Mit vollem Bus von Jena nach Magdeburg! - Aufruf: Prozessbeobachtung und Kundgebung im Fall Oury Jalloh am 16. Februar 2012

Solidarity-Demo in Jena gegen Polizeibrutalität in Dessau 18.01.2012

Jena, 09.02.2012
The VOICE Refugee Forum Jena ruft auf zur Prozessbeobachtung und Kundgebung im Fall Oury Jalloh am 16. Februar 2012 am Magdeburger Landgericht (Halberstädter Str. 8, 39112 Magdeburg).

In der Nacht vom 6. auf den 7. Januar 2005, gegen 8 Uhr morgens, wurde Oury Jalloh aus Sierra Leone von der Polizei festgenommen und verbrannte einige Minuten nach zwölf Uhr an Händen und Beinen gefesselt auf grausame Art auf einer Matratze im Dessauer Polizeirevier. Seit einem Jahr  wird  in zweiter Instanz gegen den Dienstgruppenleiter des Dessauer Polizeireviers wegen des Vorwurfes der Mitschuld am Tod Oury Jallohs verhandelt. Doch auch nach sieben Jahren glauben wir der offiziellen Darstellung, dass Oury Jalloh das Feuer selbst ausgelöst habe, nicht.


The VOICE Refugee Forum fordert weiterhin die Änderung der Anklageschrift und der Strafanzeige auf Beihilfe zu Körperverletzung und zu Mord seitens aller Beamten, die am 7. Januar 2005 im Polizeirevier Dessau anwesend waren. Wir fordern weiterhin die Durchführung des Strafverfahrens unter Beiordnung von internationalen unabhängigen Prozessbeobachtern. Sieben Jahre nach Oury Jallohs bestialischem Tod in Zelle Nr. 5 in Dessau herrscht noch keine Gerechtigkeit. Wir sagen: „Oury Jalloh – das war Mord!“, und fordern weiterhin: Wahrheit! Gerechtigkeit! Entschädigung!

Wir protestieren gegen die Einschüchterungen der Richter und die Polizeigewalt gegenüber den Aktivisten, die in der Oury-Jalloh-Kampagne und in der Beobachtung des Gerichtsverfahrens in Magdeburg eingebunden sind.

Wir rufen auf zur kritischen Prozessbeobachtung und zur Dokumentation des Verfahrens und seiner Ergebnisse.

Hintergrund:

Im Gerichtsverfahren des Magdeburger Landgerichtes zu dem am 7.1.2005 in einer Dessauer Polizeigewahrsams-zelle verbrannten Asylbewerber Oury Jalloh wird dem damals verantwortlichen Dienstgruppenleiter unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge vorgeworfen.

Ein erstes Gerichtsverfahren hierzu endete 2008 vor dem Landgericht Dessau mit einem Freispruch für den Angeklagten, wobei der amtierende Richter selbst einschätzte, dass ein „rechtsstaatliches Verfahren“ durch das Aussageverhalten der befragten Polizeibeamten „verhindert“ worden sei. Entsprechend verwies der BGH den Fall 2010 zur Revision an das Landgericht Magdeburg mit den Hinweisen, dass die „Beweisführung (in Dessau) lückenhaft“ und die „Urteilsbegründung (aus Dessau) nicht nachvollziehbar“ sei sowie insbesondere darauf, dass nach Sachlage zumindest pflichtverletzendes Verhalten der verantwortlichen Polizeibeamten (in Dessau) vorgelegen haben muss.

Das Magdeburger Verfahren hätte nach terminierter Maßgabe des Gerichtes bereits am 19.1.12 mit einer Urteils-verkündung abgeschlossen werden können, da auch hier die Vertuschungsstrategien der agierenden staatlichen Rechtsorgane unverändert zum Tragen kam. Die Anwälte der Nebenklage (Familie Jalloh) stellten am 9.1.12 jedoch noch mehrere Anträge zur weiteren bzw. genaueren Aufklärung der Abläufe im Dessauer Polizeirevier. So sollen:

Hintergrundinformationen über den seitens des Innenministeriums Sachsen-Anhalt ergangenen Ermittlungs-auftrag an die Beamten der Kriminalpolizei Stendal im Fall Oury Jalloh verifiziert werden, die im Zusammen-hang mit wiederholten (mutmaßlich strukturell menschenverachtenden) Sorgfaltspflichtverletzungen Dessauer Polizeibeamter bzw. möglicher Kenntnis dieser Zustände seitens des Innenministeriums stehen.
die Hausärztin eines Polizeibeamten und ein von ihm konsultierter Polizeipsychologe befragt werden, der sich nach dem Brand wegen „psychischer Probleme“ behandeln lassen wollte. Hier wurde kolportiert, dass die psychologische Behandlung mit dem Verweis abgelehnt wurde, dass dies „…keine Sache für einen Psychologen, sondern für einen Rechtsanwalt…“ sei.
ein wirklich umfängliches und ergebnisoffenes Brandgutachten in Auftrag gegeben werden, da die bisherige Begutachtung strikt auf den mutmaßlich vorausgesetzten Fall der „Selbstanzündung mit Feuerzeug“ durch Oury Jalloh selbst beschränkt war (Eine nachgestellte Entzündung der feuerfesten Matratze alleine mit Feuerzeug gelang nicht und nach anderweitiger lokaler Entzündung ließ sich ein dem Endzustand der Leiche entsprechende Hitzeentwicklung nicht reproduzieren). Zudem besteht der Verdacht auf das Vorliegen mehrerer Brandherde, womit die These vom „Selbstmord“ praktisch unhaltbar wäre.

