Interview: Ulmer Polizeichef zieht Bilanz zum 1. Mai

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Erstveröffentlicht: 
08.05.2009

Auch eine Woche nach dem rechten Mai-Aufmarsch, den Gegendemonstrationen und dem Polizeieinsatz wird kontrovers diskutiert. Wir haben mit Karl-Heinz Keller, dem Chef der Polizeidirektion, gesprochen.
von Edwin Ruschitzka

 

 

Nimmt man Ihren jüngsten Polizeibericht zum Maßstab, so war der 1. Mai in Ulm eine ziemlich gewalttätige Veranstaltung. Warum?

 

KARL-HEINZ KELLER: Wir hatten in Ulm selten zuvor ein so großes Gewaltpotential wie am 1. Mai aus dem rechten und linken Lager. Das Gewaltpotential ist ausschließlich von außen angereist, die meisten aus den Räumen Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg und auch aus Bayern. Als ich um18 Uhr durch Ulm gelaufen bin, war die Stadt wieder so friedlich wie immer. Zuvor kam es aber zu Gewaltausbrüchen. Polizeibeamte wurden angegriffen und durch Flaschen- und Steinwürfe verletzt. Auf sie wurden auch in Deutschland verbotene TNT-Böller geworfen, die zu Verletzungen und Hörschäden führen können. In der Nacht zuvor wurden Pflastersteine ausgegraben und bereitgelegt.

 

Wie Sie auch den Leserbriefen entnehmen können, gibt es Kritik an der Polizei. Man wirft Ihnen eine falsche Strategie vor.


KELLER: Leserbriefe sind immer Einzelmeinungen. Wer die Übergriffe von Linksautonomen vor allem in der Sattlergasse und auf dem Bahnhofsvorplatz gesehen hat, weiß, dass die Situation für Ulm außergewöhnlich war. Es war unser Auftrag, friedliche Demonstrationen zu gewährleisten. Das ist uns im Wesentlichen bei den DGB-Veranstaltungen gelungen.

 

Vor allem die so genannte Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit ist ziemlich brachial vorgegangen. Warum haben Sie deren Einsatz angeordnet?


KELLER: Wir hatten zuerst andere Polizeieinheiten im Einsatz. Weil die hohe Gewaltbereitschaft schon relativ bald zu erkennen war, haben wir zum Beispiel die Sattlergasse mit stärkeren Kräften umstellt, um gewaltbereite Demonstranten von friedlichen zu trennen.

Wie kommt es, dass gerade diese starke Einheit kaum Unterschiede zwischen den gewaltbereiten und den friedlichen Demonstranten gemacht hat?


KELLER: Diese Frage suggeriert etwas Falsches. Wo es immer möglich war, haben wir deeskalierend gewirkt, auch unser Anti-Konflikt-Team mit gutem Erfolg eingesetzt. Wir hatten aber auch Erkenntnisse, dass etwa 150 gewaltbereite Autonome schon die Veranstaltung des DGB unfriedlich unterlaufen wollten. Diese Leute haben wir in Gewahrsam genommen und am Abend wieder freigelassen.

Glauben Sie nicht, dass gerade das martialische Vorgehen der schwarzen Polizeieinheiten zur Eskalation beigetragen hat?


KELLER: Ich gebe zu, dass das Auseinanderhalten von gewaltbereiten und friedlichen Demonstranten nicht immer einfach ist, wo sie sich vermischen. Das ist das Ziel der Autonomen. Beispielsweise im Verlauf des Nachmittags auf dem Bahnhofsvorplatz. Dort war das Vorrücken der Wasserwerfer zuerst sehr abwartend und defensiv. Bei diesem Einsatz will ich nicht ausschließen, dass vom Vorgehen der Polizei auch friedliche Gegendemonstranten betroffen waren. Das werden wir in jedem uns gemeldeten Einzelfall entsprechend überprüfen.

 

Was sagen Sie zum Vorgehen der Polizei in Mainz? Dort machten sich die Neonazis auf den Rückzug, weil die Bürger den Bahnhofsplatz friedlich besetzt hatten.


