Essen: Tod nach Zwangsräumung

Erstveröffentlicht: 
08.05.2013

Für Tote nicht zuständig - In Essen stirbt eine Frau nach der Räumung ihrer Wohnung, Verantwortung übernimmt niemand. In Essen stirbt eine schwerkranke Frau, wenige Wochen nachdem sie ihre Wohnung verlassen musste. Ihr Anwalt sieht einen Zusammenhang. Doch nach Verantwortlichen sucht man in der Stadt vergeblich.

 

Der Anruf kam überraschend für Jan Häußler: Ob er jemanden kenne, der die Beerdigungskosten übernehmen könne, wollte das Essener Ordnungsamt wissen. Seine Mandantin Frau K. sei diese Woche verstorben. Jan Häußler ist Sozialrechtsanwalt aus Essen. Der Tod einer krebskranken, gehbehinderten Frau - auch für ihn tragisch, aber nicht ungewöhnlich. Wäre da nicht die Vorgeschichte von Frau K.: Ende März wurde sie aufgrund von Mietschulden aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt. Einen Monat später war sie tot.

 

Sicher könne er nicht sagen, dass der »Tod nur auf die Wohnungsräumung zurückzuführen ist«, sagt Häußler. Mit Sicherheit habe sie aber »für das Wohlbefinden und die Gesundheit von Frau K. eine erhebliche Verschlechterung« dargestellt. Auf einem Internetportal für Hartz-IV-Bezieher machte er den Tod seiner Mandantin vergangene Woche öffentlich und erhebt schwere Vorwürfe gegen Essens Behörden. Die Stadt habe nichts getan, um zu verhindern, dass »Frau K. in diese Lage geraten ist und ihre Wohnung verloren hat«. Mehr noch: Frau K. habe zuvor sogar Ängste geäußert, die Räumung nicht zu überleben.

 

Zwangsräumung und Tod erinnern an den Fall der Berlinerin Rosemarie Fleiß. Am 11. April starb die schwerbehinderte Frau in einer Kälteunterkunft der Stadt. Auch sie war kurz zuvor aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt worden. Wie in Berlin ist das Interesse an dem Tod von Frau K. in der Essener Verwaltung gering: Ein Zuständiger im Amtsgericht findet sich nicht, der Gerichtsvollzieher ist nicht erreichbar. Behörden der Stadt verweigern die Auskunft. »Unwahrscheinlich« sei es, »dass der Tod sechs Wochen später mit der Räumung in Zusammenhang steht«, sagt der Pressereferent der Stadt, Stefan Schultze, nachdem er einräumte, den Fall gar nicht zu kennen. Sicher sei hingegen: Die Stadt habe »nichts mit der Sache zu tun«. Die Zwangsräumung im Essener Stadtteil Frohnhausen ist nur eine von 650, die aus privatrechtlichen Gründen wie Mietschulden vom Essener Amtsgericht im vergangenen Jahr angeordnet wurden. Rund 50 Betroffene landeten anschließend im Obdachlosenheim.

 

Auch Frau K. sollte in eine Notunterkunft gebracht werden, lehnte dies aber ab. Weil sie aufgrund ihrer Erkrankung eine »seniorengerechte Unterbringung« wollte und »aus Scham«, sagt Häußler. Der Darstellung, dass die Stadt keine Möglichkeit des Eingreifens hatte, widerspricht er deutlich. So sei es das Jobcenter der Stadt gewesen, das sich weigerte, die Miete der Frau zu begleichen. Neben dem Gerichtsvollzieher sei die Räumung außerdem von einem Vertreter einer Sozialbehörde begleitet worden.

 

Bodo Kolling vom Essener Sozialamt erinnert sich tatsächlich an eine solchen Fall. Namen könne er aus Datenschutzgründen nicht nennen: »Aber so viele Räumungen von gehbehinderten Frauen in diesem Alter haben wir in der Berliner Straße in diesem Zeitraum nicht.« An gesundheitliche Belastungen für die Betroffene erinnert er sich nicht. Allerdings gebe es diese bei Zwangsräumungen »doch fast immer«. Aussetzen hätte die Räumung aber nur der Gerichtsvollzieher können.

 

»Auf die Hilfe von Sozialbehörden und Gerichten konnte Frau K. nicht vertrauen«, gibt sich Häußler in seinem Appell resigniert. Eine Nachbarin nahm sich der vereinsamten Frau schließlich an. Für Essener Behörden hatte sich der Fall erledigt: Bis die Beerdigungskosten beglichen werden mussten.