Hessische Hausbesetzer: Wir kämpfen für mehr Irrelevanz

Erstveröffentlicht: 
10.07.2012

Das ist unser Haus: Seit zehn Jahren halten Studenten in Frankfurt ein Uni-Gebäude besetzt. Jetzt wurde es verkauft. Die renitenten Hessen sagen, sie lernen, diskutieren und philosophieren dort. Der Chef der Immobilienfirma sagt, sie seien ein Haufen Irrer. Ein Ortsbesuch kurz vor der Räumung.

 

Sie haben prominente Unterstützer und potente Gegner, die Hausbesetzer im Frankfurter Westend. Sie nennen sich Institut für vergleichende Irrelevanz, kurz, Ivi, halb Frankfurt diskutiert seit Monaten darüber. Es ist eine Mischung aus linker Wohngemeinschaft, Gegen-Universität, alternativem Kulturzentrum und Partylocation.

 

Im Wintersemester 2002/2003 besetzten Studenten das leerstehende Haus im Kettenhofweg 130, nachdem die Frankfurter Goethe-Universität nach und nach das traditionelle Uni-Viertel Bockenheim verlassen und einen neuen, schicken Campus bezogen hatte. Früher wurde in dem Haus Anglistik und Amerikanistik gelehrt. Sie tauften das Gebäude Institut für vergleichende Irrelevanz - nach Umberto Eco, der ein solches Institut für seinen Roman "Das Foucaultsche Pendel" erfunden hatte. Motto: "Kritisches Denken braucht Zeit und Raum". Oder auch: "Theorie, Praxis, Party". Fast zehn Jahre ging das gut.

Dann verkaufte die Universität das Gebäude an die Immobilienfirma Franconofurt. Seither vergeht kein Tag, an dem das Ivi nicht in den lokalen Medien auftaucht. Es geht um ausgebaute Türen und verbarrikadierte Fenster, um abgestelltes Wasser und überbrückten Strom, um falsche Namen und Sitzblockaden. Aber es geht auch um das Selbstverständnis einer Stadt, in der viele sich beim Thema Hausbesetzer an die siebziger Jahre erinnern.

Der Kettenhofweg trennt das teils heruntergekommene Bockenheim vom schicken Westend. Zwischen Gründerzeitvillen wirkt der Fünfziger-Jahre-Kasten schon mit seiner Fliesenfassade wie ein Fremdkörper - hinzu kommen Plakate, Graffiti und ein Gärtchen, das wie zum Kindergeburtstag geschmückt ist.

 

"Die meisten würden sich als linksradikal bezeichnen"

 

Die zusammengezimmerte Eingangstür ist von innen verbarrikadiert, seit sie der neue Eigentümer im Mai ausbauen ließ. Oliver Sonnenschein, 29, hebt Eisenstangen und Holzbalken aus den Verankerungen, um Besucher einzulassen. Der Jura-Student trägt einen Anzug, aus dem Untergeschoss dringt klassische Klaviermusik.

Das Ivi stehe allen offen, die den Grundkonsens akzeptierten, sagt Sonnenschein, der zum festen Kern gehört. Der Grundkonsens: Kein Faschismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie, Ausbeutung - ein Kanon linker Werte also, wenn auch wohl extremer definiert: "Die meisten hier würden sich als linksradikal bezeichnen", sagt Sonnenschein, der - wie alle hier - eigentlich anders heißt.

Mit weichgespülten politischen Positionen wie der Occupy-Bewegung habe man nichts am Hut, sagt er. Trotzdem gibt es Cola, die Leute arbeiten an Apple-Rechnern, das Ivi chattet, twittert, facebookt, schickt Rundmails und pflegt die Homepage - Hausbesetzung 2.0.

Etwa 15 Menschen leben derzeit in der Kommune, wenn größere Veranstaltungen sind - wie zuletzt eine Tagung über die "Möglichkeiten emanzipatorischer Kunst heute" - kommen Hunderte Gäste. Einige Dutzend sind es bei den wöchentlichen Treffen wie der Montagskantine, bei denen es günstiges Essen gibt. Im ersten Stock gibt es ein Atelier, in dem Kunstausstellungen stattfinden, und eine Art Bibliothek, in dem ein queer-feministischer Lesekreis vorbereitet wird, in der Turnhalle nebenan warten Sandsack, Matten und Turnkästen.

