[Basel] Remember, Remember... Sauvage & Umzug

Remember, remember.

Am Sams­tag, 5. No­vem­ber 2011, haben sich im De Wet­te-​Park (ge­gen­über Basel SBB) ca. 250 Per­so­nen ge­trof­fen, um ge­mein­sam eine Sau­va­ge und einen Umzug durch­zu­füh­ren. Es gab kein zen­tra­les So­und­sys­tem, son­dern ein de­zen­tra­les Kon­zept mit einem Ra­dio­sen­der und vie­len klei­ne­ren und grös­se­ren Ra­di­os. Auf­grund tech­ni­scher De­fek­te waren al­ler­dings nur grös­se­re Laut­spre­cher­bo­xen in der Lage, die Musik ge­nü­gend zu ver­stär­ken.

 

Re­mem­ber, re­mem­ber the fifth of No­vem­ber,
gun­pow­der, tre­a­son and plot,
I know of no re­a­son why gun­pow­der tre­a­son
should ever be for­got.
Guy Faw­kes, Guy Faw­kes,
?twas his in­tent
to blow up the King and the Par­li­a­ment.


Weis­se Mas­ken wur­den ver­teilt, ei­ni­ge ver­mumm­ten sich; un­ten­ste­hen­der Flyer wurde ver­teilt. Nach ca. 2 Stun­den auf dem Platz wurde die­ser unter Feu­er­werk und dem Licht von Ben­ga­len ver­las­sen, um sich für ein­mal die Stras­se zu­rück zu neh­men. Via Ae­schen­platz / Bank­ver­ein ging es über die Wett­stein­brü­cke zum Theo­dors­kirch­platz, wo sich die Ver­an­stal­tung nach ei­ni­gen wei­te­ren Stun­den von selbst auf­lös­te.
Die Po­li­zei hielt sich im Hin­ter­grund. Eine Per­son wurde kon­trol­liert, als sie den Umzug am Bank­ver­ein ver­liess.

 

Du bist hier
willst dich «frei» be­we­gen
willst ab­ge­hen, dich viel­leicht ab­schies­sen
die «freie» Zone
das Wo­chen­en­de, der Alk
der kurze Mo­ment, wo du leben willst
ohne Zwän­ge, Druck und Wett­be­werb
ge­stau­te En­er­gie, Frust, Wut und Freu­de
alles darf raus
ver­dampft im Schweiss der Be­we­gun­gen
er­säuft in einem Meer von Alk und Dro­gen.
Kater.
Mon­tag.


Es scheint, dass il­le­ga­le Par­ties im öf­fent­li­chen Raum («Sau­va­ge») etwas sind, das die Men­schen an­zieht und in­spi­riert. Denn die Frei­luft-​Par­ties der jüngs­ten Ver­gan­gen­heit zei­gen eines: Die An­we­sen­den ori­en­tie­ren sich nicht an den Ge­set­zen oder an dem, was sich ge­hört. Sie holen keine Be­wil­li­gung für ihre An­läs­se ein. Sie stö­ren sich auch nicht daran, wenn der grau­en Ober­flä­che der Stadt ein far­bi­ger An­strich ver­passt wird.
Wir alle be­stim­men in die­sen (noch raren) Mo­men­ten selbst, was wir wol­len, ohne von ir­gend­ei­ner über­ge­ord­ne­ten Au­to­ri­tät ab­hän­gig zu sein.

 

