hetze verbreiten. Rechte Parolen im Heidenheimer Fußball-Stadion bleiben dank des Einsatzes antirassistischer Fußball-Fans zum Glück nicht mehr unwidersprochen.
Doch das Rommel-Denkmal auf dem Zanger Berg stellt auch weiterhin einen attraktiven Anlaufpunkt für auswärtige Neonazis dar, die zuletzt anlässlich Rommels Todestags Heidenheim einen Besuch abstatteten.

Vorallem wenn wir in die weitere Region blicken, herrscht kein Grund zur Entwarnung. In Göppingen hat sich eine Nazi-Szene herausgebildet, die in der Vergangenheit auch nicht vor Mordversuchen und -drohungen zurückschreckte. Und auch hier begegnen wir seitens der konservativen Stadtführung derselben Ignoranz und Verharmlosung des Problems, wie wir sie seinerzeit in Heidenheim erlebten.
Deshalb ist eines für uns klar: Wenn in Göppingen eines nahen oder fernen Tages rechte Gewalt zum Schlimmsten führen sollte, wird dies ebenso wenig aus heiteren Himmel heraus geschehen, wie in jener Nacht vor dem K2.

Seit dem Auffliegen der NSU-Morde und der Verstrickung deutscher Behörden in das faschistische Netzwerk, scheint zumindest in Teilen der Öffentlichkeit ein stärkeres Bewusstsein für die Bedrohung von Rechts zu existieren. In der Praxis bleiben die Konsequenzen allerdings meist aus - es bleibt bei Phrasen und Lippenbekenntnissen, während weiterhin faschistische Aufmärsche durchgeprügelt und antifaschistische Aktivisten dank der Extremismus-Doktrin mit den Nazis nicht selten gleichgesetzt werden.

Das gefährliche Erstarken rechtsradikaler Bewegungen in Ländern wie Griechenland, Ungarn oder Frankreich sollte uns allen zu denken geben. In gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen sich soziale Selektion zuspitzt und der wirtschaftliche Existenzkampf immer härter geführt wird, finden rechte Ideologien einen günstigen Nährboden.
Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus und der Hass auf sozial Schwache sind dabei keineswegs nur an den extremen Rändern anzutreffen, sondern entspringen der Mitte der Gesellschaft. Bekennende Neonazis sind dabei oft nur der sichtbarste Ausdruck einer gesellschaftlichen Schieflage, die Menschen mehr und mehr in nützlich und nutzlos unterteilt und zum Objekt der Kontrolle, Selektion und Verwertung macht.

Diesem Klima der Entsolidarisierung und sozialen Kälte müssen wir etwas entgegensetzen. Diejenigen, die ihre bürgerlichen Existenzängste als Rechtfertigung hernehmen, um Minderheiten und gesellschaftliche Außenseiter als Sündenböcke zu missbrauchen, werden wir nicht mit Verständnis begegnen. Rassistische Bürgerinitiativen, die gegen Flüchtlinge hetzen, sind dabei ebenso gemeint wie rechtspopulistische Parteien und Gruppierungen, die unter dem Deckmantel vermeintlicher Meinungsfreiheit ihre rechten Positionen hoffähig machen wollen.

Für die Opfer rechter Gewalt können wir nichts mehr tun, als sie in Erinnerung zu halten. Aber wir können dafür kämpfen, dass nicht noch mehr Menschen zu Opfern werden! Im Namen all derer, die ihr Leben lassen mussten, geben wir uns selbst heute dieses Versprechen: Wir werden rechte Hetze und menschenverachtende Ideologien nicht dulden, wir werden nicht wegsehen, wenn Menschen als minderwertig herabwürdigt werden und als Projektionsfläche für gesellschaftliche Fehlentwicklungen herhalten müssen. Weder in Heidenheim, noch sonstwo!

Das Bewusstsein des Vergangenen soll uns eine ewige Mahnung bleiben. Mit den Worten der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald sagen wir auch heute noch:

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!"

