Hintergrundinformationen zur Thematik im Vorfeld der Tour GREEN IS THE NEW RED

Green is the new Red

Zwischen dem 3. und dem 14. Juni 2012 befindet sich der US-amerikanische Journalist und Autor Will Potter auf Tournee durch Deutschland, Österreich und die Schweiz, um sein Buch "Green is the New Red" vorzustellen. Alle Stationen der Tour sind hier einsehbar: http://www.assoziation-daemmerung.de/tour/. Will Potter ist ein unabhängiger Journalist aus Washington D.C., der für seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet wurde. Er befasst sich vor allem mit "Ökoterrorismus", der Ökologie- und Tierrechtsbewegung sowie den Einschränkungen der bürgerlichen Freiheitsrechte nach 9/11. Will Potter schreibt für diverse Zeitungen und Zeitschriften, darunter "The Chicago Tribune", "The Dallas Morning News" und das "Journal Vermont Law Review", und hat bei Anhörungen des US-amerikanischen Kongresses über seine Berichterstattung Zeugnis abgelegt. Er ist Urheber der Internetseite "GreenIsTheNewRed.com" und Autor des Buches "Green is the New Red", das bei City Lights Books erschienen ist.

 

Im Vorfeld wollen wir hiermit einige Hintergrundinformationen zur Thematik geben, die deutlich machen, weshalb diese unserer Meinung nach für alle politisch Aktiven und und für alle sozialen Bewegungen von großer Relevanz ist.

 

Umweltschutz ist en vogue – sogar 73 % der gemäßigten bis konservativen US-amerikanischen Wählerinnen und Wähler sprachen sich im Jahr 2007 für eine akute Handlungsnotwendigkeit gegen globalen Erwärmung aus. Das neue Ökophänomen ist ein gerne von den Medien aufgegriffenes Thema. Das Mainstreaming von Umwelt- und Tierschutzanliegen wird allerdings von einem anderen, weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Trend begleitet: Einem methodischen, sich ständig ausweitenden behördlichen Vorgehen gegen die Tierrechts-/Tierbefreiungs- und die Umweltbewegung – während die Öffentlichkeit und die Presse den Klimawandel und andere Umweltthemen zum Top-Thema machten, wurden sie in zunehmendem Maße zu einem der Hauptbetätigungsfelder des politischen Repressionsapparates.

 

Die Kriminalisierung der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung hat Ausmaße angenommen, die jeglichen Protest gegen die wirtschaftliche Vernutzung von Tieren mehr und mehr als terroristischen Akt bestimmt. Was in den 1920er Jahren als „Red Scare“ gegen KommunistInnen und AnarchistInnen begann, erfährt mit „Green Scare“ historische und politische Kontinuität: In ihrem Bericht von 2008 hat EUROPOL die Ökologiebewegungen in mehreren europäischen Ländern als „terroristische Gefahr“ eingestuft. In Großbritannien wurde bereits ab Mitte der 1990er neben Scotland Yard auch der Inlandsgeheimdienst MI5 gegen die Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung eingesetzt. 1995 hatte MI5 bekannt gegeben: „The biggest single terrorist threat now comes from animal rights fanatics.“

 

Entsprechend dem zunehmend internationalen Austausch der Verfolgungsbehörden folgte auch in anderen Ländern die Kriminalisierung der Bewegung dem britischen Modell. Seit 1992 befindet sich die US-amerikanische Animal Liberation Front (ALF) auf der Liste der zehn gefährlichsten inländischen terroristischen Gruppen des FBI. Erstmals war sie bereits 1987 auf die diese Liste gesetzt worden. 2006 wurde der „Animal Enterprise Terrorism Act“ verfasst, der Gewalt und Gewaltandrohungen gegenüber Tiernutzbetrieben als terroristischen Akt begreift. Unter dem Mantel der „Operation Backfire“ wurden bereits etliche Verfahren gegen AktivistInnen angestrengt, die bis zu 19jährige Gefängnisstrafen mit sich brachten. Ein Aktivist, Willliam Rodgers, beging im Angesicht der ihm drohenden Strafe Selbstmord.

 

Dass das angelsächsische Beispiel Schule macht, zeigen die Repressionen gegen TierrechtlerInnen in Österreich. Im Mai 2008 wurden dort Wohnungen durch das Sonderkommando WEGA (Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung) gestürmt und durchsucht, zehn Personen wurden festgenommen. Anfang März 2010 begann in Wien der Strafprozess gegen die AktivistInnen, denen die Bildung einer kriminellen Organisation gemäß dem § 278a öStG (dem Pendant des bundesrepublikanischen § 129 StGB) vorgeworfen wird. Ihnen drohten Gefängnisstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. Im letzten Jahr wurden sie zwar freigesprochen, doch wovor bereits seit langem gewarnt wurde, hat sich bestätigt: Genau wie der § 129 in der BRD wird der § 278 in Österreich dazu verwendet, politisch aktive Menschen zu überwachen und zu kriminalisieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, welche Bewegungen es als nächstes treffen wird.

 

An der relativ jungen Bewegung werden neue Gesetze vor allem im Bereich der so genannten Terrorismusbekämpfung erprobt. Sie gilt damit als Testfeld für die Anwendung neuer verschärfter Maßnahmen, deren „Ergebnisse“ wahrscheinlich auch bald gegenüber anderen sozialen Bewegungen Anwendung finden werden.

 

Die Entwicklungen in den USA sollten uns aufhorchen lassen und vorwarnen.

