Vom Lauscher zum Lautsprecher

Erstveröffentlicht: 
18.10.2012

Der Beamte, der im Verfassungsschutz Baden-Württemberg die Überwachung des „Ku Klux Klans“ verriet, war selbst für die Überwachung zuständig. Nach meinen Recherchen war der Beamte in der „G10-Stelle“ des Amtes eingesetzt. In dieser besonders gesicherten Abteilung innerhalb des Amtes werden Überwachungsmaßnahmen wie Telefon- oder Internetüberwachung abgewickelt. Die Stelle heißt so, weil bei diesen Eingriffen das Grundrecht der Bürger aus Artikel 10 Grundgesetz betroffen ist – und das entsprechende Gesetz zur Durchführung solcher Maßnahmen „G10-Gesetz“ heißt.

 

Es soll nicht der erste und nicht der letzte Regelverstoß des Mannes gewesen sein. So soll er bereits vor seinem Verrat Möglichkeiten des Verfassungsschutzes missbraucht haben, weil er sich höchst privat für eine Polizistin des benachbarten Landeskriminalamtes interessierte. Als er im Verfassungsschutz aufflog, wurde er in die Verwaltungsabteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart versetzt. Dort ahnte man allerdings wohl nicht, warum der Mann kam, denn er wurde im Referat 11 eingesetzt – das unter anderem für die Kommunikationstechnologie des Regierungspräsidiums zuständig ist. Zweifellos: Mit diesem Thema kannte er sich aus. Allerdings war auch seine Zeit beim Regierungspräsidium nicht reibungsfrei. Es sei zu einem Vorfall gekommen, bei dem er „distanzlos“ gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft sei informiert worden und es sei zu einem Strafbefehl gekommen – jedoch unterhalb der Schwelle, ab der es beamtenrechtliche Konsequenzen gegeben hätte, heißt es in Stuttgart.

 

2006 entschied sich der Beamte dann, um seine Beurlaubung zu bitten. Er wanderte mit einigem öffentlichen Brimborium zusammen mit seiner Frau nach Nordamerika aus und versuchte sich in Pferden: Ob Reitunterricht, Kaufberatung oder die Pflege der Hufe. Im Internet finden sich zahlreiche Anleitungen („wie bekommt man das Pferd in eine Box?“) und Videos in bester Cowboytradition. Zigarettenhersteller hätten ihre Freude an den Filmen, J.R. Ewing lässt grüßen.

 

Trotzdem wollte der Mann nach fünf Jahren wieder zurück nach good old germany. Mit einer Email signalisierte er schon vor fast einem Jahr, dass er seine Beurlaubung beenden und wieder in den Staatsdienst zurückkehren wolle. Und zwar wieder an seine alte Wirkungsstätte: In das Landesamt für Verfassungsschutz. Offiziell ist er dort nämlich nie weg gegangen. Seine Zeit im Regierungspräsidium war beamtenrechtlich „nur“ eine Abordnung.

 

War das dreist, dämlich oder cool, fragt man sich jetzt in der Landesverwaltung. 2002 kam der Beamte um ein Strafverfahren herum, weil es für den Verfassungsschutz wichtiger war, die Sache still zu regeln und nicht weiteren Schaden anzurichten und die Operation zu gefährden. Es ist schwer, diese Entscheidung im Nachhinein zu bewerten. Waren die Operation und der Ruf des Verfassungsschutzes wichtiger, als die Strafverfolgung? Waren Rechtsgüter, wie die Sicherheit von Mitarbeitern oder gar V-Personen wichtiger, als die Sanktion des Geheimnisverrats? Möglicherweise ist die Tat von damals inzwischen verjährt. Es ist Spekulation, ob der Mann so lange gewartet hat, bis er die Rückkehr versuchte. Vielleicht war er juristisch beraten. Oder er hat Glück gehabt.

 

Doch der Rückkehrwunsch zum Verfassungsschutz könnte sich jetzt für mehrere Beteiligte als Bumerang erweisen. Es scheint gut möglich, dass der Fall noch zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss führen wird. Denn warum dauerte es Monate, bis in der jetzigen Landesregierung Brisanz und Tragweite der Angelegenheit erkannt und der Minister einbezogen wurde?

 

Im August informierte Innenminister Reinhold Gall den Innenausschuss des Landtages sowie die Medien über die Vorgänge rund um den Ableger des „Ku Klux Klans“ sowie zwei baden-württembergische Polizisten. Damals war der Rückkehrwunsch in der Landesverwaltung lange bekannt. Doch Gall wurde von dem brisanten Vorgang offenbar noch nicht informiert. Dabei dürfte der Rückkehrwunsch auch über den Schreibtisch des für Personal zuständigen Ministerialdirigenten Dr. Reinhard Klee gewandert sein. Dr. Klee ist in mehrfacher Hinsicht Fachmann: Sein Doktortitel resultiert aus der akademischen Beschäftigung mit den Strukturen der Verfassungsschutzbehörden (eine durchaus lesenswerte Arbeit). Heute ist er als Abteilungsleiter 1 im Innenministerium unter anderem für Rechtsfragen zuständig. Allerdings nur an drei Tagen in der Woche – weil er in Thüringen mit der Neuordnung des Verfassungsschutzes beschäftigt ist. Und Anfang der 2000er Jahre war er Referatsleiter im Innenministerium für die Fachaufsicht über den Verfassungsschutz. Er dürfte also schon damals eingebunden gewesen sein.