Der Redebeitrag der Antifaschistischen Gruppe Göppingen:

Nicht nur hier in Heidenheim gab und gibt es eine verheerende Verharmlosung von rechten Strukturen und rechter Gewalt. Wir als Antifaschistische Gruppe Göppingen wollen hier mit der Situation in unserer Stadt die Parallelen zu Heidenheim ziehen. In Göppingen wurde deutlich, wie schnell das Verharmlosen des Problems einer rechten Szene vor Ort dazu führt, dass sich faschistische Strukturen festigen können.

2010 haben sich die Autonomen Nationalisten Göppingen gegründet. Früh zeigen sie ihr gewalttäiges Potential, in dem sie die Bremsschläuche eines Stadtrates von der Partei Die Linke manipuliert und Brandsätze in seinem Briefkasten deponiert haben. Ermittlungen der Polizei hierzu sind im Sande verlaufen und die Linkspartei wird mit dem Nazi-Problem alleine gelassen. Im Gegenteil veröffentlicht die Jugendorganisation der CDU im Kreis Göppingen ihre mit rechtsextremen Inhalten gespickte “Eislinger Erklärung”. Diese wird als Diskussionspapier verteidigt und erst nach Monaten zurückgezogen.

2011 beginnen die AN auch durch Plakate, Tansparente und Wurfsendungen auf sich aufmerksam zu machen. In der rechten Szene sind sie bekannt und nehmen bundesweit an Nazidemos teil. Am Göppinger Nachtnarrensprung 2012 nehmen die AN im Stil der Unsterblichen teil. Die AN veranstalten eine Kundgebung gegen den Neujahrsempfang der Linkspartei. Dies markiert einen Wendepunkt, nachdem sie gemerkt haben sie können tun und lassen was sie wollen, niemand hindert sie daran. Somit beginnen die Göppinger Neonazis den öffentlichen Raum für sich zu beanspruchen. Es folgen 6 Demos und Kundgebungen der AN allein in 2012.

Wie wird damit in Göppingen umgegangen? Im Frühjahr 2012 kurz nach der 2. Nazikundgebung kommt es zur Gründung des Bündnisses Kreis Göppingen Nazifrei. Obwohl die Nazis schon vor dem Rathaus demonstriert haben, meint der Göppinger Bürgermeister Till, ein solches Bündnis würde das Problem – also die Nazis – nur anziehen. Dieser Kommentar zeigt schon früh die Linie des OB: Es gäbe kein Naziproblem in Göppingen, seine Stadt sei eine ausgezeichnete Stadt der Vielfalt und der Toleranz und die Nazis kämen von außerhalb. CDU und JU lehnen das Bündnis per Presserklärung ab, nachdem sie es nicht mitgründen wollten, weil es nicht gegen Extremismus sei. Die zweite Bürgermeisterin Zull befürchtete, dass man sich “im Kampf gegen rechte Parolen verzetteln” könnte, da die Stadt ja eine Art Bündnis mit dem Programm “Vielfalt tut gut” habe.

Nach der dritten Nazidemo im März 2012 kommt es im Göppinger Gemeinderat zu einer Aussprache über das Naziproblem. Die Polizei spielt das Problem herunter, Göppingen habe keine feste rechten Strukturen, weil es “kein Vereinslokal und keine Skinheadkonzerte” geben würde. Statt auf das Problem zu reagieren wird auf eine 4 Jahre alte Erklärung des Gemeinderates verwiesen. Während die Aussprache dazu gedacht war explizit über das Naziproblem zu sprechen, wollen die Fraktionen von CDU, FDP, Freie Wähler und Bürgerallianz über Linksextremismus in Göppingen sprechen. Die Polizei muss entäuschen: Die zwei letzten registrierten Straftaten liegen 2 Jahre zurück.

