[KN] Antifaschistische Demo

plakat

Konstanz | 16.03 | 16 Uhr | Landratsamt **Wiedererstarken der Nazi Szene im Kreis Konstanz**Zivilgesellschaftliches Bündnis plant Demo**Nazis kündigen an die Demo zu "sabotieren"**

Vor fünf Jahren am 16.03.07 versuchten lokale Neonazis eine von der VVN, dem DGB und der IG Metall organisierte Diskussionsveranstaltung zum Thema Neofaschismus in Deutschland zu überfallen. Durch schnelles Eingreifen der anwesenden Antifaschist*innen konnte der Saal blockiert und den Nazis der Zutritt so verwehrt werden. Die anrückende Polizei verhaftete 10 Nazis sofort, 7 weitere im Laufe des Abends. Gegen 11 von ihnen wurden Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch eingeleitet. Ein Großteil der Nazis war mit Namen bekannt, darunter auch der JN Stützpunktleiter, NPD Landtagskandidat und lokaler Naziführer Benjamin Hennes. Die Staatsanwaltschaft stellte alle Verfahren ein.

 

Am Abend des 15.03.11 wurde die türkischstämmige SPD Landtagskandidatin Zahide Sarikas in ihrem Wahlkampfbüro angegriffen und schwer verletzt. Der Täter wurde als junger Mann zwischen 22 und 26 mit kurzgeschorenen Haaren beschrieben. Im Vorfeld wurde in Neonaziforen dazu aufgerufen "linke Frauen zu schänden". Die Staatsanwaltschaft stellte auch hier die Ermittlungen ein.

 

Am 05.10.11 formierten sich die Freien Kräfte Hegau Bodensee wieder und gingen mit ihrer neuen Website online. Darauf folgten kleinere Aktionen wie Hackenkreuzschmierereien in Hohenfels, Heldengedenken im Schwarzwald, Sonnenwendfeier auf der Ruine Altbodman, eine Spontandemo aufgrund eines vermeintliche Überfalles junger Migranten auf einen Neonazi mit ca. 30 Teilnehmern in Singen (mit Benjamnin Hennes als Redner) und eine "Unsterblichen"-Aktion auf dem Konstanzer Fasnachtsumzug mit 10 Teilnehmern (darunter Dorian Schubert, Stefan Kolb und Benjamin Hennes).

 

Neonazistische Parteien wie die NPD spielen in Konstanz mit 0,4% der abgegebenen Stimmen bei der letzten Landtagswahl keine Rolle. Die Republikaner mit 0,3% ebensowenig.

 

Als Reaktion auf das Wiedererstarken der Rechten Szene im Kreis Konstanz und den eingestellten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gründete sich ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis mit dem Ziel das Treiben der Neonazis und die Einstellung der Verfahren in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Schnell wurde die inhaltliche Bandbreite der Forderungen jedoch größer: NSU Morde, die Verstrickungen des Verfassungsschutzes und ein NPD Verbot sind nun auch Themen der Demonstration.

 

Die Nazis kündigen derweil auf ihrem Blog an die Demo sabotieren zu wollen. Das werden wir nicht zulassen !

 

Hier der Aufruf des Bündnisses: http://emanzipatorischegruppe.blogsport.de/images/DemogegenrechteGewalt8...

 

Wir als Emanzipatorische Gruppe Konstanz mobilisieren mit einem eigenen Aufruf zu der Demonstration und einem linksradikalen Antifa-Block:

 

Gegen Deutschland und seine Nazis !

 

Der Überraschung in der bürgerlichen Presse war groß: Über zehn Jahre lang zog die Neonazigruppe “Nationalsozialistischer Untergrund” durch die Bundesrepublik, ermordete zehn Menschen und wurde nicht entdeckt. Die zuständigen Ermittlungsorgane der “Soko Bosporos” vermuteten die Täter_innen*1 eher im mafiösen, kriminellen Milieu, in welches die Opfer angeblich verstrickt gewesen sein sollen. Hinweise von Angehörigen der Opfer und einzelnen Ermittlern auf einen neonazistischen Tathintergrund wurden wohlweislich ignoriert. Derweilen schrieb die Presse in gewohnt rassistischer Manier über die “Dönermorde”.


Fakt ist: Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Yunus Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter wurden aus rassistischen Gründen von deutschen Neonazis erschossen.
Als diese Tatsache nun bekannt wurde überschlug sich die mediale Berichterstattung, der Spiegel warnte vor einer “braunen RAF” und es folgten allerlei Betroffenheitsrituale. Doch galt das Mitleid nicht in erster Linie den Opfern der Neonazis, sondern dem Image Deutschlands im Ausland. So sprach Kanzlerin Merkel von einer “Schande für Deutschland” und verurteilte die NSU Mordserie.
Uns als linksradikale Antifaschist_innen*2 hat das Ausmaß der Gewalt und die Kaltblütigkeit der Durchführung der Taten zwar auch entsetzt, aber nicht überrascht.


