"Wir müssen die Debatte versachlichen": Interview mit Musikwissenschaftler Dr. Thorsten Hindrichs zur Frei.Wild-Debatte

Erstveröffentlicht: 
03.12.2013
Zur Frei.Wild-Podiumsdiskussion Von Andreas Höflich. Veröffentlicht am Dienstag, 3. Dezember 2013 Dr. Thorsten Hindrichs ist Musikwissenschaftler an der Uni Mainz, © TH

 

Das Konzert der Band Frei.Wild in der Mannheimer Alten Seilerei wird derzeit kontrovers diskutiert. Als Gegenveranstaltung findet am 4. Dezember im Forum Jugendkulturzentrum eine Podiumsdiskussion statt. Daran nimmt neben Mannheimer Musik- und Kulturschaffenden auch der Musikwissenschaftler Dr. Thorsten Hindrichs teil, der sich umfassend mit dem Phänomen Frei.Wild befasst hat. Wir haben mit ihm vorab gesprochen, um der emotional geführten Diskussion mehr Substanz zu verleihen.

 

"Das Etikett 'Nazi-Band' ist kontraproduktiv"

regioactive.de: Die aktuelle Diskussion um die Band Frei.Wild wird ja sehr emotional geführt. Wie könnte man sich auf sachlicher Ebene mit dem Phänomen Frei.Wild auseinandersetzen?

 

Dr. Thorsten Hindrichs:  Indem man eben genau dies versucht: Die Debatte auf eine deutlich sachlichere Ebene zu bringen und vor allen Dingen auch die Dynamik in der Skandalisierung von Frei.Wild, die die Diskussion während der vergangenen Monate mehr und mehr erfahren hat, auszubremsen. Das ist natürlich nicht ganz einfach, immerhin lebt Rockmusik ja in ganz besonderer Form sowohl von Emotionalität als auch von der Idee des Widerständischen (die sich hier vor allem in der Skandalisierung zeigt), unabhängig davon, ob das eine oder das andere dann sachlich auch tatsächlich zutrifft.

 

Hinzu kommt, dass Frei.Wild sich ja dann auch noch sehr geschickt als Opfer einer Medienkampagne inszenieren und sich fortwährend in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt sehen und zudem auch noch ihre (ohnehin schon hochemotionalisierten Fans) zum Teil dieser Inszenierung machen, das hat mit Sachlichkeit ebensowenig zu tun wie fortgesetzt darauf zu insistieren, Frei.Wild seien eine "Nazi"- bzw. Rechtsrockband, denn bei allen Bedenken gegenüber Frei.Wild: Das Etikett "Nazi-Band" ist in zweierlei Hinsicht kontraproduktiv.

 

Erstens erschwert es die dringend fällige Debatte um Deutschrock als 'Identitätsrock' (wer genau 'braucht' denn eigentlich ‚deutsch-nationalistische‘ Rockmusik und warum?), und zweitens bagatellisiert es die Rechtsrockszene in einem – für mich jedenfalls – nur sehr schwer verständlichen Maß: Rechtsradikale Musiker wie Michael Regener (alias Lunikoff), Daniel Giese und all die anderen mehr sind nun wirklich eine ganz andere Kategorie.

 

"Ich werde mein Bestes geben, die Debatte zu versachlichen"

regioactive.de: Wie sehen Sie Ihren Beitrag im Rahmen der Veranstaltung im Forum Mannheim, oder welche Schwerpunkte möchten Sie in der Diskussion setzen?

 

Dr. Thorsten Hindrichs: Ich werde jedenfalls mein Bestes versuchen, die Frei.Wild-Debatte im oben genannten Sinne zu versachlichen. Dazu gehört beispielsweise, den von Frei.Wild propagierten Heimat-Begriff genauer zu reflektieren, der eben doch ein ganz anderer ist als derjenige der Kastelruther Spatzen, nämlich ein ausschließender. Dazu gehört aber natürlich auch, sich das musikwirtschaftliche Netzwerk genau anzusehen, innerhalb dessen Frei.Wild sich bewegen und in dem sie durchaus auch der global player schlechthinzu sein scheinen.

 

Schließlich will ich auch versuchen, die Vernetzungen der aktuellen Deutschrock-Szene unter die Lupe zu nehmen, die in einigen Fällen bis in die hart rechte Szene hineinreichen. Kurz und gut: Mein Anliegen ist es zu verdeutlichen, dass das Problem nicht Frei.Wild heißt. Die sind ein Symptom, meinetwegen auch ein Teil des Problems, aber eben nicht das Problem; jedwede Art von Diskriminierung in der Popmusik, das ist das Problem!

 

regioactive.de: In der Diskussion um das Konzert der Band Frei.Wild in Mannheim wurde ja auch ganz konkret überlegt, wie und ob man das Konzert verhindern kann. Sind Verbote oder Verhinderungstaktiken aus Ihrer Sicht die richtigen Mittel, um mit der Band umzugehen?