Diese Beispiele aus dem letzten Jahr können in verschiedenen Variationen bis heute für Göppingen wiederholt werden. Es kam mit der Zeit zusätzlich zu gewaltätigen Übergriffen, zwei Morddrohungen und zu Verfolgungsjagden von seitens der Neonazis auf AntifaschistInnen. Das Problem wurde als nicht kleiner sondern größer. Das Bündnis Kreis Göppingen Nazifrei schrumpfte dagegen von ehemals 60 Interessierten auf unter die Hälfte und hat einige Gruppen und Einzelpersonen durch ihren immer reaktionärer werdenden Kurs verjagt. Der Verein verlangte von seinen Mitgliedern eine unterschriebene Erklärung gegen Gewalt und für das Grundgesetz. Bei ihrer Aktion gegen den Naziaufmarsch vom Oktober suchten sie den weitestmöglichen Abstand sowohl zu den Nazis als auch zur Antifa Göppingen. Die Mitveranstalter der Vereinsaktion mussten unterschreiben, dass sie nicht zu Straftaten wie Blockaden der Nazidemo aufrufen werden. Nun ist es ein Verein mit Satzung geworden, der Schwierigkeiten hat, seine Mitglieder über anstehende Naziaktivitäten zu informieren, geschweige denn dagegen vorzugehen.

Es zeigt sich dabei folgendes:

1. Gerade im ländlichen Raum, wo linke, emanzipatorische, fortschrittliche Strukturen kaum oder wenig vorhanden sind, kann sich schnell eine nicht zu unterschätzende, gewaltbereite, organisierte rechte Szene entwickeln.

2. In diesem Hinterland reagiert das bürgerliche Lager gleichermaßen auf das nun sichtbar werdende Naziproblem: Es wird ignoriert, unter den Teppich gekehrt und verharmlost. Der Burgfrieden und das Image der Stadt ist dabei immer wichtiger als eine transparente Ehrlichkeit, um gegen das Problem öffentlich anzugehen.

3. Stattdessen werden den sich organisierenden NazigegnerInnen aus der Bevölkerung Steine in den Weg gelegt. Statt Unterstützung oder zumindest Wohlwollen zu bekommen, werden sie als Nestbeschmutzer behandelt. Sie bekommen sogar teilweise die Schuld zugeschoben, dass es Nazis in der Stadt gäbe, wobei es doch genau andersrum ist. Konsequentere AntifaschistInnen werden mit den Nazis über einen Kamm geschoren, es wird Stimmung gegen Gewalt und für Toleranz gemacht, hinter dem sich die Bürgerlichen verstecken können, ohne selbst aktiv zu werden.

4. Im bürgerlichen antifaschistischen Lager machen sich daher mit der Zeit Abgrenzungstendenzen gegenüber den konsequenteren AntifaschistInnen bemerkbar. Die Spaltung in gute und böse AntifaschistInnen geht einher mit der Gleichmacherei von links- und rechtsextrem, dem gebetmühlenhaften Herunterbeten der Verfassungstreue und einer Ablehnung der nicht näher bestimmten Gewalt.

5. Eine Selbstreflexion der Bürgerlichen jedoch, in wie weit in der Mitte der Gesellschaft rechtsextreme Inhalte wie Rassismus oder Nationalismus reproduziert werden, bleibt aus.

6. Fehlende antifaschistische Erfolge und eine zu spät und wenig konsequent reagierende Öffentlichkeit führen dann zu einer Festigung der rechten Szene vor Ort.

In Göppingen bedeutet dies, dass die Nazis übers ganze Jahr hinweg aktiv sind. Sie haben zwei Demos von der Stadt und Polizei durchgeprügelt bekommen bei gleichzeitiger Ausschaltung der Gegenproteste. Uns wundert es sich nicht, dass die AN Göppingen Demos für die nächsten 10 Jahre schon angemeldet haben. Da wird der Oktober auch nicht der einzigste Monat bleiben. Jetzt ist das Geschrei groß: Das Image als Nazidemostadt bundesweit bekannt zu sein ist ja genau das Gegenteil was die Stadtoberen wollten. Tja, hätte man doch nur auf die Antifa gehört! Rechte Strukturen gehören frühzeitig beobachtet, aufgedeckt und öffentlich gemacht. Diese Strukturen müssen mit vielfältigen Mitteln auf vielen Ebenen bekämpft werden, damit es erst gar nicht zu rassistischen Morden oder Überfällen auf für die Nazis nicht genehmen Menschen kommen kann. Zu diesen Strukturen zählt auch die sich langsam wieder bemerkbar machende rassistische Progromstimmung.

