Rechte Lebenswelten in «Deutschrock» und «Oi»: rebellion der «unpolitischen»

Die Südtiroler Deutschrock Band Frei.Wild stürmt momentan die Charts und füllt grosse Konzertsäle in Deutschland – und auch in der Schweiz. Die Feuilletons der grossen Zeitungen übertreffen sich darin, die Band wegen ihrer Blut und Boden Rhetorik in Grund und Boden zu schreiben. Dem Erfolg der Band tut das keinen Abbruch. Denn sie bedient, wonach viele verlangen. Sie ist das Sprachrohr einer Rebellion, die keine ist und auch gar keine sein soll.

Rockmusik umgab schon immer der Mythos des Rebellischen. Sie ist seit jeher der Simulator der Flucht aus gesellschaftlichen Konventionen und das Versprechen eines «wilden» Lebens, das die Rocstars stellvertretend für ihre Fans führen sollen. «Rebellion» wird darin nicht als Widerstandshandlung gegen die herrschende Ordnung verstanden, sondern reduziert sich häufig auf das individuelle Bedürfnis, unangepasst und anders zu sein. Räume, in denen Dissidenz gelebt werden kann, verschwinden zunehmend. Was nicht von der Kulturindustrie verwertet werden kann, wird verdrängt. Die Gesellschaft demonstriert Offenheit und «Anything goes», doch sie fordert von Jedem und Jeder höchste Anpassung im ökonomischen Wettbewerb. Die Risiken, ein tatsächlich rebellisches Leben zu führen, sind angesichts der Entsolidarisierungsprozesse und zusammengebrochenen Sozialsysteme unkalkulierbar geworden. Das jugendkulturelle Bedürfnis nach Distinktion – der Abgrenzung von der breiten Masse, das Gefühl, etwas Aussergewöhnliches zu sein – bedienen heute zunehmend Genres wie «Deutschrock» oder «Oi», die einen rasanten Aufstieg in den Charts erleben.

Oi: Das ehrliche Leben auf der Strasse


Wer es etwas derber mag, der geht auf Konzerte «unpolitischer» Oi Bands. Oi nennt sich das Anfang der 1980er Jahre von der Musikindustrie installierte Label für politikfreien, spassorientierten und massenkompatiblen Punkrock. Es erlebt eine erstaunliche Renaissance. Skinheads, Punks und «Normalos» simulieren auf Festivals mit bis zu fünftausend Besuchern und Besucherinnen das ehrliche Leben «auf der Strasse» in Abgrenzung zu jedem intellektuellen Habitus. Sie stilisieren sich zu Aussenseitern und versteigen sich in blumige Phantasien von Widerstand und Rebellion gegen alle, von denen sie sich ständig gegängelt fühlen. Der Anspruch war immer schon bescheiden. «Wir wollten die Welt nicht verbessern, auch keine Politik mit unserer Musik betreiben, lediglich etwas angenehmer gestalten und Freude ins Wohnzimmer bringen»[sic!], erklärt retrospektiv die Band Vortex, die sich 1981 im neonazistischen Milieu gründete und vor wenigen Jahren als «unpolitische» Band, mit ihren alten Songs auf der Tracklist, neu erfand. Nicht wenige Musiker, die heute auf den Oi Konzerten gegen Politik wettern, haben ihre Geschichte und Sozialisation in der extrem rechten Skinheadszene. Die zunehmende Repression gegenüber neonazistischen Auftritten und Aussagen zwang sie, Prioritäten zu setzen. Sie strichen die politisch radikalen Passagen aus ihren Liedtexten und stellten sich gegen «Extremismus». Die, die sich zuvor als militante Vorhut des Stammtisches empfanden, kommen in der Bürgerlichkeit des Männerstammtisches an. Sie werfen keine Brandsätze mehr auf Flüchtlingsheime, gehen nicht mehr auf Aufmärsche und distanzieren sich von der Radikalität, die sie einst gelebt haben. Doch ihre Wertewelt haben sie im Wesentlichen konserviert: Arbeitsethos, Familie, Nationalstolz, Homophobie, Antifeminismus, die Inszenierung als Männergang mit all ihren Ehrbegriffen, ihrer Ästhetik und Körpersprache.

