Abschiebedrama der Familie Dodo: Waren Behördenfehler schuld?

Erstveröffentlicht: 
04.04.2013

Westerwaldkreis - Der Fall der syrischen Flüchtlingsfamilie Dodo aus Wirges, deren dramatische Abschiebung nach Polen nur in letzter Sekunde vom Verwaltungsgericht Trier gestoppt wurde, hat bundesweit hohe Wellen geschlagen. Dabei war es die Berichterstattung unserer Zeitung, die den Stein ins Rollen brachte und mit dafür sorgte, dass die Familie vorerst im Westerwald, wo sie mit Unterbrechungen seit fünf Jahren lebt, bleiben kann.

 

Das Asylverfahren der fünfköpfigen Familie wird nun in Deutschland bearbeitet. Dies ist auch ein klarer Erfolg der grünen Bundestagskandidatin im Wahlkreis 205 Andrea Weber, die sich mit einem Eilantrag an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages gewandt hatte. Dessen Vorsitzender, der bündnisgrüne Koblenzer Bundestagsabgeordnete Jürgen Winkler, reichte das Anliegen an das Bundesinnenministerium weiter. Einen Tag später zog das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Abschiebebescheid nach Polen zurück, weil im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Trier nach Angaben des Bundesinnenministeriums erstmals Beweise für die direkte Einreise der Flüchtlingsfamilie von Syrien nach Deutschland vorgelegt wurden.

Für die Familie Dodo hat sich damit zwar vorerst vieles zum Guten gewendet, doch die 32-jährige Mutter Shirin Idesch muss wegen ihres labilen psychischen Zustandes weiter im Krankenhaus behandelt werden. Umso tragischer ist es, dass das Abschiebedrama hätte vermieden werden können. Nach Recherchen unserer Zeitung lagen eindeutige Behördenfehler vor.

 

Fristverletzung: Abschiebebescheid erreichte Familie einen Tag vor der geplanten Abschiebung


Das Verwaltungsgericht Trier hat in seiner Eilentscheidung vom 19. März bereits den gravierendsten Verfahrensfehler moniert: Denn die Ausländerbehörde des Westerwaldkreises hat den Abschiebebescheid der Familie Dodo erst unmittelbar vor der geplanten Rücküberstellung bekannt gegeben. Auch der Kölner Anwalt der Familie Wim Mischok wurde nicht rechtzeitig informiert und konnte damit keinen Widerspruch einlegen. Fakt ist: Der vom 15. Februar datierende Abschiebebescheid des Bundesamtes ging nach Angaben von Landrat Achim Schwickert am 21. Februar bei der Ausländerbehörde ein. Der Bescheid wurde vom zuständigen Sachbearbeiter aber erst am 18. März zur Post gegeben - nur einen Tag vor der geplanten Abschiebung. Juristisch ist eine Frist von acht Tagen vorgeschrieben.

Karl Kahn, Pressesprecher des Kreises, begründet diesen Verfahrensfehler mit "Krankheitsfällen der Mitarbeiter". Die Post sei auf dem Schreibtisch liegen geblieben. "Verwaltungstechnisch ist etwas schief gelaufen", sagt Kahn. Das Schreiben blieb fast einen Monat lang unbearbeitet - ein schicksalhaftes Versäumnis. Zudem bleibt zu fragen, ob sich der Mitarbeiter der Fristverletzung nicht bewusst war und in Kauf genommen hat, dass die Familie abgeschoben wird, obwohl die Rechtsgrundlage dafür nicht einwandfrei war. Wäre der elfjährige Schiyar am 19. März nicht dem Aufgebot von acht Polizeibeamten entwischt, wäre die Familie vielleicht heute in einem Heim für Asylbewerber in Polen kaserniert.

 

Die Familie wird auseinandergerissen - eine Fehlentscheidung, die fast ein Menschenleben kostet


Nach der Flucht des Jungen erleidet die Mutter einen Nervenzusammenbruch. Die Abschiebung stockt: Die Beamten versichern sich über Handy bei der Ausländerbehörde, was zu tun ist. Ein Sachbearbeiter - oder war es sogar die Leiterin - entscheidet: Die Mutter bleibt, bis der Junge gefunden wird. Der 34-jährige Vater Idris Dodo und die vier und zwölf Jahre alten Töchter werden in Richtung Polen transportiert. Die Mutter erleidet einen Schock, will sich das Leben nehmen. Auf die Frage, wie man eine solch unmenschliche Entscheidung treffen und eine Familie in dieser Notsituation auseinanderreißen kann, sagt Kahn: "Es war unglücklich. Es war aber auch ein handwerklicher Fehler der Polizei. Den Schuh müssen wir uns beide anziehen."

Während sich der Kreis bisher auf die Position zurückgezogen hat, nur "ausführende Behörde" zu sein, hat das Ausländeramt hier autonom entschieden. Schwickert will die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft ziehen. "Wir haben den Fall kritisch besprochen, um künftig Fehler zu vermeiden", betont er. Die Familie sei bereits zwei Mal nach Polen als sicheres Drittland abgeschoben worden und widerrechtlich nach Deutschland zurückgekehrt. Weil die Familie über Polen nach Deutschland eingereist ist, so die inzwischen überholte Argumentation, sollte auf Weisung des Bundesamtes das Asylverfahren in Polen abgewickelt und die Familie dorthin abgeschoben werden. "Irgendwann musste dieser Beschluss umgesetzt werden", sagt Schwickert.

 

Ministerium betont: Keine Verfahrensfehler


Das BAMF hat den Abschiebebescheid aufgrund neuer Erkenntnisse inzwischen zurückgezogen. "Wären die Nachweise für die direkte Einreise nach Deutschland bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegt worden, hätte das Bundesamt (...) das Verfahren im früheren Stadium beendet", heißt es aus Berlin. Aus Sicht des Ministeriums liegen "keine Verfahrensfehler" der Ausländerbehörde vor.

 

Von unserer Redakteurin Stephanie Kühr