Organisieren und arbeiten wir mit den Menschen zusammen, die aktiv und konsequent sich gegen rechte Strukturen und ihre Inhalte wie Nationalismus oder Rassismus engagieren. Wir sagen: Flüchtlinge sind willkonmmen! Den Nazis muß gezeigt werden, dass sie unerwünscht sind! Weder in Heidenheim, noch in Göppingen noch anderswo!

Der Beitrag ist ja ganz schönes Gejammer! Stellt ihr auch selbst mal was auf die Beine oder begnügt ihr euch damit anderen die Schuld für euer Naziproblem zu geben?

Rassismus tötet – auch in Baden-Württemberg

 

Der folgende Redebeitrag stammt vom Arbeitskreis „Unvergessen – Opfer rechter Gewalt in Baden-Württemberg“. Dieser Arbeitskreis betreibt den Erinnerungs- und Doku-Blog 'unvergessen.blogsport.de'. Auf dem Blog sind alle bekannten rechten Mordfälle in Baden-Württemberg dokumentiert. Darüber hinaus sind hier mehrere Verdachtsfälle von Morden mit rechtem Hintergrund dargestellt.

Diese Dokumentation ist notwendig, weil häufig vergessen wird, dass auch in Baden-Württemberg rechte Ideologie Todesopfer gefordert hat.

Ab 1990 wurden in Baden-Württemberg mindestens acht Menschen aus eindeutig rechten Motiven ermordet. Davon sechs aus rassistischen und zwei aus sonstigen Motiven. Zu den beiden letzteren gehört auch die Polizistin Michèle Kiesewetter, die am 25. April 2007 in Heilbronn von Mitgliedern des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ erschossen wurde.

Über diese acht Opfer rechter Gewalt ab 1990 hinaus, gibt es zwei weitere eindeutige Fälle in der Zeit vor 1990.

In einem Fall wurde der 17-jährige Lehrling Martin Katschker am 29. August 1970 in Konstanz aus sozialchauvinistischen Motiven ermordet. In dem anderen Fall erschlugen Mitglieder der rechten Motorrad-Bande „Stander Greif“ im Kreis Ludwigsburg in der Neujahrsnacht von 1981 auf 1982 den türkischstämmigen Arbeiter Sydi Battal Koparan.

 

Über diese zehn rechten Morde hinaus gibt elf weitere Morde, in denen rechte Motive sehr wahrscheinlich eine entscheidende Rolle gespielt haben. Von diesen elf Fällen sind mutmaßlich je ein Mord sozialchauvinistisch, einer homophob, einer anderweitig und acht rassistisch motiviert gewesen. Zehn davon fanden nach 1990 statt. Von den mutmaßlich acht weiteren rassistischen Todesopfern sind sieben infolge eines Brandes in Stuttgart gestorben. Am 16. März 1994 brannte durch eine möglicherweise rassistisch motivierte Brandstiftung das fünfstöckige Haus Geißstraße 7 in der Stuttgarter Altstadt. Der Brand war die größte Katastrophe in Stuttgart seit 1945. Dabei kamen sieben Menschen ums Leben und 16 wurden verletzt. Sechs der sieben Opfer waren Frauen, darunter zwei kleine Mädchen und eine schwangere Mutter. Es starben eine 24-jährige Deutsche und deren zweijährige Tochter, eine 27-jährige schwangere Türkin und deren vierjährige Tochter sowie ein 60-jähriger Kroate und seine 55-jährige Ehefrau. Eine 57-jährige Jugoslawin verfehlte das Sprungtuch und stürzte in den Tod. Weitere 16 Bewohner mussten mit Sturz-, Rauch- oder Brandverletzungen in Krankenhäuser gebracht werden. Unter den Opfer befanden sich viele Flüchtlinge. Der Asylpfarrer Werner Baumgarten sprach von, „vom Leben gebeutelte Menschen in einer Bleibe für Pechvögel am Rande der Innenstadt.“ Eine „Entschädigung“ der Überlebenden konnte nie durchgesetzt werden. Der Asylpfarrer Werner Baumgarten dazu: „Der Herzenswunsch der Überlebenden und Davongekommenen nach öffentlicher Entschädigung ist nie erfüllt worden“.