In der provisorischen Küche stehen bemalte, beklebte, und mit Wolle umwickelte Gartenzwerge, an der Tür kleben Aufkleber. "Wohnst Du noch oder bist Du schon geräumt?" und: "Less Party, more Politics". Für den Abwasch muss eine Plastikschüssel genügen, der Herd wird mit illegalem Strom betrieben.

 

Irgendwann kommt die Polizei, das ist allen klar

 

Denn im Juni rückten eines Nachts Mitarbeiter des Strom- und Wasserversorgers an und kappten die Leitungen. Die Besetzer trommelten ihre Leute zusammen - im Hausjargon "Aktivist_innen und "Unterstützer_innen" genannt. Die Arbeiter bekamen Angst und riefen die Polizei.

Schon im Mai gab es Streit, als die neuen Besitzer die Eingangstür ausbauen ließen. Kurz darauf wurden im Büro der Franconofurt AG Wände beschmiert und Scheiben eingeschlagen. Der Chef der Firma, Christian Wolf, sagt inzwischen, er wolle mit den Leuten nichts zu tun haben. Er verhandle nur mit normalen Menschen, nicht mit Irren. Aus Angst vor persönlichen Übergriffen wurden die Fotos der leitenden Mitarbeiter von der Homepage gelöscht.

Wieso kauft eine auf hochwertige Immobilien spezialisierte Firma so ein Haus, das - auch wenn es unter Denkmalschutz steht - von den meisten Menschen als hässlich empfunden wird? "Es war sehr günstig", sagt Wolf, und gut gelegen. In der "Süddeutschen Zeitung" wehrt er sich nicht gegen den Vorwurf, seine Firma sei eine Heuschrecke: "Wir kaufen Häuser, verwerten sie, fliegen weiter. Das trifft schon zu", sagte er. Er habe zwar gewusst, dass das Haus besetzt sei. "Ich wusste aber nicht, dass sich dort die letzten Reste der RAF und sonstige Linksradikale verschanzt halten."

 

Die Uni hat verkauft und fühlt sich nicht mehr zuständig

 

Von der Polizei fühlt er sich im Stich gelassen. Die nämlich verweist auf die Justiz: "Da sind jetzt erst mal die Gerichte gefragt", sagt der Sprecher der Frankfurter Polizei Rüdiger Reges. Schließlich sei die Besetzung jahrelang geduldet worden, die Universität habe sogar Strom und Wasser bezahlt. Bevor die Franconofurt kein Räumungsurteil vorzuweisen habe, könne die Polizei nicht helfen.

 

Professor Axel Honneth, Direktor des Instituts für Sozialforschung, beobachtet das Ivi mit wachsender Sympathie, wie er selbst sagt. Es verstehe sich mit einer gewissen Berechtigung als Gegen-Universität: "Man beschäftigt sich mit Themen und Theorien, die in der etablierten Universität keine angemessene Resonanz finden, und übt andere Diskussionsformen ein, die frei sind von der einseitigen Autorität der Lehre".

Er fände es gut, wenn die Uni Ersatzräume bereitstellen würde. Dort fühlt man sich aber seit dem Verkauf nicht mehr verantwortlich, wie Uni-Sprecher Olaf Kaltenborn betont. Es habe sich ja nie um ein Institut der Universität gehandelt, sondern um ein illegal besetztes Haus. Die meisten Besetzer seien übrigens gar keine Studenten. Die Erlöse aus den Immobilienverkäufen kämen dem neuen Campus zugute.

Im ehemaligen Hörsaal, in dem noch die Auditoriumsreihen stehen, ist jeden Montagabend Plenum und Diskussion: Wer darf rein? Wer fliegt raus? Was ist der Sinn des Lebens? Wann die nächste Party? Und wie besänftigen wir die Nachbarn, die gerade wieder mal wegen des Lärms am Wochenende Unterschriften sammeln? Neuerdings häufig auf der Tagesordnung: die drohende Räumung. Irgendwann kommt die Polizei, das ist allen klar. Bis dahin aber wolle man kämpfen, sagt Sonnenschein. Und wie? "Wir wollen zeigen, dass wir relevant sind".

 

Sandra Trauner/dpa/fln

 

Fotostrecke: http://www.spiegel.de/fotostrecke/frankfurt-institut-fuer-vergleichende-irrelevanz-soll-geraeumt-werden-fotostrecke-84629.html