KELLER: Ich kann die Situation in Mainz nicht beurteilen, weil ich auch die örtlichen Gegebenheiten nicht kenne.

Aber warum war so etwas in Ulm nicht möglich?


KELLER: Eines steht für Ulm doch fest: Da wurde im Vorfeld schon lange und öffentlich darüber diskutiert, die Rechten mit einem Frühstück im Bahnhof zu begrüßen. Das ist nichts anderes, als die Absicht, den Bahnhof zu besetzen. Dabei kann die Polizei nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir dürfen so etwas nicht ignorieren.

Wundern Sie sich über Vorwürfe, die Polizei mache Neonazis mit aller Staatsgewalt den Weg frei und schränke gleichzeitig die Gegendemonstrationen ein? Der Neu-Ulmer CSU-Landrat verglich solch einen Staat mit einem Nachtwächterstaat.


KELLER: Die Polizei hat doch nicht die Freiheit, richterliche Entscheidungen zu ignorieren. Die Gerichte und die Polizei können sich nicht über das Gesetz stellen. Und so lange die Gesetze so sind, wie sie sind, müssen wir friedliche Demonstrationen gewährleisten. Gerade deshalb halte ich öffentliche Schelte von Politikern gegenüber den Gerichten und der Polizei auch nicht für angesagt. Grundsätzlich können nur die Politiker selbst mit ihren Mehrheiten für eine andere rechtliche Situation sorgen.

Warum wurden die Donaubrücken gesperrt und auch friedliche Menschen daran gehindert, auf die bayerische Seite zu gehen?


KELLER: Wir haben die Kontrollstellen deshalb eingerichtet, weil damit zu rechnen war, dass auch die Gewaltbereiten nach Neu-Ulm gehen. Damit haben wir erreicht, dass es in Neu-Ulm keine Ausschreitungen gab. Dass im Einzelfall friedlich gestimmte Passanten betroffen waren, liegt an den besonderen Umständen dieses Tages.

Mit der jüngst gegründeten Ermittlungsgruppe haben Sie den Eindruck erweckt, als wollten Sie nur gegen die Gegendemonstranten vorgehen. Erst auf Nachfragen erklärte Ihr Pressesprecher, dass diese Gruppe auch die Neonazis und das polizeiliche Vorgehen überprüfen wird. Musste so eine einseitige Darstellung eigentlich sein.


KELLER: Wir haben auch die Rechten auf Straftaten überprüft, aber nur in zwei Fällen das Mitführen von verbotenen Gegenständen festgestellt. Wir verfolgen alle Straftaten, die uns gemeldet werden, und legen sie der Staatsanwaltschaft vor. Ich hätte mich gefreut, wenn die Friedlichen nicht von Chaoten gestört worden wären.

Es scheint so, als wollten die Neonazis den 1. Mai für Aufmärsche in Ulm und Neu-Ulm auf Dauer installieren. In rechten Internet-Plattformen wurde von einem idealen Verlauf gesprochen. Was würden Sie, angesichts ihrer Erfahrungen, am 1. Mai 2010 anders machen?


KELLER: Eigentlich will ich darüber überhaupt nicht spekulieren, was kommen könnte und was nicht. Weil ich das nicht in der Hand habe. Und ich wäre froh, wenn man darüber nicht allzuviel sprechen und auch schreiben würde. Das Positive an diesem 1. Mai war doch, dass sich unsere Gesellschaft mit dem Thema Rechtsextremismus auseinander gesetzt hat. Und jetzt muss darüber auch weiter diskutiert werden. Gerade auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist das überaus wichtig.

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Zur Person
Karl-Heinz Keller ist Kriminaldirektor und auch Chef der Ulmer Polizeidirektion. Am 1. Mai leitete der 55-Jährige den Polizeieinsatz in Ulm. Keller wohnt in Sigmaringen, er war vor fünfeinhalb Jahren von der Polizeifachhochschule zur Ulmer Kripo versetzt worden.