Am 30. Juni 1995 wurde ein 25-jähriger Deutscher bei einer rassistisch motivierten Brandlegung in Esslingen festgenommen, der auch die Tat in Stuttgart gestand. Laut Medien handelte es sich um einen psychisch kranken Einzelgänger, der durch rechte Äußerungen auffiel.  

Dieser Fall taucht weder in der offiziellen Statistik des Bundes, noch in der alternativen Statistik auf, die von engagierten Gruppen geführt wird. In dieser alternativen Statistik sind derzeit 183 Todesopfer rechter Gewalt gelistet. Die Bundesregierung erkennt davon nur eine Minderheit an. 

 

Von den 21 nachgewiesenen und ermittelten möglichen Opfern rechter Gewalt in Baden-Württemberg waren die meisten also Opfer von Rassismus. Damit hat der Rassismus seine tödlichen 'Qualitäten' auch in Baden-Württemberg bewiesen.  

Generell ist Rassismus eine menschenverachtende Ideologie, die in der Wissenschaft als gruppenbezogene menschenfeindliche Einstellung bezeichnet wird. Es handelt sich um eine Ideologie der Ungleichwertigkeit. Rassismus packt die Menschen nach echten und erfundenen Merkmalen wie Abstammung, Hautfarbe, Sprache in verschiedene Gruppen und schreibt diesen kollektive Eigenschaften zu. Individuelle Eigenschaften und Merkmale werden dabei ignoriert. Dass Individuum wird im Kollektiv sozusagen 'ertränkt'. Die rassistische Markierung von Menschen als 'die Anderen' unterstützt das eigene konstruierte Kollektiv. Rassismus ist immer auch das Konstrukt von 'ich' und 'die Anderen'. Erst in Abgrenzung zu 'den Polen', 'den Roma' oder 'den Türken' entstehen 'die Deutschen'. Gemeinsamkeiten werden dabei konsequent ignoriert. Dass beispielsweise eine türkischstämmige und eine 'biodeutsche' Arbeiterin in einer Fabrik in Deutschland mehr gemeinsam haben können als eine türkischstämmige Fabrikarbeiterin und ein türkischer Professor wird ignoriert.

 

Wer nun vom Rassismus spricht und diesen kritisiert, die/der darf nicht von der Verfasstheit der Gesellschaft schweigen. Wir leben im Kapitalismus. Generell können die meisten gruppenbezogenen, menschenfeindlichen Einstellungen auch außerhalb des Kapitalismus existieren. Das Patriarchat, Antiziganismus und auch Rassismus gab es bereits vor dem Entstehen des Kapitalismus. Jedoch hat sich in den letzten 300 Jahren die kapitalistische Wirtschaftsweise immer mehr mit diesen Vorurteilstrukturen verbunden.

Ein wichtiges Element des Kapitalismus ist, dass er er eine Konkurrenzgesellschaft erschafft bzw. verstärkt. In einer Gesellschaft in der alles Warenform angenommen hat und die meisten Leute gezwungen sind ihre Arbeitskraft zu verkaufen herrscht eine ständige Konkurrenz untereinander. Rassistische und nationalistische Funktionär/innen nutzen nun dieses vorherrschende Konkurrenzprinzip und verschieben es von der individuellen Ebene in die kollektive Ebene. Statt Einzelner werden nun Nationen in Konkurrenz zueinander gesetzt. Im Nationalsozialismus war vom „immerwährenden Kampf der Rassen untereinander“ die Rede. Heute spricht man eher von der Konkurrenz verschiedener Standorte. Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen der aggressiven Rasse-Ideologie Nazi-Deutschlands und dem Standortnationalismus, wie er von Merkel, Teilen der Gewerkschaften und der BILD befeuert wird. Doch die In-Konkurrenz-Setzung von Kollektiven findet bei beiden statt. Schnell werden dabei auch im neuen deutschen Standortnationalismus dem 'eigenen' Kollektiv oder den 'fremden' Kollektiven Eigenschaften zugeschrieben. Etwa wenn Griech/innen als 'Pleitegriechen' diffamiert oder als 'faul' markiert werden. Bitte nicht falsch verstehen: Aus libertärer Sicht ist Faulheit natürlich nichts Schlimmes. Sie wird aber in der kapitalistischen Leistungs- und Wettbewerbs-Gesellschaft mehrheitlich eindeutig negativ gewertet.    