 

Dr. Thorsten Hindrichs: Verbote sind immer nur dann sinnvoll, wenn Straftaten vorliegen oder zu erwarten sind. Beides sehe ich für den Moment bei Frei.Wild nicht gegeben und ich bezweifle auch sehr, dass die Band ein Interesse daran hat, sich in die Abteilung Straftaten vorzuwagen, schon allein marketingtechnisch wäre das doch höchst riskant. Demonstrationen beispielsweise sind hingegen selbstverständlich sinnvoll und zudem auch ein Grundrecht, selbst vor den Firmengeländen größerer Märkte für Unterhaltungselektronik, da von einer 'linksradikalen Bedrohung' zu sprechen ist ein Unding.

"Deutschrock-Partys sind in der rechten Szene beliebt"

regioactive.de: Gibt es Berührungspunkte der Musik von Frei.Wild -zur rechten Musikszene oder macht sie diese Szene sogar im Mainstream heimisch und in der öffentlichen Wahrnehmung salonfähig – nach dem Motto "Das muss man doch mal sagen dürfen"?

 

Dr. Thorsten Hindrichs: Abgesehen von der popmusikalischen Vergangenheit der Kaiserjäger gibt es aktuell keine direkt nachweisbaren Kontakte zwischen Frei.Wild und der rechten Szene; indirekt gibt es die aber durchaus. Das funktioniert – wie oben geschildert – vor allem über die Netzwerke 'befreundeter' Bands, die wiederum überraschend und/oder erschreckend wenig Schwierigkeiten damit haben, sich die Bühne mit Rechtsrockbands zu teilen oder in einschlägigen Locations zu spielen.

 

Darüber hinaus sind "Deutschrock-Partys" in Discos oder Kneipen (meist mit den Onkelz und Frei.Wild als musikalischen Zugpferden) auch in der hart rechten Szene enorm beliebt und funktionieren als rechte Kontaktbörse geradezu ideal. Dass aber umgekehrt Frei.Wild rechtsradikale Ideologien im Mainstream salonfähig machte, hieße in meinen Augen, die Bedeutung der Band vollkommen zu überschätzen. Die Ansicht, dass man dieses oder jenes doch mal sagen dürfe, haben vor Frei.Wild schon ganz andere Menschen wesentlich medien- und breitenwirksamer verbreitet (und tun es noch). Davon abgesehen sind diskrimierende Einstellungen doch ohnehin schon längst in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommen – sofern sie jemals überhaupt weg waren.

"Frei.Wild verkörpern ein Bedürfnis nach Identität"

regioactive.de: Wenn Frei.Wild, wie Sie sagten, keine Nazi-Band ist, warum die ganze Aufregung? Oder anders gefragt, wovor muss man die Zuhörer schützen, wenn überhaupt?

 

Dr. Thorsten Hindrichs: Schützen muss man Menschen nur vor Gefahren, eine Gefahr sind Frei.Wild aber eher nicht, denn das ist in meinen Augen eine vollkommen verkehrte Kategorie. Frei.Wild stehen für ein bei vielen Menschen offensichtlich vorhandenes Bedürfnis nach nationaler Identität, und das ist die eigentliche Debatte, die wir gesamtgesellschaftlich endlich führen müssen. Da ist es zunächst einmal auch vollkommen gleichgültig, ob dieses Bedürfnis sachlich gerechtfertigt ist, es ist da und das muss ernst genommen werden.

 

Erst dann können wir versuchen gemeinsam auszuhandeln, welche Identität „wir“ überhaupt genau benötigen und verwirklichen möchten, wie "wir" bestimmen möchten, wer zu welchen Bedingungen zu "uns" gehört und wer nicht (persönlich würde ich da ja eine möglichst große 'Lösung' auf Basis der allgemein geltenden Menschenrechte favorisieren) usw. – das ist die Debatte, um die es geht, und daran entzündet sich wohl auch "die ganze Aufregung", wie Sie sagen, denn Frei.Wild sind ja nicht die einzigen und auch nicht die ersten, die in Bezug auf die Frage „wer bestimmt eigentlich, wer dazu gehört und wer nicht“ eine recht kleine 'Antwort' anbieten.

"Reden, reden, reden"

regioactive.de: Die Fans der Band schweißt die kritische öffentliche Diskussion natürlich noch mehr zusammen. Das "Wir gegen den Rest der Welt"-Gefühl ist, wenn man sich die pro-Frei.Wild-Äusserungen in den Foren anschaut, die vorherrschende Reaktion. Wie kann man aus Ihrer Sicht mit der Band oder den Fans in Dialog treten?

 

Dr. Thorsten Hindrichs: Da gibt es sicher keine Patentlösung; reden, reden, reden, die Debatte möglichst versachlichen und sich auf die eigentlich zu Grunde liegenden Fragen konzentrieren wäre sicher schon ein guter Anfang. Und dann natürlich: Alternativen anbieten bzw. fördern, das ist ein Punkt, an dem dann auch ganz deutlich alle zentralen Akteure des Musiklebens gefragt sind.