Gegen die «Gutmenschen»


Zu dieser Oi Szene stossen Punks, die sich den linken Zentren und Themen, mit denen sie aufwuchsen, entfremdet haben. Die Diskussionen der Linken, oft vorgetragen mit einem studentisch elitären Gestus, werden zunehmend als Bevormundung und Einschränkung empfunden. Die Hinwendung zum subkulturellen Karneval des Oi ist für sie die persönliche Befreiung und Rückgewinnung ihrer subkulturellen Identität. Das Subkultur Business ist ein dritter und wesentlicher Akteur, der dem Deutschrock und Oi den Weg bahnt: Alleine in Gegenden wie Berlin Kreuzberg verdient eine dreistellige Anzahl von Menschen ihr Geld mit Konzertveranstaltungen und in Kultur betrieben. Ein Event, das einen geringen (politischen) Anspruch formuliert, erreicht gemeinhin mehr zahlende Gäste. Der Markt ist umkämpft, von irgendwas muss man leben und immerhin: Die Bands distanzieren sich ja vom «Extremismus». Das Bedürfnis nach Identität und Individualität führt, sobald es auch von anderen geäussert wird, postwendend zum Entstehen eines Marktes, der genau dieses Bedürfnis bedient. Das wiederum führt zur erneuten Vermassung. Es ist das alte, unlösbare Problem der Gegenkultur. Die, die sich nun auf Deutschrock und Oi Festivals gemeinschaftlich an stumpfen Hooligan Hymnen wie «Troublemaker Germany» der (vermeintlich unpolitischen) Band Krawallbrüder berauschen, bestechen durch ihr völliges Desinteresse an Sehnsüchten und Utopien. Genau darin liegt die Attraktivität: Ein Outlaw Dasein jenseits der polarisierenden politischen Konfrontationslinien. Mal distanziert man sich von links, mal von rechts, meist von beiden, und geht «seinen» Weg ohne Konsequenzen und Risiken. Politisches Handeln sei Unterwerfung. «Unpolitisch» zu sein verheisse Befreiung von der «Meinungsdiktatur» der «Gutmenschen». Man betont, «unabhängig» zu sein und eine «eigene Meinung» zu haben – etwas, was angepasste oder politische Menschen in dieser Logik angeblich gar nicht haben können. Die Spass und Saufkultur, die sich aus allem heraus halten möchte, wird zum Akt des Nonkonformismus.

Frei.Wild: Musikantenstadl mit E-Gitarren


Die, denen das Punk und Skinhead Ambiente zu schmuddelig oder zu brachial ist, finden sich heute in ausverkauften Hallen bei Frei.Wild ein. Das aktuelle Album «Feinde deiner Feinde» der aus Südtirol stammenden, patriotischen Deutschrock Band stieg im Oktober 2012 auf Platz zwei in die Charts ein. Zuvor, im Juni, gab es einen gemeinsamen Auftritt mit der Südtiroler Volksmusikgruppe Kastelruther Spatzen. Vorläufer der 2001 gegründeten Frei.Wild war die Neonaziband Kaiserjäger. Deren Phantasien, in denen ihre Tiroler Heimat durch Skinheads von «Weicheiern wie Raver und Hippies und Punks» zu säubern sei, findet man heute nicht mehr in den Texten von Frei.Wild. Zehntausende, von der Küste bis zum Rhein, singen nun mit: «Ja unser Heimatland, es ist so wunderschön, das kann man auch an unsren Bergen sehn, sie ragen stolz zum Himmel hinauf, schon unsere Ahnen waren mächtig stolz darauf...». Nach der Auflösung der Kultband Böhse Onkelz im Jahr 2005 schwangen sich Frei.Wild zu deren Erbfolgern auf und kopierten zielgenau das Böhse Onkelz Image: Die, die es schwer hatten. Die, die mal krass drauf waren. Die Unverstandenen und die Verfemten. Die, die es allen zeigen werden. Politisch wollen Frei.Wild nicht sein: «Ihr seid dumm, dumm und naiv, wenn ihr denkt, Heimatliebe ist gleich Politik» lautet eine ihrer Textzeilen. Patriotismus gerät zum natürlichen Empfinden fernab von Politik und Ideologie. Auch die «wahren Werte», die Frei.Wild in einem gleichnamigen Lied von 2010 besingen, sind demnach vom Gefühl geleitet: «Heimat heisst Volk, Tradition und Sprache», «Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat. Ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk», «Wo soll das hinführen, wie weit mit uns gehen, selbst ein Baum ohne Wurzeln kann nicht bestehen.» Die Annahme, dass ein Mensch Heimat, also Zugehörigkeit, nur finden könne, wenn er durch Brauchtum und Herkunft mit seiner Heimaterde verwurzelt ist, ist das Kernelement der Blut und Boden Ideologie. Frei.Wild ist hochpolitisch. Und stramm rechts. Die extreme Rechte hat den Wert dieser Metapolitik verstanden. Im neonazistischen Internet TV-Sender FSN schwärmte im Oktober 2012 der Moderator vom neuen Frei.Wild Album: «Das ist absolut patriotisch. (...) Das ist nicht hundert Pro zent nationaler Widerstand. Man muss immer den Gesamtzusammenhang sehen. Wir haben aus dieser Band die Möglichkeit, (...) in noch extremerem Masse zu profitieren, als (...) durch die Böhsen Onkelz.»