So reproduzieren sich auch in der Moderne beständig rassistische Vorurteile und Zuschreibungen, auch angetrieben von der Wirtschaftsform. Die im Kapitalismus fest verankerten Krisenerscheinungen führen schnell dazu, dass rassistische Prägungen aktiviert werden. Es werden an 'die Anderen' Schuldzuweisungen für die Krise gemacht. Thilo Sarrazin z.B. macht bestimmte Bevölkerungsgruppen wie 'die Unterschicht' oder 'die Muslime' für den Niedergang des deutschen Wirtschaftsstandortes verantwortlich. Viele folgen ihm darin, statt Sarrazins rassistische und sozialchauvinistische Logik zu verwerfen. Aus humanistischer Sicht darf sich der Wert eines Menschen oder einer Gruppe nicht an einem Marktwert bemessen.

Während nun größere Bevölkerungsteile, viele Mainstreammedien und etablierte und nicht ganz so etablierte Politiker/innen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen hetzen, setzen rechte Schläger/innen diese Hetze auf der Straße in die Tat um. Obdachlose werden zu Tode getreten, weil sie ZITAT „uns auf der Tasche liegen“. Flüchtlingsheime werden angezündet, weil ZITAT „die sonst alle in die Sozialsysteme einwandern“.

Rechte Schläger- und Brandstifter-Trupps sind damit nur die unsichtbare Exekutive der rassistischen Bevölkerung. Die brutalen Morde auf der Straße finden aber natürlich auch viele Normalo-Rassist/innen 'nicht ok', u.a. weil sie nicht legitimiert wurden. Mit dem mörderischen Grenzregime an den EU-Außengrenzen hat mensch dagegen schon sehr viel weniger Probleme. Dabei fallen diesem jedes Jahr tausende von Menschen zum Opfer, die auf dem Weg nach EU-Europa oder bei der Abschiebung aus EU-Europa sterben. Sie sterben weil ausgedachte Linien auf den Landkarten – Grenzen genannt – von Menschen und ihren Regierungen in Stein gegossen werden.

 

Letztendlich lässt sich der tödliche Rassismus und Nationalismus nur dann abschaffen, wenn auch die ihm zu Grunde liegenden kapitalistische und staatliche Logik abgeschafft wird.

*Redebeitrag des Antirassistischen Jugendaktionsbüro Kempten auf der Demo »Kein Vergeben, kein Vergessen!« am 14.12.2013 in Heidenheim*

Nicht einfach so weiter
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Es passierte Mittwoch Abend des 17. Juli auf dem Tänzelfest in Kaufbeuren um kurz vor Mitternacht. Gerade spielt noch die Blaskapelle »Harmonie Oberbeuren«, als eine Gruppe von mindestens sieben Männern im Alter von 22 bis 53 Jahren drei Spätaussiedler provoziert. Ein 36-jähriger Thüringer und andere aus der Gruppe beleidigen die drei jungen Männer zuerst mit rassistischen Beschimpfungen, schließlich greifen sie auch körperlich an. Die Angegriffenen setzen sich gegen die rassistischen Schläger erfolgreich zur Wehr, mehrere Personen erleiden allerdings leichte Verletzungen.

Eine unbeteiligte Gruppe von fünf Personen, darunter auch ein 34-jähriger aus Kasachstan stammender Mann, folgt aus bloßem Interesse den Security-Kräften, die sich zum Ort der Auseinandersetzung begeben. Die Thüringer Schläger provozieren nun auch die dazukommende, unbeteiligte Gruppe - und werden schließlich erneut gewalttätig: Der 36-jährige Rassist schlägt ohne Ankündigung auf den zufällig anwesenden 34-jährigen ein, der daraufhin bewusstlos zu Boden geht. Der Angegriffene wird vor Ort reanimiert - leider ohne Erfolg, der Mann verstirbt am Donnerstag Nachmittag. Einsatzkräfte der Polizei nehmen aufgrund einer Personenbeschreibung noch am Abend in unmittelbarer Tatortnähe den 36-jährigen Haupttäter und einen 22-jährigen aus seiner Gruppe fest. Der 36-jährige Falk H. aus Meiningen ist wegen »rechtsmotivierten Taten« polizeibekannt, wegen des dringenden Verdachts des Totschlags erlässt ein Richter Haftbefehl gegen ihn. Der 22-jährige Markus V., der ebenfalls aus Meiningen stammt, kommt wieder auf freien Fuß.