Im September 2009 wurde am Cherry Point Stützpunkt in North Carolina ein Terrorismus-Training abgehalten, bei dem „Umweltschutzaktivisten“ die Militärbasis stürmten, Geiseln nahmen, Lösegeld forderten und zwei Marines töteten. Bei „Urban Shield“, der größten Homeland Security-Übung, hielten „Tierrechtsaktivisten“ mit gezogenen Waffen am Campus der kalifornischen Universität in Berkeley Geiseln gefangen.

 

Will Potter meint hierzu: „Tierrechts- und Umweltaktivist_innen haben keine Flugzeuge in Gebäude geflogen oder Geiseln genommen. Sie sind für keinen einzigen Gewaltakt gegen Menschen in den Vereinigten Staaten verantwortlich. Einige rechtsextreme Gruppierungen sind viel weiter gegangen: zum Beispiel beim Bombenanschlag auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma City, bei den zahlreichen Ermordungen von Ärzt_innen, die Abtreibungen vornehmen, oder dem Verschicken von mit Anthrax versetzten Briefen. Im Jahr 2003 gab ein Mann aus Texas, der Verbindungen zu rassistischen Gruppen hatte, zu, dass er im Besitz einer Massenvernichtungswaffe war. Keine dieser rechtsextremen Gruppierungen befindet sich auf der Liste der Bedrohungen für die nationale Sicherheit des Department of Homeland Security. Dieses überzogene Vorgehen gegen die Tierrechts- und Umweltbewegungen und die fahrlässige Verwendung des Begriffs ,Terrorismus‘ sind das Resultat einer sorgfältig koordinierten politischen Kampagne von Firmen und deren politischen Vertreter_innen. Durch meine journalistische Arbeit dokumentierte ich einen immer stärker werdenden Trend zur ,Terrorismus‘-Rhetorik, zu weitreichenden Gesetzesänderungen, schwarzen Listen, ,Grand Jury‘-Hexenjagden und zur Verfolgung durch das FBI, welche Erinnerungen an die Taktiken weckt, die während der Heraufbeschwörung einer kommunistischen Gefahr (so genannte ,Red Scare‘) in den 1940er und 50er Jahren gegen amerikanische Staatsbürger_innen eingesetzt wurden. Ähnlich wie die ,Red Scare‘ wird bei der ,Green Scare‘ auf einen Begriff gesetzt, um eine politische Agenda voranzutreiben, Ängste zu schüren und die kritische Öffentlichkeit einzuschüchtern. Dieses Mal heißt dieser Begriff ,Terrorist‘.“

 

Für den Journalisten ist klar: Diese Thematik betrifft uns alle, unabhängig davon, ob wir politisch aktiv sind oder nicht – schon alleine deshalb, weil die geradezu besessene Fokussierung auf Tierrechte und Umweltaktivismus eine geringere Aufmerksamkeit für andere Gruppierungen bedingt. Im Zusammenhang mit der in erschreckendem Maße zunehmenden rechten Gewalt taucht in Regierungsaussagen, rechtlichen Maßnahmen und Pressemeldungen in den USA das Wort „Terrorismus“ auffälligerweise nicht auf.

 

Potter meint außerdem: „Wenn der Verfolgung von Tierrechts- und Umweltaktivist_innen als Terrorist_innen kein Widerstand entgegen gebracht wird, wird damit ein Präzedenzfall geschaffen, der auch auf andere soziale Bewegungen angewendet werden wird. Um eine nicht sehr tierrechtlerische Analogie zu verwenden – diese Aktivist_innen sind die Kanarienvögel in einer Mine. Wenn sie keine Luft mehr bekommen, wird es anderen auch bald schwer fallen zu atmen. [...] Eine einzelne Bevölkerungsgruppe wegen ihrer Überzeugungen zu isolieren, gibt der Regierung viel zu viel Macht. Dies sollte alle beunruhigen, unabhängig davon, was mensch von Tierrechten oder der ALF hält. Diesen Pfad haben wir bereits in der Vergangenheit beschritten – und wir sollten ihm nicht noch einmal folgen.“

 

Alle interessierten Einzelpersonen sowie linke Gruppen und Angehörige sozialer Bewegungen seien eingeladen, die ihnen jeweils nächste Station der Vortragstour zu besuchen, um sich über das Thema zu informieren und gemeinsam über neue Strategien zu diskutieren – im Sinne der Resolution des strömungsübergreifenden Antirepressionskongresses 2010 in Hamburg: „In dem Bewusstsein, dass unsere Atomisierung in Nationen, politische Kulturen, Lager und Organisationen uns in den vergangenen 20 Jahren geschwächt hat und wir aufgrund des Totalitarismus und der wachsenden Aggressivität des Kapitalismus und der herrschenden Politik zu einer historischen Neubestimmung von widerständiger Theorie und Praxis veranlasst sind, werden wir uns in den nächsten Jahren bemühen, gemeinsam neue Wege der Solidarität zu suchen und zu gehen“ (http://antirepkongresshh2010.tk/).

 

ANTISPEZIESISTISCHE AKTION TÜBINGEN

http://asatue.blogsport.de/

 

Rezension des Buches "Green is the New Red" in der "Tierbefreiung aktuell"; mit Buchtrailer: http://www.tierbefreier.de/tierbefreiung/71/greenisthenewred.html.

 

Literatur:

 

Valerie Smith: Die Kriminalisierung der Tierrechtsbewegung als Testfeld für Repression

(http://antirepkongress.bplaced.net/smith_die_kriminalisierung_der_tierre...).

 

Will Potter: Politische Repression in den Vereinigten Staaten. Die „Green Scare“ und der Kampf gegen Tierrechts- und Umweltaktivismus, in: Christof Mackinger, Birgit Pack (Hrsg.): §278a. Gemeint sind wir alle! Der Prozess gegen die Tierbefreiungs-Bewegung und seine Hintergründe, Wien 2011, S. 343-358.