Es geht uns nur be­dingt um feh­len­de Frei­räu­me, Zwi­schen­nut­zun­gen und Aus­geh­mög­lich­kei­ten. Sol­che Orte sind zwar wich­tig, um sich fern­ab von den über­teu­er­ten Par­ty­lo­ca­ti­ons und Bars tref­fen zu kön­nen und um Kunst und Kul­tur selbst zu ma­chen, an­statt sie in Form einer Dienst­leis­tung kon­su­mie­ren zu kön­nen. Ab einem be­stimm­ten Punkt stösst die­ses Vor­ha­ben al­ler­dings an seine Gren­zen und zwar dann, wenn wir mehr wol­len als nur eine Ni­sche für uns zu haben: Diese kann nie­mals ent­kop­pelt von der Ge­sell­schaft ver­stan­den wer­den, in der sie sich be­fin­det. Es wird von uns er­war­tet, in­no­va­tiv, in­te­griert, er­folg­reich, kraft­voll, fried­lich, in­di­vi­du­ell, de­mo­kra­tisch, miss­trau­isch, ab­ge­si­chert, leis­tungs­stark, kon­sum­freu­dig, jung, hilfs­be­reit und gut ge­klei­det sein, um schliess­lich pro­duk­tiv in Aus­bil­dung und Beruf in Er­schei­nung zu tre­ten.
Wir wol­len uns nicht so ver­hal­ten, wie es die Ge­sell­schaft von uns haben will. Wir wol­len uns nicht an ihre Spiel­re­geln hal­ten. Wir wol­len nicht zu Men­schen er­zo­gen wer­den, die die Un­ge­rech­tig­kei­ten ak­zep­tie­ren, die diese Ord­nung pro­du­ziert.
Na­tür­lich gibt es auch Mög­lich­kei­ten, ei­ge­ne Er­fah­run­gen zu sam­meln und ab und zu eine Aus­zeit zu neh­men: Fe­ri­en, Ent­span­nung, ein Selbst­fin­dungs­trip. Drei, vier Wo­chen im Jahr. Warum geben wir uns damit zu­frie­den? Die­ses Stück­chen «Selbst» wird immer dann ver­drängt, wenn wir uns wie­der in den Trott des All­tags ein­rei­hen. Wie kön­nen wir uns gegen diese Welt der auf­ge­zwun­ge­nen Werte weh­ren? Wie kön­nen wir uns über­haupt Zeit neh­men und wie­viel davon brau­chen wir, um die frem­den Ver­hal­tens­mus­ter zu hin­ter­fra­gen, die uns von Kin­des­al­ter an ein­ge­impft wur­den? Wol­len wir sie über­haupt hin­ter­fra­gen? Oder doch lie­ber noch ein Bier trin­ken?
Aus wel­chen Grün­den du hier bist, ent­zieht sich un­se­rer Kennt­nis. Ei­ni­ge tan­zen, ei­ni­ge dis­ku­tie­ren, ei­ni­ge hin­ter­fra­gen sich und die Welt, die sie um­gibt. Oder alles zu­sam­men. Oder nichts davon. Uns geht es darum, hier und jetzt mit For­men ge­leb­ter Uto­pi­en zu ex­pe­ri­men­tie­ren und Werte wie Selbst­be­stim­mung, Hier­ar­chie­frei­heit und So­li­da­ri­tät auch ge­sell­schaft­lich zu eta­blie­ren. Wir haben genug Zeit mit War­ten ver­bracht – auf eine Auf­hei­te­rung, ein biss­chen Ge­mein­schaft, die ato­ma­re Ka­ta­stro­phe oder eine ge­sell­schaft­li­che Um­wäl­zung. Denn: Noch zu war­ten ist Wahn­sinn.

 

Es geht uns nicht um eine ver­fehl­te (Stadt­ent­wick­lungs-​) Po­li­tik. Wir be­grei­fen die mo­men­ta­nen Ent­wick­lun­gen in der Stadt (wozu auch die Kom­mer­zia­li­sie­rung der «Par­ty­sze­ne» ge­hört) nicht als ein Phä­no­men, das un­ab­hän­gig von an­de­ren ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen be­trach­tet wer­den kann. Die Fi­nanz­kri­se zeigt uns ein­drück­lich, wie sich un­se­re Welt in­nert kür­zes­ter Zeit selbst zer­stö­ren könn­te. Die so­zia­len Kon­flik­te, die dar­aus ent­ste­hen, wer­den wohl zu­neh­men. Und wir kön­nen uns schon heute dar­auf ein­stel­len, in Zu­kunft mit noch mehr Kri­sen und noch mehr Kon­trol­le (sei es auf öf­fent­li­chen Plät­zen, in der Schu­le, in der Uni oder auf der Ar­beit) kon­fron­tiert zu sein. Warum ar­ran­gie­ren wir uns immer mit den Din­gen, die uns auf­ge­zwun­gen wer­den – ob­wohl wir sie ei­gent­lich gar nicht wol­len? Die al­lei­ni­ge Schuld tra­gen nicht ei­ni­ge fehl­ba­re Po­li­ti­ker_in­nen oder Ban­ker, son­dern im Grun­de wir alle.

 

Es geht uns nicht darum, For­de­run­gen zu stel­len. Wür­den wir das tun, wür­den wir unser Schick­sal er­neut aus un­se­ren Hän­den geben, in der Hoff­nung, dass es je­mand an­de­res bes­ser ma­chen kann als wir selbst. Ge­sell­schaft­li­che Ver­än­de­rung ge­schieht nicht von al­lei­ne. Es gilt, die Stär­ke zu ent­wi­ckeln, um Be­dürf­nis­se selbst be­frie­di­gen zu kön­nen – statt sie von je­mand an­de­rem be­frie­di­gen zu las­sen. Diese Party ist im wei­tes­ten Sinne ein Bei­spiel dafür.

 

Der Be­samm­lungs­punkt ist be­wusst ge­wählt. Wir be­fin­den uns hier in der Nähe eines Ge­bäu­des, das für das glo­ba­le Fi­nanz­we­sen von enor­mer Wich­tig­keit ist: Hier wer­den die Wäh­rungs­re­ser­ven von ca. 50 Zen­tral­ban­ken ver­wal­tet, so wird die BIZ auch die «Bank der Zen­tral­ban­ken» ge­nannt. Zu ihren Auf­ga­ben zählt eben­falls das Kri­sen­ma­nage­ment, das mo­men­tan ganze Be­völ­ke­run­gen in den Ruin treibt.