Rassismus, das Allgäu und die Tat
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Nach der Tat hat die Polizei in ihrer Pressemitteilung zuerst den rassistischen Hintergrund der Angriffe und den rechten Hintergrund des verhafteten 36-jährigen verschwiegen. Dies sei »ermittlungstaktischen Gründen« geschuldet, erklärt Jürgen Krautwald, der Sprecher der Kriminalpolizei Kaufbeuren, später gegenüber der Lokalzeitung »Augsburger Allgemeine«. Es folgt eine Flut an rassistischen Kommentaren in diversen lokalen Online-Medien, in denen in rassistischer Täter-Opfer-Verdrehung »Ausländer« und »Russen« für den Tod eines Menschen auf dem Kinderfest verantwortlich gemacht werden. Nachdem die Polizei die Presseaussendungen am Freitag um die tatsächlichen Hintergründe der Tat ergänzt, gehen die Hetzbeiträge teilweise dennoch weiter.

Die »Allgäuer Zeitung« zitiert den Tänzelfestvereins-Vorstand Horst Lauerwald: »Das wirft einen Schatten aufs Tänzelfest und wird auf das Kinderfest bezogen, obwohl es nichts damit zu tun hat – das geht mir an die Nieren.« Das Fest, das noch bis zum 22. Juli andauert, wird am nächsten Tag ungehindert fortgesetzt. Dem Kaufbeurer Oberbürgermeister Stefan Bosse zufolge wird das »Tänzelfest-Boxen« abgesagt, das »Tänzelfest-Feuerwerk« soll aber stattfinden. User »Stefan« aus Kaufbeuren ist trotzdem nicht in Trauer um den getöteten oder in Sorge um die Bedrohung durch Neonazis, sondern bangt um das schöne Feuerwerk. Auf der Webseite des »Tänzelfests« schreibt er ins Gästebuch: »Lieber Tänzelfestverein, bitte sagt das Feuerwerk NICHT ab! Der schreckliche Todesfall ist schlimm, aber deswegen das Feuerwerk absagen? (...) Es klingt blöd aber es stimmt 'THE SHOW MUST GO ON!'«

Und das passiert: Über Nazis und Rassismus wird in der Stadt bis heute kaum diskutiert. Nazis töten und keine schaut hin ist in Kaufbeuren Programm: Veranstaltungen mit unmittelbarem Bezug zur Tat werden kaum wahrgenommen oder Besucht; ein Benefizkonzert für die Hinterbleibeen des Getöteten zieht - obwohl völlig entpolitisiert, sich höchstens am Rande lapidar »gegen Gewalt« positionierend und massiv von den Lokalzeitungen beworben - keine 150 Besucher\_innen. Mitte November dementierte auch noch die Anwältin des Täters seine rechte Gesinnung. Seine Verurteilung wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sei »eher ironische Haltung« denn »politisches Statement«. In der Berichterstattung darüber vergisst die Allgäuer Zeitung auch die rassistischen Pöbeleien im Vorfeld der Tat. Doch nicht nur die weisen eindeutig nach Rechts.

Die beiden zunächst Festgenommenen stehen nach a.i.d.a.-Informationen in Verbindung mit neonazistischen Kreise. Falk H. hat im vergangenen Jahr auf einem Volksfest »Heil Hitler« gerufen und den Arm zum Hitlergruß gereckt. Und Markus V. wird auf seinem Facebook-Profil noch viel deutlicher: Bilder mit der schwarze Sonne der SS finden sich hier genauso wie ein Kokettieren mit der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU): Markus V. hat eine »Pink Panther«-Figur mit Maschinengewehr gepostet. Zu seinen Online-Freunden gehören u.a. thüringer und sächsische Neonazis, die Jugendorganisatio von »Pro Deutschland« sowie der aus Bayern stammende frühere NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt.