Die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ und die „African/Black Community“, welche durch „Plataforma“ Berlin, The VOICE Refugee Forum und der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen ins Leben gerufen wurde, wählte aufgrund der von Beginn an suspekten Umstände im vorliegenden Fall das immer wieder heftig angefeindete Motto: „OURY JALLOH – DAS WAR MORD!“, welches zuletzt (trotz bereits 2006 gerichtlich festgestellter, rechtmäßiger Vereinbarkeit mit der Meinungsfreiheit) als fadenscheinige Begründung für die geplante repressive Polizeibrutalität anlässlich des mittlerweile 7. Todestages Oury Jallohs in Dessau instrumentalisiert wurde.

Aktivisten der oben genannten Organisationen haben durch ihren unermüdlichen und konsequenten Einsatz eine Anklageerhebung gegen die bestehenden Vertuschungsstrategien seitens der Polizei und der Staatsanwaltschaft erst möglich gemacht, von Anfang an eine Mordanklage eingefordert und auch die Fortsetzung der gerichtlich einseitig auf „Unterlassung von Hilfeleistung“ eingeschränkten Aufklärung durch Revision beim BGH ermöglicht!

Trotz der nicht hinnehmbaren und unglaublichen Vertuschung der Tatumstände, der Verschleppung und Parteilichkeit der Ermittlungen durch

  • die Löschung der elektronischen Dokumentation der Dienstabläufe vom 7.1.05
  • die fast vollständige Löschung der beweisaufnehmenden Videodokumentation
  • die Manipulation der Asservatenliste durch nachträgliches Hinzufügen eines Feuerzeuges
  • das Verschwinden der wandseitig fixierenden Handschelle vor der kriminaltechnischen Untersuchung
  • die nachweisliche Falschaussagen von Polizeibeamten vor Gericht und das ‚rechtsstaatliche‘ Bemühungen um Schadensbegrenzung
  • die Nichtfeststellung von Nasenbein- und Mittelohrfrakturen in der ersten Obduktion, die einen gewaltsamen Tod hätten nahelegen müssen
  • die (gewollte) Nichterhebung einer Anklage wegen angeblich nicht ausreichenden Anhaltspunkten für das Vorliegen einer strafbaren Handlung seitens der Polizeibeamten
  • die Einschränkung der Anklage auf „unterlassene Hilfeleistung“ den Versuch der Verhinderung einer Nebenklage durch die Familie Jalloh gegen Zahlung einer „Entschädigung“ von 5.000 €
  • die Einschränkung des gerichtlichen Brandgutachtens auf die Untersuchung nur der vorgegebenen These der Selbstanzündung per Feuerzeug
  • die inkonsequente Prozessführung im Angesicht polizeilicher Aussageverweigerung
  • den Hinauswurf von Aktivisten und Prozessbeobachtern aus dem Gerichtssaal werden wir nicht zurückstehen im Kampf für AUFKLÄRUNG, GERECHTIGKEIT und ENTSCHÄDIGUNG im Fall Oury Jalloh!



Wir fordern angesichts der bis dato anhaltenden Vertuschungsmentalität von Polizei, Staatsanwaltschaft und den Gerichten Sachsen-Anhalts:

  • die Änderung der Anklage auf Beihilfe zur Körperverletzung und Mord seitens aller Diensthabender Polizeibeamten vom 7.1.05
  • die Durchführung des Verfahrens unter Beiordnung internationaler unabhängiger Prozessbeobachter
  • die Durchführung eines unabhängigen, ergebnisoffenen Brandgutachtens zur Ermittlung des tatsächlichen Brandverlaufes
  • die Schaffung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Ursachen für den Tod Oury Jallohs, für seine Haft und für die Kettung seines Körpers am Tag des 7. Januar 2005 wie auch das Gerichtsverfahren unabhängig untersucht
  • die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen gegen MigrantInnen in Deutschland, die bereits zu vielen Todesfällen geführt haben, sowie die sich daran anschließende rassistische Kollaboration innerhalb der Exekutive, der Legislative und der Judikative in der Bundesrepublik Deutschland


Gemeinsam mit dem Bus nach Magdeburg
Wir laden alle Interessierten ein, sich selbst ein Bild von der Gerichtsverhandlung am Magdeburger Landgericht im Fall Oury Jalloh zu machen, zur Dokumentation des Prozesses beizutragen und die Forderungen nach Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung zu unterstützen.

Um die Teilnahme möglichst vieler zu gewährleisten, stellen wir am 16.2.12 einen Bus bereit.
Abfahrt wird um 5:30 Uhr vom Inselplatz in Jena sein (kalkulierte Fahrzeit nach Magdeburg ca. 3h).
Die Verhandlung beginnt um 9:30 Uhr. Die Rückkehr nach Jena kann ab ca. 17 Uhr erwartet werden.

E-Mail-Adresse zur Anmeldung: daswarmord@riseup.net

In diesem Zusammenhang möchten wir unabhängig von der Möglichkeit eurer/Ihrer persönlichen Begleitung um Spenden zur finanziellen Absicherung des aktuellen und langfristigen Projektes zur notwendigen aktiven Prozessbeobachtung bitten!

Spendenkonto: Förderverein The VOICE e.V., Konto: 127829, BLZ: 260 500 01, Sparkasse Göttingen
Dass eine kritische öffentliche Prozessbegleitung unabdingbar ist, haben die bisherigen Ereignisse und Vorkommnisse gezeigt – wir werden diesen Kampf nicht aufgeben!

Gerechtigkeit für Oury Jalloh!
Thüringen Kampagne – Do Justice To Oury Jalloh!
Unterstützt vom Break Isolation!-Netzwerk
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Kontakt/Info: The VOICE Refugee Forum Jena | Schillergäßchen 5 | 07745 Jena
+49 (0) 174 8474694 | thevoiceforum@gmx.de | http://thevoiceforum.org