Das Konstrukt des Unpolitischen


Es hat keinen Sinn, mit dem Duden in der Hand vor dem Frei.Wild Konzert zu versuchen, die Fans davon zu überzeugen, dass die Frei.Wild‘schen Definitionen von «Politik» und «Rebellion» völliger Unsinn sind. Welchen Wert hat der Duden gegenüber der Phrase, mit der die Band auf ihrer MySpace Seite sich und ihre Songtexte er klärt: «Eine Sprache, die lebt und viel zu tiefgründig und nah aus dem Leben ist, als dass sie jemals politisch sein könnte». Nicht nur mit dieser Aussage zeichnen Frei.Wild ein Bild des Politischen, das schlichtweg reaktionär ist. Politik wird auf Parlamente und Parteien reduziert, vielleicht noch auf die, die sich selbst als politisch verstehen (die «Extremisten» von links und rechts). Politik ist Machtausübung und Machterhalt. Demgegenüber steht das Verständnis von Politik, welches in einer «freien» Gesellschaft Bestand haben sollte. Politisch ist jede Auseinandersetzung, jede Idee, jedes Handeln darüber, wie Gesellschaft gestaltet werden soll. Darin ist jeder Mensch eine mündige und politisch handelnde Person. Alleine dadurch, dass jeder Mensch Meinungen und Wertvorstellungen transportiert, Ansprüche und Forderungen an die Gemeinschaft stellt, nimmt er Einfluss auf das gesellschaftliche und politische Leben. Diese Erkenntnis – das Einmaleins dessen, was Demokratie ist – verliert sich in den Pseudo-Weisheiten «unpolitischer» Rockstars, die doch ständig politisch reden und singen. Frei.Wild sind die gelebte Konformität und das Gegenteil des Aufbruchs in ein anderes Leben. So wie es angeblich immer war, so soll es bleiben. Sie versöhnen die «wilde» Jugend mit der Elterngeneration im Musikantenstadl. Sie bedienen in der überwiegenden Mehrheit Menschen, die mit ihrer meist ländlichen Heimatregion eng verbunden sind und nicht gerade von der Abenteuerlust getrieben werden, mal etwas Neues auszuprobieren. Frei.Wild bieten Ordnung, Überschaubarkeit und Bodenständigkeit. Sie präsentieren einen Gegenentwurf zur modernen Gesellschaft und stilisieren sich darüber als Gegenkultur.

Grössenwahn und Verfolgungswahn


Die Band Böhse Onkelz hat das Deutschrock-Genre geprägt wie keine zweite. Die ehemalige Neonazi-Skinhead band distanzierte sich um 1987 von rechts, wandelte sich zum «Unpolitischen» und stieg zu einer der erfolgreichsten deutschen Rockbands der 1990er Jahre auf, obgleich sie ihren rechten Fankreis und ihr rechtes Image nie los wurde. Viele Krawallbrüder und Frei.Wild-Fans von heute wuchsen in ihren Elternhäusern mit den Böhsen Onkelz auf. Das, was die Böhsen Onkelz zu sagen hatten und was ihnen von ihren Müttern und Vätern weitergegeben wurde, haben sie verinnerlicht: Dass man zum Kreis derer gehöre, die das wahre Leben verstanden hätten und die sich gegen eine Welt von Feinden zu erwehren hätten. Dass man immer Opfer sei, dass es keine eigene Schuld oder Verantwortung gäbe. Und dass man Deutsch-Sein doch mit Unbefangenheit und Stolz demonstrieren könne. Das Gefühl, unverstanden zu sein und abgelehnt zu werden, ist vielen Subkulturen immanent und in Adoleszenzphasen allgegenwärtig. Es wird dann problematisch, wenn es sich mit Überlegenheitsdenken anreichert und zu einem Lebenskonzept verfestigt. Denn es gibt keine rechte Ideologie, die nicht auf der Kombination von Grössenwahn und Verfolgungswahn, von Selbsterhöhung und Opferstilisierung, gebaut ist. Das widersinnige Konstrukt der unpolitischen Rebellion funktioniert für den einzelnen Fan vortrefflich. Kritische Töne gehen im Lärm der Deutschrock-Party unter und werden als Misstöne von unwissenden, nicht Mitsprache berechtigten Miesmachern abqualifiziert. Die Lamentos des Feuilletons und der Linken können von aussen nicht eindringen. Für jede Nachfrage gibt es das passende Angebot. Die Wahrheit steht auf Facebook.