Dies war nicht die erste derartige Tat durch einen Neonazi im Allgäu. Am 26.08.2008 ermordete der damals 22-jährige Neonazi Alexander B. Peter Siebert mit einem Bajonett nachdem der sich über den lauten Rechtsrock des Täters beschwert hat. Bis heute taucht Peter Siebert nicht in der offiziellen Statistik der Todesopfer rechter Gewalt auf.

Gegenaktivitäten
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Neben einem Schweigemarsch, einer Schweigeminute im Stadtrat und einem Spendenaufruf für die Hinterbliebenen des Getöteten gab es auch Reaktionen durch Antifaschist\_innen. Bundesweit fanden mehrere antifaschistische Versammlungen statt, die zur Solidarität mit allen Opfern rassistischer Gewalt und dem Kampf gegen selbige aufriefen. In Kaufbeuren versammelten sich am auf die Tat folgenden Sonntag 20 Menschen spontan und unangemeldet auf dem Tänzelfest mit Megaphon und einem Transparent »Nicht einfach so weiter, wenn Nazis morden. Kein Vergeben, kein Vergessen« und riefen mit rund 400 Flugblättern dazu auf, sich Nazis überall und jederzeit entgegen zu stellen und ihnen jeglichen Handlungsraum zu entziehen. Die Aktivist\_innen hielten mehrere Kundgebungen auf dem Tänzelfestgelände ab und entzündeten Kerzen am für das Opfer niedergelegten Kranz. Nachdem sie dort ein Schild mit der Aufschrift »This show wont go on!« hinterließen, begaben sich die Demonstranten in die Innenstadt, wo sie weiter Menschen über die Naziproblematik aufklärten.

Am Mittwoch, den 18. September - genau zwei Monate nach der Tat - organisierte das antirassistische Jugendaktionsbüro eine antifaschistische Demonstration, damit die akute Bedrohung durch Neonazis und der Getötete nicht in Vergessenheit geraten. Statt dessen soll offensiv gegen entsprechende Einstellungen vorgegangen werden, um nicht ein weiteres mal zu trauern, wenn es bereits zu spät ist. Die Teilnehmer\_innenzahl war angesichts des Anlasses erschreckend: Gerade einmal 250 brachten ihre antifaschistische Haltung und ihre Solidarität mit allen Opfern rechter Gewalt zum Ausdruck: »This show won't go on - 184 Tote sind 184 zu viel!«

Aktiv werden 
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Aber es wird Zeit, nicht länger weg zusehen. Wir alle wissen: Rassismus tötet. Werden wir endlich aktiv gegen Rassismus und Fremdenfeinlichkeit und für eine Gesellschaft, in der entsprechende Ideologien keinen Platz haben!

Das bedeutet: sich klar zu positionieren. Dazu reicht es nicht, Nazis klar zu machen, dass sie in Kneipen, im Bierzelt und überall im Alltag jeder einzelnen unerwünscht sind und deren Übergriffen aktiv entgegen zu treten. Es gilt vielmehr zusätzlich, auch im Alltag rassistische Witze nicht unkommentiert im Raum stehen zu lassen, eine klare Position für eine menschenfreundliche, soziale und solidarische Gesellschaft zu formulieren und zu vertreten oder Menschen, die hierher unter Lebensgefahr aus ihrer Heimat flüchten in ihren Bedürfnissen und ihrer Würde ernst zu nehmen, anstatt sie als Sozialschmarotzer zu diffamieren und sich ihrer entledigen zu wollen, was das erklärte Ziel deutscher Asylpolitik ist und erst den Boden bereitet für eine breit angelegte ausländerfeindliche Hetze wie sie sich aktuell in Berlin-Hellersdorf und an anderen Orten Bahn bricht und in Isny zum Problem zu werden drohte. Werden auch Sie aktiv, dulden Sie weder Nazis noch die Bestandteile ihres Gedankenguts! Sprechen Sie Ihre Nachbarinnen und Nachbarn an und entziehen Sie gemeinsam Nazis den Boden, auf dem sie ihre Ideologie beziehen und verbreiten.

**Denn Erinnern heißt kämpfen - Kein Vergeben, kein Vergessen!**