Überrascht kann nur sein, wer den tödlichen braunen Faden der sich durch die Geschichte der BRD zieht, nicht sehen will.
Wer die mehr als 180 Toten durch neonazistische Gewalt seit 1989 nicht zur Kenntnis genommen, wer die Morde und Anschläge der deutschen Aktionsgruppen und der Wehrsportgruppe Hoffmann 1980 *3, die Pogrome in Hoyerswerda, Lichtenhagen, Mannheim-Schönau, die Mordanschläge in Mölln und Solingen, Hetzjagden in Guben und Mügeln, die nicht mehr zählbaren verbalen und körperlichen Angriffe auf Migrant_innen,die Waffenfunde bei neonazistischen Organisationen, die Schändung jüdischer Friedhöfe, die Angriffe auf Synagogen und Moscheen, die nationalbefreiten Zonen und Browntowns, die unzähligen V-Mann Skandale; ja wer das alles nicht bemerkt haben will, der muss wohl überrascht sein.


Und auch wenn die Empörung der bürgerlichen Elite echt ist. Wenn dort in den liberalen Metropolen und grünen Kleinstädten der völkische Nationalismus mit seiner Blut und Boden Ideologie, dem flexiblen Standortnationalismus und Multi-Kulti gewichen ist, so ist das noch Lange kein Grund zur Freude. Ganz davon abgesehen dass der “Aufstand der Anständigen” in weiten Teilen Deutschlands nicht ankam.


Das postnazistische, völkische Deutschland existiert weiter. Die “NSU-Mörder bewegen sich nach wie vor in Deutschland unter den Deutschen wie Fische im Wasser.” *4 "Während sich die Denunziationsanrufe aus der Bevölkerung bei der Roten Armee Fraktion auf Hunderttausende beliefen; so hoch, dass die damaligen Verfolgungsbehörden zur Bewältigung der Telefonanrufe, eine Telefonnummer pro Stadt installierten und hofften, so Herr der Lage zu, soll heißen, der massenhaften Denunziation zu werden; beschränken sich die Hinweise aus der Bevölkerung bei der “Braunen Armee Fraktion” gerade mal auf einige Hundert." *4
Die Deutschen wissen noch immer genau, wer zu ihnen gehört und wer nicht.


Und wer nach diesen ganzen Ereignissen nun auf einen Sinneswandel der deutschen Behörden hofft, sprich auf eine konsequente Aufklärung der Verstrickungen des Verfassungsschutzes in die NSU Morde, wird wohl enttäuscht werden. Zu fest sitzt der braune Filz in den Inlandsgeheimdiensten. Nach 1945 von überzeugten Nazis und SS Leuten, sprich erfahrenen Kommunistenjägern, aufgebaut, war den Geheimdiensten im Vorhinein klar, dass der Feind links steht.


Ein neuer Ausdruck dieser Tradition ist die sogenannte Extremismusformel. Hier wird behauptet es gäbe eine demokratische Mitte der Gesellschaft die von ihren extremistischen Rändern von Rechts, wie von Links bedroht werde. Dabei werden linke, antifaschistische Gruppen, welche Blockadeaktionen gegen Neonaziaufmärsche, wie zuletzt in Dresden organisieren, auf eine Stufe mit gewalttätigen, rassistischen und antisemitischen Neonazigruppen gesetzt. Die Imagination einer gesunden demokratischen Mitte verschleiert zudem den Blick auf den Fakt, dass Ideologien wie Rassismus, Antisemistismus, Antiziganismus, Sozialchauvinismus, Sexismus usw. nicht an einen rechten Rand gebunden sind. Sie sind gesamtgesellschaftliche Probleme und existieren auch bei Mitgliedern der CDU, über Grüne bis zur SPD, aber auch in Gruppen der radikalen Linken.


Wenn auch methodologisch nicht unumstritten, gibt die von Wilhelm Heitmeyer geleitete Langzeitstudie “Deutsche Zustände” einen Überblick über die Verbreitung von “gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeiten” bei den Deutschen. So stimmen 47,1% der Befragten der Aussage “Es leben zuviele Ausländer in Deutschland” zu, 13% finden, dass “Juden in Deutschland zuviel Einfluss haben” und 22,6% meinen, dass “Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden sollte”.


Vom deutschen Staat und seinem institutionalisiertem Rassismus, von Abschiebungen in den sicheren Tod, von rassistischen Polizeiübergriffen und Kontrollen, von “Ausreisezentren” genannten Abschiebeknästen und den ungezählten Leichen welche an die Strände, der militärisch abgesicherten EU-Außengrenzen, angespült werden ganz zu schweigen…


Und während der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg die linkssozialdemokratische Partei “die.Linke” ausspäht, agieren militante Neonazis mit äußerster Gewalt.
Hier die traurigen “Höhepunkte” im Jahre 2011:


März: Ein Antifaschist wird in Leonberg (bei Stuttgart) von einer Gruppe Nazis am Leonberger Marktplatz vor der “TreffBar” attackiert. Einer der Nazis schießt dem jungen Nazigegner aus kürzester Distanz mit einer Gaßpistole ins Auge. Der Verletzte wurde sofort in eine Augenklinik eingeliefert, in der er zweimal notoperiert werden musste.


April: Eine Gruppe Nazis machte in Winterbach (Rems-Murr Kreis) Jagd auf neun Migranten. Diese flüchteten in ein Gartenhaus, welches die Nazis daraufhin anzündeten. Mit Glück konnten die Opfer sich aus der brennenden Hütte befreien und flüchten.


September: Ein junger Mann gerät mit einem Neonazi in Albstadt-Ebingen in Streit. Der Neonazi zieht daraufhin ein Messer und sticht mehrere Male auf sein Opfer ein. Dieses wurde in die Kreisklinik eingeliefert und war nach einer Notoperation außer Lebensgefahr.


Oktober: Der bekannt Faschist Florian Stech überfährt in Riegel (Landkreis Emmendingen) einen Antifaschisten mit seinem Auto. Der Antifaschist musste mehrere Monate auf der Intensivstation verbringen und konnte von Glück reden, mit dem Leben davongekommen zu sein.


Januar 2012: 7 Nazi-Skinheads provozieren etwa 20 bis 30 jüngere Festbesucher vor der Festhalle in Trillfingen (bei Haigerloch). Es kommt zu einer Massenschlägerei, in deren Verlauf ein Neonazi mit seinem Auto in die Menschenmenge fährt. Drei Menschen werden verletzt.


Auch im Kreis Konstanz formieren sich die militante Neonaziszene neu. Während der NPD Kreisverband Konstanz sich in einer Art Dauerwinterschlaf befindet, zeigt seine Jugendorganisation “Junge Nationaldemokraten” äußerst rege Aktivitäten. Die Kameraden begehen “Heldengedenken”, feiern Sonnenwendfeiern, wandern zusammen und fahren zu Aktionen anderer JN Gruppen in ganz BaWü. Insgesamt gibt sich die JN Konstanz aber eher bieder und hält sich auch in ihrer Rhetorik zurück. Ganz anders ihr Zwillingsbruder, die Freien Kräfte Hegau Bodensee. Sie sollen das aktionsorientierte Publikum ansprechen. Hier gibt es Spontandemonstrationen mit Fackeln und es können offen Drohungen gegen Nazigegner ausgesprochen werden. So verhöhnen sie auf ihrer Website, den im Oktober von einem Neonazi überfahrenen Antifaschisten als “Hobby-Hosenscheisser-Steineschmeisser”, die Menschen aus dem Vorbereitungkreis der Antifa Demo am 16.03 werden als “antideutsche Linksfaschisten, Kommunisten und Gutmenschen aus Konstanz” diffamiert und die Täterschaft von Neonazis bei der NSU Mordserie wird geleugnet. Stattdessen werden “Verfassungsschutz und Geheimdienste in der BRD” verantwortlich gemacht, die den Nazis schaden wollten. Im Bezug auf die geplante Demonstration kündigen sie großspurig an “die Demonstration der Linksfaschisten am 16.03.2012 sabotieren” zu wollen.


Wenn wir also am 16.03 mit der Konstanzer Zivilgesellschaft gegen Neonazis und für ein Verbot der NPD*5 auf die Straße gehen ist uns vollständig klar, dass das Problem nicht nur irgendwelche “Nestbeschmutzer von Rechtsaußen” sind. Das Problem ist das Land, unter dessen moderner Fassade der Nationalsozialismus fortwest. Das Land in dem Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Sexismus und andere menschenverachtende Ideologien immer noch auf fruchtbaren Boden fallen. Das Land in dem Auschwitz möglich war. Das Land der Täterinnen und Täter: Deutschland

 


Am 16.03 auf die Straße gegen deutsche Verhältnisse !


Nie wieder Faschismus ! Nie wieder Deutschland !

 

 

*1 Wir verwenden die geschlechtsneutrale Form „_innen“, um neben dem männlichen und weiblichen Geschlecht auch Transgendern und anderen Rechnung zu tragen.
*2 lat.: radix = Wurzel, Ursprung d.h. “linksradikal” als Theorie und Praxis die an der Wurzel der gesellschaftlichen Verhältnisse ansetzt
*3 Die Wehrsportgruppe Hoffmann war eine terroristische Vereinigung neonazistischer Prägung, die 1980 verboten wurde.
*4 Cafe Morgenland (Aus dem Redebeitrag: “Die Nazi-Morde sind die Fortsetzung der Pogrome der 90er Jahre mit anderen Mitteln”)
*5 Wir sehen den Kampf gegen Faschismus und Rassismus und andere menschenfeindliche Ideologien, nicht als Aufgabe der staatlichen Unterdrückungsorgane, welche die Taten der Faschistischen Mörder nicht sahen oder nicht sehen wollten, an. Der Weg in eine freiere Gesellschaft führt nicht über den Abbau von Grundrechten für alle Bürger_innen, Parteienverbote und dem Ruf nach einem starken Staat. Die bürgerlichen Freiheiten in der BRD, wie limitiert sie auch sein mögen, werden nicht von einem imaginierten extremistischen Rand bedroht, sondern eher von autoritären Politiker_innen wie Innenminister Friedrich.